Karl May

Orangen und Datteln


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wilden Thälern des Auresgebirges ist der Löwe keine Seltenheit, und wenn ich auch wegen der Eile, mit welcher wir reisten, keine Hoffnung hatte, mit dem König der Tiere persönlich zusammenzutreffen, so war es doch vielleicht möglich, seine Spur zu sehen oder gar seine Stimme zu hören. Uebrigens war eine kleine Ewigkeit vergangen, seit ich den letzten Schuß gethan hatte, und ich fühlte eine wirkliche Sehnsucht, den Klang meiner Büchse wieder zu vernehmen und irgend ein jagbares Geschöpf auf das Korn zu nehmen. Zwischen den Bergen bot sich dazu jedenfalls die Gelegenheit, und ich suchte daher meinen Bärentöter und den Henrystutzen hervor.

      Wir waren der Diligence voraus und gaben ihr auch keine Gelegenheit, uns einzuholen. Die Pferde, welche wir ritten, gehörten zu jener kleinen Berberrasse, deren brave Leistungen in keinem Verhältnisse zu ihrer Größe stehen. Wir saßen bereits zwölf Stunden im Sattel, und dennoch trabten sie in der Richtung, welcher wir noch vier volle Stunden zu folgen hatten, ganz unverdrossen dahin, und selbst das Grauschimmelchen, von dessen niederem Rücken die unendlichen Beine des ›großen Hassan‹ beinahe bis zur Erde niederhingen, schien sich aus seiner schweren Last nicht viel zu machen und blieb um keinen Schritt breit hinter uns zurück.

      Vor und um uns lag die Steppe in gelblichem Lichte. So weit das Auge reichte, war das Plateau vollständig kahl und leer, aber diese Landschaft zeigte heute eine seltene und lebensvolle Staffage. Der Fuhm-es-Sahar, der Mund der Wüste, hatte sich geöffnet, um zahlreiche beduinische Hirten über die Steppe zu speien, welche ihre Herden den Wadis und Schotts zutrieben, um den spärlichen Pflanzenwuchs abzuweiden. Auf schnellen Pferden, mit wehendem Burnus und schimmernden Lanzen ihre Kamele und Schafe umreitend, zogen sie, gefolgt von ihren Frauen und Kindern, welche auf bunt bedeckten Dromedaren saßen, nach allen Richtungen über die Ebene dahin und brachten auf das ungewohnte Auge den Eindruck einer Phantasmagorie hervor, die einen halb wachen und halb träumenden Geist gefangen hält.

      Von jetzt an traten die Höhenzüge, welche die weite Fläche begrenzten, näher aneinander und schoben sich endlich zu einem immer enger werdenden Felsenthale zusammen. Der Blick, welcher bisher in die unendlich scheinende Weite zu schweifen vermochte, wurde von kahlen, nackten Abhängen festgehalten, welche beinahe senkrecht aus der Thalsohle emporstiegen. Wir ritten zwischen ihnen und Abgründen, in deren unterster Tiefe das Auge das graugelbe Wasser eines reißenden Bergstromes erblickte, über welchen wir, nach abwärts gerichtetem Ritte bei ihm angelangt, drei- bis viermal setzen mußten. Es war der Wed-el-Kantara, in dessen Fluten Jules Gérard, der kühne Löwenjäger, seinen Tod gefunden hatte. An der Stelle, wo er in den Fluß gegangen war, hatte ihm eine vorüberziehende Abteilung französischer Truppen aus aufgehäuften Steinen ein einfaches Monument errichtet. Ich ließ halten.

      »Hast du von Gérard, dem Löwentöter gehört, Josef?« fragte ich den Staffelsteiner.

      »Versteht sich, Herr!« antwortete er. »Er war aan Franzos' und is endlich halt in das Wasser gestürzt und drin elend versoffn.«

      »Kennst du den Emir-el-Areth, den ›Herrn des Löwen‹, Hassan?« fragte ich auch den Kubbaschi.

      »Er war ein Ungläubiger, aber beinahe so tapfer wie Hassan el Kebihr,« antwortete er stolz. »Er hat den ›Herrn mit dem dicken Kopf‹ (den Löwen) des Nachts und ganz allein aufgesucht, um ihn zu töten; aber der Wangil-el-Uah (König der Oasen) hat ihn doch noch zerrissen und verzehrt, denn er war kein Moslem, sondern ein Mannaus dem Darharb (nicht muselmännisches Land).«

      »Du irrst, Hassan. Der Emir-el-Areth wurde nicht von dem Löwen zerrissen, der eher hundert Moslemin als einen Christen erwürgt, sondern er starb hier in den Fluten des Wed-el-Kantara, und seine Brüder haben ihm dieses Denkmal erbaut. Nehmt eure Gewehre, ihr Männer; ihre Stimmen sollen seinem Geiste verkünden, daß der Wanderer den Gebieter des ›Herrn mit dem dicken Kopfe‹ kennt!«

      »Soll meine Büchse zu den Ohren eines Geistes klingen, der den Er-Rait nicht kennt, Sihdi?« fragte Hassan.

      »Auch der Christ lebt im Er-Rait (Anblick Gottes), wenn er gestorben ist, Hassan, denn Gott ist überall, auf allen Sternen und in allen Himmeln. Oder spricht nicht dein Prophet von Aissa (Jesus) und Marryam, Imrams Tochter (die heilige Jungfrau), die im Himmel wohnen und Gott sehen von Angesicht zu Angesicht?«

      »Sihdi, warum bist du nicht ein Sayd (Abkömmling von Hassan und Hossein)! Du kennst den Fuhm-el-Kuran (Mund des Korans), die Hand-el-Ard (Rinnen der Erde) und die Battn-el-Djinne (Berge des Paradieses). Deine Stimme ist wie die Stimme des Khatib (Vorbeter in der Moschee), die nur die Wahrheit spricht. Ich werde thun, was du von mir forderst!«

      Aus vier Läufen – denn auch der Führer fügte sich in meinen Willen – erklang eine dreimalige Salve zu Ehren des Löwenjägers, ein von den Felswänden wiederhallender Totengruß, welchen ein › Rifleman‹ dem andern brachte; dann ging der Ritt weiter nach dem Paß von Kantara.

      Hier traten die Steinwände bis an die Ufer des Flusses heran, der die ganze Breite des Engpasses ausfüllte. Wir mußten fast eine Viertelstunde lang in den schäumenden Wellen reiten und gelangten dann in einen Thalkessel von wild-großartigem Charakter.

      Steil, schroff und himmelhoch stiegen die schwarzgelben Schieferwände, an dem Fuße mit wirren Steinmurren bedeckt, ringsum empor und bildeten im Süden mit einer gigantischen Felsenmauer eine kolossale Schlucht, die einer klaffenden Wunde im Haupt des Gebirges glich.

      Das war der Fuhm-es-Sahar; er führte hinab nach den Oasen des Siban. Die schroffen Felsen zur Rechten gehörten den Höhenzügen des Auresgebirges an; die dunklen Schieferwände zur Linken bildeten den Anfang des Dschebel Sultan. Zwischen ihnen lag das Karawanserai EI Kantara, wo wir für die Nacht Einkehr hielten.

      Der Seraidschi bereitete uns einen echt türkischen Kawuah, und nachdem wir unser frugales Abendbrot verzehrt hatten, wurden die Pfeifen angebrannt, und ich lehnte mich zurück, um den Gesprächen der anwesenden Reisenden zu lauschen, welche außer uns und zwei von Tolga kommenden Juden sämtlich Araber waren, deren Weg sich hier am ›Munde der Wüste‹ begegnete.

      Der Hauptsprecher war mein guter Hassan el Kebihr, welcher sich die größte Mühe gab, seinen Zuhörern einzuprägen, daß er Djezzar-Bei, der Menschenwürger, genannt werden müsse. Josef Korndörfer dagegen saß still neben mir und hielt, gelangweilt, seine Augen geschlossen. Nur zuweilen öffnete er sie, und dann vernahm ich entweder einen müden Seufzer oder ein zorniges Maschallah über die Selbstverherrlichung des Kubbaschi vom Ferkah en Nurab.

      Da kam die Rede auf einen Gegenstand, der mich außerordentlich interessierte. Der Seraidschi besaß nämlich eine kleine Hammelherde, von welcher, obgleich er sie während des Nachts in der Nähe des Serai eingepfercht hielt, schon einige Nächte hintereinander sich der Panther jedesmal ein Stück ohne Bezahlung geholt hatte.

      »Seraidschi!« befahl ich.

      »Sihdi!« antwortete er, näher tretend.

      »Weißt du gewiß, daß es ein Panther war?«

      »ja, Sihdi. Ich habe seine Spur gesehen. Sie ist groß und scharf; es ist ein Weibchen, das Allah verdammen möge! Ich bin ein armer Kawedschi (Kaffeewirt) und habe nur dreiundzwanzig Schafe. Kann die Mörderin nicht zu einem Reicheren gehen? Ein Männchen würde die Herde eines Armen nicht berauben!«

      Der zornige Moslem schien von dem Rechts- und Schicklichkeitsgefühle des weiblichen Teils des Tierreiches keine allzu galante Meinung zu hegen.

      »Warum tötest du sie nicht?« fragte ich ihn.

      »Das Weib des schwarzen Panthers töten, Sihdi? Weißt du nicht, daß unter ihrem Felle der Scheitan wohnt, der jeden zerreißt, der es beschädigen will?«

      »Und weißt du, daß unter deiner Haut el Schubak wohnt, der Satan der Angst, der dein Herz verschlungen und dein Blut getrunken hat? Du bist ein Gläubiger und fürchtest dich vor einem Weibe! Allah schütze dein Haus, sonst kommt die Sultana des Panthers ins Serai, um auf deinem Diwan zu schlafen und aus deinem Schädel Kawuah zu trinken!«

      »Sie wird meine Herde verspeisen, aber meinem Hause fern bleiben, Sihdi! Weißt du nicht, daß vor jedem wilden Tiere geschützt ist, wer täglich dreimal das Surat el ikhlass betet?«

      »Das