Taste der Gegensprechanlage und sagte: »Frau Kahn hat sich heute krank gemeldet, was im Moment sehr schlecht ist.«
Er sah, wie ihm der Fahrer mit Kopfnicken zustimmte.
»Sie brauchen nicht auf mich zu warten«, sprach Kobas weiter.
Der Fahrer nickte wieder. Er kannte den Weg zu Frau Kahns Wohnung, denn Frau Kahn war seit Jahren Jan van Rooyens persönliche Sekretärin. Und da war es schon öfters vorgekommen, dass wichtige Unterlagen bei ihr zuhause abgeholt werden mussten, wenn auch nicht vom Chef persönlich.
Es war heiß im Fond. Kobas wischte sich mit der Hand über die Stirn, griff dann nach einer Zeitung, schlug sie auf und tat, als würde er darin lesen. Erst als der Wagen zum Stillstand kam, legte er sie wieder zur Seite.
Kobas stieg so schnell aus, dass der Fahrer nicht dazu kam, ihm die Tür zu öffnen. Den Aktenkoffer in der Hand, schritt er auf das moderne Haus zu, in dem Frau Kahns Wohnung lag. Ihr Wagen stand direkt davor. Bei der Haustür angekommen, klingelte er. Hinter ihm fuhr der Fahrer mit der Limousine davon. Fast gleichzeitig surrte der elektrische Türöffner.
Im fünften Stock angekommen, öffnete ihm die Frau die Wohnungstür. Ohne ein Wort zu sagen, trat Kobas ein. Auf dem runden Holztisch lag die gelbe Plastiktüte, daneben die schwarze Perücke und die Sonnenbrille. Kobas ging zum Fenster, schaute auf die Straße hinunter.
»Wenn er nur nicht frühzeitig zu sich kommt«, sagte er.
Die Frau lächelte und kam auf ihn zu. Dicht vor ihm blieb sie stehen. Ihre Hände berührten sein Gesicht, die Finger fuhren die Rundung seines Kinns ab. »Ist alles gut gelaufen?«, fragte sie.
»Ja«, antwortete er trocken.
»Hat der Fahrer nichts bemerkt?«, wollte sie weiter wissen.
»Nein, aber vielleicht wäre es besser gewesen, mich nicht von ihm hierher fahren zu lassen.«
»Das musste sein«, antwortete sie ihm. »So was wie ein erster, ungefährlicher Test. Mach dir da also mal keine Sorgen.«
»Van Rooyen muss aus dem Kofferraum, bevor er zu sich kommt«, sagte Kobas.
Sie verließen die Wohnung, stiegen in Frau Kahns Wagen und fuhren los. Kobas hatte die gelbe Plastiktüte, einschließlich der schwarzen Perücke und der Sonnenbrille, mitgenommen.
Frau Kahn saß am Steuer. Der Wagen raste über eine Landstraße, bog dann in einen schmalen Weg ab, holperte später über einen Waldweg und kam vor einem kleinen Holzhaus zum Stillstand. Kobas und die Frau stiegen aus.
»Bringen wir ihn rein«, sagte Kobas.
Bevor sie den Kofferraum öffneten, holte die Frau Perücke, Sonnenbrille, Pistole und Chinesenmaske aus dem Wagen. Die Chinesenmaske übergab sie Kobas, der sie sich gleich aufsetzte. Mit der Perücke und der Sonnenbrille machte sie sich selbst unkenntlich, wozu sie kurz einen kleinen Spiegel zur Hilfe nahm.
Der Mann im Kofferraum bewegte sich. Doch er schaffte es nicht, sich aus eigener Kraft zu erheben. Das Tageslicht blendete ihn. Kobas half ihm. Torkelnd stand er dann neben dem Wagen. Die Frau richtete die Pistole auf ihn.
»Was wollt ihr von mir?«, flüsterte der Mann, der Jan van Rooyen hieß, mit trockenen Lippen.
»Mitkommen!«, drang Kobas Stimme durch die Chinesenmaske.
Sie stießen den Mann vor sich her. Er musste längst bemerkt haben, dass er sich auf dem Gelände seiner eigenen Waldhütte befand.
»Was wollt ihr von mir?«, flüsterte er nochmals. Und etwas lauter: »Ist das eine Entführung? Wollt ihr Geld? Lösegeld? Wie viel verlangt ihr?«
Van Rooyen bekam keine Antwort.
Der Schlüssel zur Hütte lag unter einem Stein neben dem Eingang. Kobas öffnete die rustikale Eingangstür. Drinnen war es stickig und dunkel, da die Fensterläden alle geschlossen waren. Frau Kahn leuchtet mit einer Taschenlampe in den Raum mit rustikaler Einrichtung: Tisch, drei Stühle, eine Kochnische und ein mit Naturstein gemauerter Kamin. Im Innern gab es eine Klappe im Boden.
»Los, runter!«, forderte Kobas den Mann auf.
Die Frau leuchtete mit der Taschenlampe in die Öffnung hinein. Eine schmale Treppe führte steil auf einen erdigen Boden hinunter.
»Nein, nein«, sagte der Mann. »Das könnt ihr nicht machen!«
»Unten ist alles vorbereitet«, erklärte Kobas. »Wir haben eine Liege installiert, ebenso gibt es eine Gaslampe.«
»Da unten leben Mäuse und Ratten«, sagte der Mann, der sich sehr unsicher auf den Beinen fühlte.
»Runter jetzt!« Kobas verlor bald die Geduld.
Der Mann stieg die schmale Treppe hinunter, wozu er sich mit beiden Händen ständig irgendwo festhielt. Kobas folgte ihm dicht, nahm die Taschenlampe von der Frau entgegen und leuchtete damit den kleinen, niedrigen Keller aus. In einer Ecke stand eine Liege. Die Frau hatte die steile Treppe – die eher eine Leiter mit breiten Sprossen war – ebenfalls hinter sich gebracht, nahm die Taschenlampe wieder an sich.
Kobas schubste den Mann zur Liege und fesselte ihm Hände und Füße. Die Frau kam mit einer Spritze.
»Es ist besser, wenn du noch eine Runde schläfst«, bemerkte Kobas.
»Nein, nicht, bitte nicht«, bettelte van Rooyen. Doch da drang die Nadel schon ein.
Kapitel 2
Die letzten Stunden waren für Kobas wie in einem Traum vergangen, nur kälter, unbeteiligter und mechanischer, als etwas, das irgendwie außerhalb seiner sonstigen Person lag. Ihm fehlte der Zugang zu den einzelnen Ereignissen, er schaffte es nicht, mit ihnen innerlich in Berührung zu kommen.
Dieser traumartige Zustand hatte ganz plötzlich den anderen Film verdrängt. War das gut so? Gar absolut notwendig, um den Plan weiter durchführen zu können? Oder hatte er seine Person schon zum Teil verlassen, um Schritt für Schritt Jan van Rooyen zu werden?
Soweit war er in seinen Plänen nie gegangen. Ja, es existierte eine Verbindung zwischen ihm und Jan van Rooyen, doch an die wollte, durfte er im Moment nicht denken. Sollte es aber nötig werden, mit der äußerlichen Erscheinung auch das innere Wesen zu wechseln – gut, dann gab es eben eine solche Gesetzmäßigkeit, der sich Kobas offenbar nicht entziehen konnte.
Etwas wie Angst umkreiste ihn. Sein Blick suchte die Gestalt der Frau, die den Wagen steuerte. Sie hatten van Rooyen in dem Waldhaus allein und gefesselt auf dem Bett zurückgelassen.
»Hast du ihm nicht zu viel von dem Zeugs gespritzt?«, brach er das Schweigen.
»Vielleicht werden wir ihn später sowieso umbringen müssen«, sagte die Frau und schaute dabei unbeteiligt auf die Straße.
Kobas gab ihr darauf keine Antwort.
»Oder?«, wollte sie von ihm wissen.
»Ich dachte, du magst ihn irgendwie«, sagte Kobas.
»Und?«, fragte sie mit kaltem Blick. »Was hat das mit unserem Plan zu tun?«
Der Wagen hielt vor dem Firmengebäude der Investment, Holding & Immobilien GmbH, kurz IHI genannt. Kobas stieg mit dem Aktenkoffer aus, während Frau Kahn den Wagen parkte. Ohne auf sie zu warten, betrat er das Gebäude mit der verspiegelten Fensterfront.
Die beiden Damen in der Anmeldung begrüßten ihn freundlich. Außer heute morgen, als er von der Tiefgarage nach oben und durch die Empfangshalle gleich wieder auf die Straße hinausgegangen war, hatte er sich noch nie in diesem Haus aufgehalten. Und doch kannte er sich aus, denn Frau Kahn hatte ihm alles ganz genau aufgezeichnet. Diese Pläne steckten in seinem Kopf. Kein überflüssiger Schritt unterlief ihm. Und wie ihn die Angestellten alle begrüßten – mit so viel Höflichkeit, Respekt, ja, Ängstlichkeit. Hier war er im Reich Jan van Rooyens. Niemand bemerkte den falschen König. Aber es wartete noch einiges auf ihn. Doch er war nicht allein, er