Kurt, die junge Dame kann ja nicht nur Grenzen frech überschreiten, sondern auch minimalistisch Abbitte leisten. „Knapp drei Jahre lang lief meine Talkshow. Nach einiger Zeit modifizierten wir das Konzept und luden norddeutsche Prominente wie Musiker, Schauspieler, Autoren und Politiker ein.“
„Veränderte sich die Gesprächsatmosphäre als Sie statt Privatpersonen nun Prominente zu Gast hatten?“
„Eindeutig. Privatpersonen waren nicht gewohnt vor einer Kamera zu sprechen. Sie scheuten das Scheinwerferlicht. Von daher musste ich eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, in der die Gäste die Kameras und das ganze Studio drum herum möglichst vergessen und in das Gespräch mit mir abtauchen konnten. Ganz im Gegensatz zu den Promis. Diese sind sich immer der Öffentlichkeit hinter den Kameras bewusst und setzen sich aktiv ins Rampenlicht. Meist musste ich kräftig an der Oberfläche kratzen, um durch eine Hintertür den Blick auf die Rückseite ihrer Seelenkulisse für das Publikum zu erhaschen. Es handelte sich eher um ein Katz- und Mausspiel.“
„Klingt nicht enthusiastisch.“
„Doch, doch. Es beeindruckte mich schon, dass ich als normalsterblicher Bürger, der durch Zufall in eine eigene Talkshow gestolpert war, nun persönlich mit Prominenten sprach. Dieses Privileg schmeichelte meiner Seele und manchmal musste ich mich zuhause in meiner kleinen Butze schon kneifen, um festzustellen, dass dieser Teil meines Lebens real war.“
„Wie kam es zu ihrem Wechsel zu dem Privatsender?“
„Nachdem ich ungefähr drei Jahre im dritten Programm tätig war, bekam ich ein lukratives Angebot. Nicht nur finanziell reizte es mich, sondern ein gänzlich neues Talkshowprofil sollte entwickelt werden. Während der Talkshow wurde nicht nur mit den Gästen geredet, sondern sie wurden mit überraschenden Situationen konfrontiert. Dann galt es zu schauen, ob die Person, sich dieser Situation stellt oder der Konfrontation aus dem Weg geht. Der eine Studiogast sollte eine Vogelspinne anfassen, ein anderer eine Python. Bei einer anderen Person saß plötzlich die Ex-Freundin, die verhasste Schwiegermutter oder der seit langem vermisste Sohn im Studio. Am besten lässt es sich so zusammenfassen: Die spontane Konfrontation von alltäglichen Menschen mit kleinen nicht-alltäglichen Grenzerfahrungen.“
„Warum sind Sie nicht mehr als Moderator tätig?“
„Irgendwann wiederholte sich alles. Ich merkte, dass mir das politische Element fehlte und dass es mir mehr Spaß bereitet Sendungen zu konzipieren und vorzubereiten. Auch nervte es mich, dauernd im Rampenlicht stehen zu müssen. Die Verantwortlichen im Sender erkannten meine konzeptionellen und redaktionellen Fähigkeiten und unterbreiteten mir nach gut drei Jahren, das Angebot in eine andere
Redaktion zu wechseln. Hier entwarf ich zwei sehr erfolgreiche Sendungen und leitete beide als Chefredakteur. Da ich über mehrere Jahre hinweg die erfolgreichsten politischen Talkshows entwickelt und implementiert hatte, wurde ich vor acht Jahren dann zum Bereichsleiter befördert.“
Da sie nun den kleinen Kiosk am Strand erreicht hatten, beendete Helena mit leicht zynischen Unterton das Gesprächsthema: „Sie werden mir doch nicht übel nehmen, dass ich keine ihrer Sendungen kenne? In Griechenland wurden sie leider nicht ausgestrahlt. Aber das kann ja noch werden. Was halten Sie davon, wenn Sie sich in den Sand setzen und ich uns beiden was zu trinken hole. Was darf es sein? Etwas warmes oder kaltes?“
Ihre verbale Spitze überging Kurt erneut „Ein großes Alsterwasser bitte.“
Helena schaute ihn fragend an: „Alsterwasser – Das habe ich noch nie gehört.“
„In Bayern sagt man Radler. Scheinbar existiert in Griechenland nicht nur eine sehr kleine Auswahl an Talkshows sondern das Portfolio an Getränken scheint auch stark reduziert zu sein. Halb Bier, halb Zitronenlimonade“, stichelte Kurt.
Mit eng zusammengekniffenen Augen fixierte Helena ihn kurz, bevor sie sich abrupt umdrehte und sich in die Schlange vor dem Kiosk stellte.
Genauso wie er sich über Helena und ihre Kommentare erboste, verfluchte Kurt sein eigenes Mundwerk. Hätte er einfach den Mund gehalten, als sie ihre kleinen spöttischen Pfeile abschoss. Dieses kleine Luder von Anfang zwanzig schaffte es ihn auf eine innere Palme zu bringen. An diesem Punkt ähnelte sie eindeutig Susanne. Meist verhielt sie sich ganz offen, zugewandt, freundlich und interessiert und von einem auf den anderen Moment entfuhren ihrem kleinen süßen Schmollmund bissige und scharfe Wortsalven.
Während er Helena, die mit dem Rücken zu ihm in der Schlange stand, betrachtete, klingelte sein Handy.
Im Display sah er, dass es Achim war. Kurt teilte ihm den aktuellen Zwischenstand mit.
Inzwischen hatte sich Helena neben Kurt in den Sand gesetzt. Sie reichte ihm sein Alsterwasser und nuckelte am Strohhalm einer Colaflasche. Kurt nickte ihr kurz dankend zu und sprach weiter in sein Mobiltelefon. Auf Achims Frage, wie der abgesetzte Chefredakteur Huber reagiert habe, antwortete Kurt mit verbissener Wut, dass dieser noch nichts von seinem Glück wisse. Morgen werde er sich diesen Vollidioten zur Brust nehmen und dann schön zermalmen.
Während Kurt beim Telefonat über das Wasser schaute, beobachte Helena ihn. Bei den letzten Worten zog sie entsetzt die Augenbrauen hoch.
Achim fragte Achim noch nach Henning. Kurt erzählte, dass er wegen des Stresses im Sender lediglich über Zetteln auf dem Küchentisch und digitalen Kurznachrichten mit Henning Kontakt habe. Als Achim meinte, dass würde Manuela nicht gut heißen, entgegnete Kurt, dass er ihm bitte nicht auch noch ein schlechtes Gewissen machen möge. Henning stecke gerade in der Pubertät und stoße sich die Hörner ab. Bloß nichts dramatisieren, raunte Kurt entnervt in sein Handy und legte auf.
Dann drehte er sich zu Helena: „Entschuldigen Sie, aber bei mir auf der Arbeit geht es gerade drunter und drüber.“
„Ihre Worte klangen sehr dramatisch.“
„Einer meiner Chefredakteure hat trotzt mehrfacher Ermahnung erneut gegen Absprachen verstoßen. Leider fällt dieses auf mich als Bereichsleiter zurück. Bis heute Mittag sah ich mich schon als gekündigt an. Aber ich konnte meinen Programmdirektor ein Konzept vorlegen.“
„Und was passiert mit diesem Chefredakteur?“
„Der wird in einer anderen Redaktion Zuarbeiten verrichten. Haben Sie bloß kein Mitleid mit ihm. Wer solche Böcke vorsätzlich schießt, muss froh sein, wenn er noch weiterarbeiten darf“, ergänzte Kurt mit aggressiver Stimme.
„Wird er sich dieses gefallen lassen?“
„Hören Sie mal. Wegen dieses Idioten habe ich fast meinen Job verloren. Wenn der das Angebot nicht annimmt, dann werde ich ihn in meinem Büro erst in seine Einzelteile zerlegen und dann fliegt er raus. Da werden ihm auch keine Rechtsanwälte helfen.“
Die Wucht seiner Wut schien Helena zu überraschen. Sie nahm einen Anlauf das Gesprächsthema vorsichtig zu wechseln. „Sie haben Feierabend und ich will Sie nicht an die beruflichen Streitigkeiten weiter erinnern. Ihrem Telefonat entnahm ich, dass einer Ihrer Söhne gerade in der Pubertät steckt.“
„Eindeutig. Sorgen bereitet meiner Frau und mir, dass Henning Ecstasy konsumiert. Ob er daneben noch andere Drogen einnimmt, wissen wir nicht. Die Folgen von Alkohol- und Haschischkonsum im jugendlichen Alter kann ich aus meiner eigenen Geschichte noch einschätzen. Aber diese neumodischen Designer-Drogen sind uns nicht vertraut. Vielleicht können Sie das besser bewerten?“
„Tut mir leid. Ich trinke wenig Alkohol und habe in der Vergangenheit ein paar Mal mit meiner Mutter gekifft. Aber davon war mir nur schlecht.“
„Kifft Susanne etwa inzwischen?“
„Jetzt werden Sie bitte nicht spießig. Schließlich haben Sie auch selber Hasch geraucht.“
„Da war ich aber in einem anderen Alter.“
„Bis zu welchem Alter darf man ihrer Meinung nach denn kiffen? 18, 20 oder 25?“ fragte Helena, während ihre Augen genervt eine Runde drehten.
„Irgendwann ist man mit dem Thema durch.“
„Klingt ja so, als ob der Herr