Mark S. Lehmann

Die zweite Postkarte


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wo leben Sie? Sie bauen mehrfach Scheiße und wollen dann noch bejubelt werden.“

      „Von Ihnen, Herr Assens, lass ich mich nicht so einfach abspeisen“, stellte Huber mit rot glühendem Gesicht klar.

      „Ich schlage vor, dass Sie jetzt nach Hause fahren und sich bis morgen Mittag überlegen, welches Angebot Sie annehmen wollen.“

      „Wie hoch soll denn die Abfindung sein?“

      „Ein volles Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr!“

      „Was so billig wollen Sie mich loswerden. Das mache ich nicht mit!“

      „Das sind die Alternativen, basta! Morgen um 12.00 Uhr geben Sie mir Bescheid.“

      Wutentbrannt sprang Hubert auf und verließ den Raum.

      Kurt atmete durch; gleichzeitig war ihm bewusst, dass soeben die Probleme mit Huber die nächste Stufe erreicht hatten.

      Da es inzwischen Mittag war, schaute Kurt bei Andresen vorbei, um sich nach dessen zusätzlichen Ressourcenbedarf zu erkundigen. Dieser teilte ihm mit, dass er immer noch große Bedenken hinsichtlich der Realisierung der Zeitschiene habe.

      „Als Mindestes benötigen wir vier Redakteure, wovon zwei über exzellente Kenntnisse im Bereich worldwideweb, blogs, twitter und virtuelle, soziale Netzwerke verfügen müssten. Für den zusätzlichen organisatorischen Aufwand wären für die nächste Zeit zwei bis drei zusätzliche Assistentinnen erforderlich.“

      „Besten Dank Herr Andresen für die schnelle Zuarbeit. Ich schaue, was sich machen lässt.“

      Frau Leitmaier erhielt von Kurt den Auftrag, alle Mitarbeiter von BASTA!!! mit Ausnahme von Huber zu einer Redaktionssitzung um 13.30 einzuladen. Auf dem Weg zur Kantine lief ihm zufällig Ellwanger über den Weg.

      „Sie kommen mir gerade Recht Herr Ellwanger. Kommen Sie, ich lade sie zum Essen ein.“

      Mit skeptischem Blick schritt Ellwanger neben Kurt her. Als sie sich mit ihren Salattellern an einen Tisch gesetzt hatten, legte Kurt los.

      „Gute Nachrichten für Sie, Herr Ellwanger.“

      „Da bin ich gespannt. Trotz Sommerloch ist ja heute einiges im Haus los.“

      Nun wollte Kurt von ihm wissen, was denn so auf dem Herd der Gerüchteküche am Köcheln sei.

      „Mit Huber haben Sie wohl vorhin ein Hühnchen gerupft.“

      Kurt hatte schon geahnt, dass diese Nachricht durchs Haus stöbert. In der Regel liefen solche Nachrichten erst auf den unteren Redaktionsebenen durch den Sender und die Chefredakteure erfuhren es erst, wenn es für das andere Personal schon alte Kamelle waren. Unter diesen Voraussetzungen entschied Kurt sich gegenüber Ellwanger mit offenen Karten zu spielen. „Die Nachricht eilt ja überraschend schnell durch den Sender. Im Vertrauen, Herr Ellwanger, bevor Sie es aus zweiter Hand erfahren: Das Hühnchen, das ich angeblich mit Huber zu rupfen hatte, hat eher die Dimension eines ausgewachsenen Truthahns.

      Wegen der letzten BASTA!!!-Sendung äußerte die Geschäftsführung ihre Missbilligung. Da es zum wiederholten Male deswegen Ärger gab, wurde entschieden, dass die Sendung abgesetzt wird. Stattdessen erhalten Sie nun den Sendeplatz von ´BASTA!!!` am Dienstag um 21.45. Gute Nachricht oder?“

      Ellwanger schaute sprachlos durch die Kantine. Seit Jahren kämpfte er darum, dass er zur gleichen Uhrzeit wie Scharzhofer senden darf und nun fiel ihm dieser Wunsch wie ein abgeschossener Fasan in den Schoß.

      „Grandios“, entfuhr ihm als erstes Wort. Dann erwachte er langsam aus seiner Gedankenwelt.

      „Herr Assens, ich hätte mit Ihnen sowieso noch ein Thema innerhalb der nächsten Tage angesprochen. Eine meiner Redaktionsassistentinnen hat mir gestern mitgeteilt, dass sie mit ihrem Freund bald nach Stuttgart umzieht, da er dort eine neue Stelle antreten wird. Auch wenn generell im Sender Stellen nicht sofort nachbesetzt werden, würde ich möglichst schnell die Nachfolge regeln.“

      „Kein Problem, ich denke innerhalb der nächsten zwei Wochen ist dieses möglich“, sagte Kurt spontan und stand auf. Nun schoss die Sprachlosigkeit erneut in Ellwangers Zunge. Während Huber zerpflückt wurde, jagte bei ihm selber ein Weihnachtsgeschenk das andere. Ungläubig schaute er Kurt Assens hinterher.

      Um 13.30 machte sich Kurt auf den Weg in den Konferenzraum der BASTA!!!-Redaktion. Mit seinem Eintreten in den Raum erstickte das leise Murmeln. Kurt nahm bewusst auf Hubers Stuhl an der Stirnseite des Konferenztisches Platz. Dann ließ er seinen Blick einmal im Uhrzeigersinn über alle Gesichter fahren und schaute freundlich, aber bewusst jedem in die Augen.

      „Ich gehe davon aus, dass mein Auftritt heute Vormittag etwas überraschend für sie kam und er wird sicherlich einige Fragen bei Ihnen aufgeworfen haben. Die letzte BASTA!!!-Sendung hat einiges an externer Kritik ausgelöst, die dazu führte, dass die Geschäftsleitung sich einschaltete. Mit Ihrem Chefredakteur Huber wurden in der Vergangenheit wiederholt Gespräche hinsichtlich der journalistischen Gestaltung geführt und es wurden Ziele vereinbart. Herrn Huber ist es nicht gelungen, sich in dem vereinbarten Rahmen zu bewegen. Aus diesem Grund hat der Sender beschlossen, Herrn Huber abzusetzen.“

      Ein leichtes allgemeines Raunen ging durch die Reihen.

      „Und wer ist nun als Nachfolger erkoren“, fragte Werner Brockstein vom hinteren Ende des Tisches mit seiner nasal-krächzenden Stimme. Es verwunderte Kurt nicht, dass Brockstein als erster den Mund öffnete. Brockstein verfügte über langjährige Erfahrung. Seit der Geburtsstunde von BASTA!!! gehörte er der Redaktionsfamilie an. Seine blonde Popperfrisur wirkte wie ein Relikt der Achtziger Jahre und passte nicht zu seiner links-progressiven politischen Position. Gleiches galt für das gelbe Poloshirt, in dem der schlanke Körper eines Kettenrauchers steckte. Wenn jemand zu Vorurteilen neigte, so würde er an dem Widerspruch zwischen Brocksteins äußerer Erscheinung und seiner inneren politischen Haltung verzweifeln.

      Mit der kurzen Aussage, dass es keinen Nachfolger geben würde, zündete Kurt die Lunte, bevor er nach einer kurzen Pause die Bombe platzen ließ: „Auch wird keine weitere BASTA!!!-Sendung mehr ausgestrahlt werden!“

      Noch ehe Kurt das weitere Vorgehen erläutern konnte, gab es ein Konzert von lauten Zwischenrufen der Fassungslosigkeit und des Protestes. Brockstein verschaffte sich als erster Gehör: „Unglaublich, da tritt man den Politikern auf die Füße, zeigt dem Fernsehvolk ihre Fehlleistungen auf und die hohen Herrn des Senders kriegen kalte Füße und knicken ein. Wir werden doch von einer Ansammlung von Warmduschern geleitet. Brav der Politik und den großen Persönlichkeiten der Gesellschaft sabbernd hinterher rennen und artig sein. Solches Verhalten nenne ich Schleimertum und hat mit solidem Journalismus nichts zu tun.“

      Mit ihrem kräftigen Klopfen mit den Fäuste auf den Tisch unterstrichen alle Redaktionsmitglieder Brocksteins Ausführungen.

      „Ich kann ihre Entrüstung verstehen, aber journalistisches Handeln muss auch Spielregeln einhalten und sollte nicht dem Zynismus verfallen. Schon mehrere Gespräche wurden mit ihrem bisherigen Chefredakteur geführt. Allerdings hat Herr Huber die getroffenen Vereinbarungen ignoriert und damit die Sendung an den Abgrund geführt.“

      Nun meldete sich Andreas Mellburger, der die Sendung moderierte und als einziger dem Fernsehpublikum bekannt war. Mit seinen großen braunen Augen, der gebräunten Haut und dem akkuraten Seitenscheitelhaarschnitt galt er als der Schönling im Sender. Seine italienischen Maßanzüge in Anthrazit gepaart mit der warmen, Vertrauen erweckenden Stimme eines Mittdreißigers machten ihm zum Lieblingskandidaten aller Schwiegermütter.

      „Bis vor kurzem wurden wir noch für unsere Progressivität gelobt. Die Polarisierung in den Berichten verschaffte dem Fernsehsender große Aufmerksamkeit. Und für das werden wir jetzt bestraft werden. Skandalös.“

      Wieder zustimmendes Gebrummel.

      „Nichts spricht gegen eine progressive Berichterstattung. Allerdings darf der Bogen nicht überspannt werden und dieses ist aus Sicht der Geschäftsleitung zum wiederholten Male geschehen“ hielt Kurt dagegen.

      Brockstein