halb vier nach Hause. Als er mittags aufstand, stellten Manuela und Kurt ihn zur Rede.
Auf Manuelas Frage, ob er auch andere Drogen konsumiert habe, antwortete Henning mit einem kurzen „Wie kommst du denn darauf? Es wurden auf der Party verschiedene alkoholische Getränke gemischt. Die Cocktails sind mir nicht so gut bekommen.“ Damit war der Dialog beendet.
Seit diesem Tag beobachtete Manuela ihren Sohn mit Argusaugen. Lange hatte sie mit Kurt darüber debattiert, ob sie Henning alleine mit seiner Clique nach Ibiza fahren lassen dürfen. Schließlich hatte Kurt sich mit dem Argument durchgesetzt, dass sie gemeinsam diese Reise im Frühling erlaubt hätten und Henning sich sehr darauf gefreut habe.
Nachdem Manuela ihnen beiden Salat auf die Teller geschaufelt hatte, drehte sie sinnierend ihr Weinglas in der Hand: „Im Gegensatz zu Karsten meldet sich Henning nicht. Ich mache mir Sorgen!“
„Schick ihm doch eine SMS.“
„Das finde ich unpersönlich. Ich muss seine Stimme hören, um zu wissen wie es ihm geht.“
„Dann ruf ihn an.“
„Nee, dann denkt er, ich bin die Gluckenmama.“
„Bist du das denn nicht?“, sagte Kurt mit einem kleinen Grinsen.
„Mach dich nicht noch lustig über mich? Ich erlebe ihn seit Wochen distanzierter und verschlossener.“
„Waren wir das nicht als Jugendliche gegenüber unseren Eltern auch?“
„Karsten ist nicht so.“
„Vielleicht sollten wir uns eher Sorgen um ihn machen, weil er sich so ungewöhnlich verhält. No sex, no drugs, no Rock´n Roll.“
Manuela verdrehte genervt die Augen: „Immerhin muss er nicht Sonntagmorgens von Freunden nach Hause geschleppt werden und rennt dann wie ein Tiger im Käfig im elterlichen Wohnzimmer hin und her.“
„Oder wie der Panther in dem Gedicht von Rainer Maria Rilke.“
„Hör bitte auf! Ich glaube, dass Henning uns belogen hat, als wir ihn fragten, ob er noch was anderes als Alkohol zu sich genommen habe.“
Kurt vernahm den ernsten Unterton in Manuelas Stimme.
„Ich teile dein Misstrauen. Wie schon letztens gesagt, kenne ich dieses alberne Kichern aus meiner Schulzeit. Typisches Kiff-Phänomen. Hast du alles deinen Eltern erzählt?“
Manuela schüttelte den Kopf „aber ich habe auch nicht gekifft!“
„Dafür hast du einige Liebesabenteuer deinen Eltern unterschlagen.“
„Illegaler Drogenkonsum ist nicht gleichzusetzen mit jugendlichen Liebeleien.“
„Manuela, für mich war Kiffen damals ein Kick. Es stand für Verbotenes und Cool-sein. Viele haben gekifft und keiner von uns ist in die Drogenszene abgeglitscht.“
Manuela stach entnervt ein Salatblatt auf, das sie zügig in ihrem Mund verschwinden ließ. Kurt verstand das Signal. Keine weitere Diskussion. Um Manuela zu besänftigen, schlug er vor: „Wenn wir Morgenabend auf unserem Boot in Sonderborg sind, rufe ich Henning an. Ich frage ihn dann, ob es bei der Ankunftszeit des Fliegers am Sonntagabend bleibt.“
Er hielt ihr sein Glas zur Güte hin. Sie nahm ihres und stieß als Zustimmung an.
Kapitel 3
15. Juli 2011
Am nächsten Tag verließ Kurt zeitig sein Büro. Manuela hatte eingekauft und staufrei gelangten sie nach Dänemark.
Da der Mobilfunkempfang am Liegeplatz schwach war, ging Kurt nach dem Abendbrot bis zum Ende der Mole und versuchte Henning zu erreichen. Da nur die Mailbox ansprang, wählte er die Nummer des Festnetzanschluss im Ferienhaus von Inas Eltern.
Nach dreimaligen Freizeichen wurde der Hörer abgenommen. Aus dem Telefon schrillten laute, aggressive Beats.
„Hallo, wer ist da? Ich kann nichts hören; Moment, ich gehe raus“, sagte eine weibliche, leicht lallende Stimme. Nach einer halben Minute klang das Wummern der Bässe ab. „So jetzt kann ich hören. Wer ist da?“
„Hier ist Kurt Assens. Ich wollte kurz mit Henning sprechen.“
„Ola“, dann folgte eine kurze Pause, „ich vermute, der kann gerade nicht telefonieren.“
„Wieso nicht?“
„Ich glaube, der ist etwas breit.“
„Bist du es Ina?“
„Nein ich bin Steffi. Ina ist auch etwas breit.“
Kurts journalistischer Instinkt war alamiert: „Habt ihr jeden Abend so eine Sause? Was gibt es denn bei euch? Sangria, Cocktail, shit oder was?“
„Du bist lustig. Jeden Abend Sause und alles außer Brause“, reimte das weibliche Wesen am anderen Ende der Leitung und kicherte. „Willst du kommen und mitfeiern, dann bring Stoff mit“
„Welchen soll ich denn mitbringen?“
„Wie du willst, Süßer. So, jetzt gehe ich wieder rein.“
Nach einem „Ciao!“ folgte das Besetzzeichen. Kurt drückte die Wahlwiederholung, doch der Anschluss war weiterhin besetzt. Diese Party schien jeden Ballermann-Abend in den Schatten zu stellen.
Um Manuela nicht weiter zu beunruhigen, schilderte er ihr nicht die ganze Geschichte. Er erzählte, dass er nur eine Freundin von Ina und Henning erreicht habe. Ihr Sohn und seine Freundin seien heute Abend mit anderen auf einer Party. Dass er in der Musikhölle, in der sich ihr Sohn entweder sternhagelvoll oder bekifft befand, direkt angerufen habe, verschwieg er beflissentlich.
16. Juli 2011
Bevor sie am Samstagmorgen die Leinen lösten, schickte Kurt seinem Sohn eine SMS, in der er nach der Ankunftszeit des Fluges fragte.
Während Kurt bei angenehmen drei Windstärken das Boot durch den Alsensund nordwärts steuerte, las Manuela einen Roman.
Das Steuerrad in der Hand sinnierte Kurt über seinen Traum von Donnerstag nach. Mathematik gehörte wahrlich nicht zu seinen schulischen Leidenschaften. Seit seiner Kindheit hatte er viel gelesen und folglich hatte er Deutsch als Leistungskurs neben Englisch gewählt. Für die gleiche Kombination hatte sich auch Heinz entschieden, der schon in der Grundschule sein Sitznachbar war. In der Oberstufe nahmen sie beide an der Theater-AG teil. In der Sommernachtsinszenierung glänzte Kurt als verliebter Lysander, während Heinz den Elfenkönig Oberon spielte.
Am späten Nachmittag legten sie in Dyvig an und gingen in ein Restaurant. Beim Essens ging eine SMS von Henning aufs Kurts Handy ein „Wetter super, Stimmung auch, Ankunft morgen 20.45.“ Klang ganz so als ob ihr Sohn gerade nüchtern und bei klarem Kopfe sei. Lediglich dem alten Germanistiken in Kurt stieß missbilligend auf, dass vollständige Sätze nebst Verben in Zeiten der Kurzmitteilungen vom Aussterben bedroht waren.
17. Juli 2011
Als Manuela und Kurt den Flughafen erreichten, nahm gerade auch Hennings Flieger seine Parkposition ein. Wenigstens an diesem Punkt bestand eine wenn auch unbewusste Harmonie zwischen Eltern und Sohn.
Im Ankunftsbereich warteten bereits Inas Eltern. „Ich hoffe unser Haus steht noch“ sagte Inas Mutter mit einem Lächeln.
„Haben Sie Grund zur Sorge“, fragte Kurt.
„Nein, aber Sie wissen doch selber, wie es war, als wir selber jung waren, oder?“ erwiderte Herr Olten augenzwinkernd. In diesem Moment erschien die Clique in der Schiebetür.
„Ola, Ina“, rief Frau Sanchez-Olten und umarmte ihre Tochter innig, „ihr seht alle ein bisschen übermüdet aus. Waren wohl kurze Nächte oder?“
Auch Henning sah ziemlich mitgenommen aus. Kurt wuschelte ihm kurz durchs Haar. „Na alles klar?“
„Ja“,