Mark S. Lehmann

Die zweite Postkarte


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Eppendorf antwortete Henning auf die investigativen Nachfragen seiner Mutter, dass sie zweimal surfen waren und am Swimmingpool viel gefaulenzt haben.

      „Und abends?“

      „Gelegentlich Party in der Diskothek oder am Pool.“

      Kurt verkniff sich einen Kommentar. Weder wollte er Manuela weiteren Grund zur Beunruhigung geben noch seinen Sohn in die Enge treiben. Er hielt sich an einen seiner journalistischen Leitsätze: Über vieles kann man sprechen, aber nicht alles muss gesagt werden.

      18. Juli 2011

      Ironischerweise träumte Kurt in der Nacht, dass er kiffend mit Susanne in einem dunklen Raum saß. Sie hörten bei Kerzenschein laute Musik und kicherten. Plötzlich standen seine beiden Söhnen in der Tür. Sie trugen ihre Konfirmationsanzüge, schüttelten den Kopf und beschimpften ihren Vater. Henning nahm sein Handy aus der Tasche und drohte Kurt, dass er Manuela anrufe. „Mach es doch“, gröllte Kurt und knutschte wild mit Susanne. Schließlich erschien Manuela mit einem Gartenschlauch in der Hand. Stinkende Gülle sprühte sie auf Susanne und Kurt.

      Als die Jauche auf ihn nieder regnete, sprang der Wecker an und ermöglichte Kurt die Flucht in sein morgendlich lichtdurchflutetes Schlafzimmer.

      Er duschte und ging mit einem frischgebrühten Latte macchiato in den Garten.

      Neben der großen Trauerweide schob der kleine Steg seinen Finger in den Flusslauf der Alster. Kurt setzte sich in den alten Holzsessel, der auf dem Steg verwurzelt war. In der morgendlichen Brise wiegten sich die Zweige der Trauerweide wie Feenhaar.

      Kurt schlürfte an seinem Kaffee und grübelte über den Traum nach.

      Er entschied sich zum Treffen mit Susanne zu gehen, um ein offenes Kapitel im Buch seines Lebens schließen zu können.

      Schwieriger war die Frage, ob er Manuela über den Brief informieren sollte.

      Ehrlicher wäre es sie zu informieren; stressfreier hingegen das Treffen mit Susanne zu verheimlichen. Wie die Äste der Trauerweide im sachten Sommerwind wogen auch Kurts Gedanken hin und her.

      Unentschlossen fuhr er in den Sender. Nach der wöchentlichen Sitzung mit seinen Redaktionsleitern ging er in der Mittagpause in den benachbarten Park. Mit Abstand betrachtet, kam er zu dem Entschluss, dass es doch das Beste wäre Manuela über das Treffen mit Susanne zu informieren.

      Als er in sein Büro zurückkam, begrüßte ihn seine Büroleiterin Frau Leitmaier mit ihrem deftig bayrischen Akzent. Seit Kurt zum Leiter des Programmbereichs "Politische Unterhaltung" aufgestiegen war, waltete Frau Leitmaier diskret und zuverlässig als seine rechte Hand. In der Hektik des Senderalltags strahlte sie mit ihren 48 Jahren Ruhe aus. Sie trug ein helles, ärmelloses Kleid, das in harmonischem Kontrast zu ihrem schwarzen Pagenschnitt stand. Ihre braunen Augen schauten ihn an und sie teilte Kurt mit, dass er seine Frau umgehend zuhause anrufen möge. Kurt stutzte. Dass Manuela um Rückruf bat, kam gelegentlich vor, doch noch nie hatte Frau Leitmaier ihm die Nachricht mit dem Hinweis auf Dringlichkeit ausgerichtet. Kurt griff zum Hörer. Nach zweimaligen Freizeichen meldete sich Manuela.

      „Unser Sohn nimmt Drogen!“, schrie Manuela hysterisch, „ich habe seine Urlaubswäsche heute waschen wollen und in seiner Jeans drei Tabletten Ecstacy gefunden. Ich habe Henning zur Rede gestellt. Er hat es nicht geleugnet, beschimpfte mich, weil ich ihm nachspioniere und ist dann wütend aus dem Haus gerannt.“

      „Ich habe gleich noch eine Sitzung, danach komme ich gleich nach Hause.“

      Ob drei Ecstacy-Tabletten als Indiz für eine Drogenkarriere ausreichten, bezweifelte Kurt. Gleichwohl konnte er Manuelas Sorge nachvollziehen. Zu deutlich klingelten noch die exzessiven Technobeats aus dem Telefonat mit Ibiza in seinem Ohr.

      Als er zuhause ankam, tigerte Manuela unruhig durch die Küche. Von Henning gab es keine Spur. Nicht einmal die Mailbox sprang an, als Kurt ihn auf seinem Handy anrief. Schließlich rief Kurt bei Inas Eltern an. Henning war auch nicht bei seiner Freundin.

      „Ich wollte mit meinem Jungen einen Termin vereinbaren; aber immer dann, wenn man die Kinder erreichen will, ist ihr Mobiltelefon dummerweise gerade aus. Seien Sie doch so nett und sagen Henning, falls sie ihn heute noch sehen, er möge mich anrufen.“

      „Ja, ja, die Jugend und ihre Handys: Für ihre Freunde immer erreichbar und wenn die Eltern mal anrufen, ist der Akku gerade leer. Eigentümliche Zufälle! Ich sage Bescheid, wenn ich ihn sehe. Ihnen einen schönen Abend.“

      Als Henning um 23.30 immer noch nicht zuhause war, kam Manuela zur Überzeugung, dass sie eine Vermisstenanzeige aufgeben müssen.

      Kurt schüttelte innerlich den Kopf: „Was sollen wir der Polizei sagen, dass unser Sohn heute Mittag noch hier war und nach einem Streit mit seiner Mutter Reißaus genommen hat und nun seit zehn Stunden nicht mehr gesehen wurde?“

      „Henning hat so was noch nie vorher gemacht!“

      „Und das soll die Beamten überzeugen? Irgendwann ist immer das erste Mal, werden die sich denken.“

      „Hör auf“, schrie Manuela ihn an.

      Nun platzte Kurt der Kragen: „Was sollen wir denn auf die Frage antworten, weshalb du Streit mit Henning hattest? Willst du erzählen, dass du illegale Drogen in seinen Klamotten gefunden hast? Klar sucht dann die Polizei unseren Sohn, aber nicht, weil seine Eltern ihn vermissen, sondern wegen des Verdachts auf Drogenbesitz?“

      „Oh Gott“, hauchte Manuela mit weit aufgerissenen Augen und brach dann in Tränen aus.

      Kurt wiegte sie im Arm und strich ihr beruhigend über das Haar. So wie er Henning einschätzte, würde dieser versuchen, sich nachts heimlich ins Haus zu schleichen. Mühsam konnte er Manuela überzeugen, dass sie sich schlafen legt, während er im Wohnzimmer auf ihren Sohn warten würde.

      Kurt nahm sich das abonnierte Wochenmagazin, legte sich auf das Sofa und las den aktuellen Artikel über den Justizskandal.

      Kurt erwachte von einem Knacken. Er fuhr hoch, die Zeitung glitt zu Boden und dann hörte er den vergeblichen Versuch seines Sohnes lautlos über den Holzdielenboden im Flur zu gehen. Kurt ging in den Flur und sah wie Hennings Waden den oberen Teil der Treppe in Angriff nehmen wollten. „Moment mein Sohn – wie ein Einbrecher musst du dich doch wohl nichts in elterliche Heim schleichen, oder?!“ Henning erstarrte in der Bewegung wie ein von einer Schlange überraschtes Kaninchen.

      „Was hältst du davon, wenn wir beiden uns zusammensetzen?“

      Wortlos kam Henning die Treppe hinunter; Kurt ging in die Küche, nahm eine Mineralwasserflasche aus dem Kühlschrank, fühlte zwei Gläser und hielt eins Henning hin. Dieser nahm dieses als vorübergehendes Friedensangebot an.

      „Wo warst du denn die ganze Zeit? Deine Mutter rannte den ganzen Nachmittag wie ein Tiger im Wohnzimmer umher. Ihre Wege erkennst du an den abgewetzten Stellen im Teppich.“

      Kurt schaute Henning mit einem verschlafenen, dezent verschmitzten Grinsen an, um ihn zum Reden zu bewegen.

      „Ich war bei Lothar.“

      „Und was sagt Lothar zum Streit zwischen dir und deiner Mutter?“

      „Die soll sich nicht so haben, wegen ein paar Pillchen.“

      „Dass wir uns Sorgen machen, ist wohl verständlich.“

      „Mensch, Papa, ich bin kein Kind mehr.“

      „Das ist wahr, aber mit Drogen ist nicht zu spaßen.“

      „Was weißt du schon über Drogen?“

      „Wahrscheinlich mehr als du denkst. Aber ich glaube, es bringt nichts, jetzt zu diskutieren. Ich bin müde und froh, dass du wieder da bist.“

      Henning verdrehte die Augen und meinte: „Ja, ist wohl das Beste schlafen zu gehen.“

      „Damit ist das Thema für heute Nacht beendet. Morgen beim Abendessen reden wir weiter miteinander, abgemacht?“

      Kurt hielt Henning