erstarrte.
Als abends Manuela anrief, erzählte Kurt vom gemeinsamen Einkauf am Samstag mit Henning und dass Ina die Nacht bei Ihnen übernachtet hatte. Die zittrige Unruhe und die Respektlosigkeit des jüngsten Familienmitglieds unterschlug er.
Kapitel 5
25. Juli 2011
Früh wachte Kurt auf; Regen klopfte sanft gegen die Fensterscheibe des Schlafzimmers. Die Nacht hatte er sich im Bett hin und her gewälzt.
Wie ein Teenager in dessen Bauch Schmetterlinge vorm ersten Rendezvous nervös emporflogen, bewegte Kurt sich durch den Vormittag. Mechanisch erledigte er die Korrespondenz. Es fiel ihm schwer die Inhalte seiner Telefonate, kurz nach dem Auflegen zusammenzuhalten.
Aus dem sechsten Stock betrachtete er wie dunkle Wolken ihre feuchten Ladungen über den Dächer und Straßenschluchten abluden. Er entschied, das Wetter nicht als eine Vorwarnung für die Begegnung, die ihm gleich bevorstand, zu deuten.
Kurt ersehnte das Wiedersehen mit Susanne und spürte zugleich eine Unruhe. Da sie keine Adresse oder Telefonnummer im Brief angegeben hatte, konnte er weder zu- noch absagen. Susanne verließ sich darauf, dass er käme. Nun hatte er das Wiedersehen in der Hand. Wenn er nicht hinginge, würde sie dann plötzlich im Büro erscheinen, abends vom Regen durchnässt an der Haustür klingeln oder lautlos davonziehen - wie damals?
Die Furcht vor einem unangemeldeten Auftreten von Susanne in seinem familiären Umfeld und die Neugier ob ihres Beweggrundes trieb ihn am frühen Nachmittag aus seinem Büro.
Während die Scheibenwischer ihm den Blick auf den vom Regen benetzten Asphalt der Stadt ermöglichten, lenkte Kurt voller unbewusster Erwartungen sein Fahrzeug durch die Stadt.
Nachdem er mit Mühe einen Parkplatz gefunden hatte, stampfte er durch einige nassgraue Straßen des Universitätsviertels, durchstöberte in der letzten Viertelstunde vor dem Treffen die Jazzsammlung in einem Plattenladen ohne auch nur einen Titel bewusst wahrzunehmen. Um eine Minute nach Drei ging er durch die vertraute Tür des „Cafe zeitlos“ in die unvertraute Situation. Als Student hatte er lange Jahr als Tresenkraft in dem Cafe gejobbt, das immer noch von Charlotte betrieben wurde. Das Cafe lag in einer vom studentischen Volk belebten Straße auf der Ecke zu einer kleinen Nebenstraße. Dadurch drang Tageslicht von zwei Seiten in den Gastraum ein und erzeugte eine warme sonnendurchflutete Atmosphäre. Während vor zwei Jahrzehnten massive Kiefernmöbel, ein uriger Tresen mit Barhockern und ein alter Dielenboden im Cafe eine Stimmung erzeugten, die dem Gast das Gefühl vermittelte, er sei in einer großen WG-Küche zu Besuch, betonten nun ein Stabparkettboden aus Bambus, dunkel gebeizte, kubische Walnusstische und -hocker mit cremefarbenen Lederauflagen vor Bordeauxroten Wänden eine edleres Ambiente. Beide Seitenwände wurden durch eine durchgehende Bank mit hoher Rückenlehne aus Leder dominiert, davor quadratische Tische. Hinter dem Tresen, der ebenfalls in dunklem Holz gehalten war, verhinderte eine raue Ziegelwand in ihrer Derbheit, dass das Cafe zu elitär wirkte und durch eine vorgespielte Hochnäsigkeit das gemeine Hochschulvolk abschreckte. Eine Mischung aus kubistischen Leuchten, die über den Tischen hingen, und ein warmes Licht von zielgerichteten Strahlern, die großflächige Bilddrucke von Paul Klee an den Wänden elegant in Szene setzen, verströmte ein faszinierendes Wechselspiel von Behaglichkeit und kühlen Understatement. In der Widersprüchlichkeit der einzelnen Elemente hatte Charlotte ein harmonisches Ganzes geschaffen. Kurt bewunderte sie erneut für ihre Fähigkeit, dem gastronomischen und modischen Zeitgeist immer einen halben Schritt voraus zu sprinten.
Kurt ging davon aus, dass Susanne an ihrem alten Stammplatz rechts vom Tresen neben der Espressomaschine sitzen würde. Doch dort saß eine junge Frau. An einem weiteren Tisch turtelte ein studentisches Pärchen, drei Studentinnen schlürften lachend an ihren Latte Macchiato, während ihre Studienunterlagen vor ihnen ausgebreitet lagen. Einige Geschäftleute mit Aktenkoffer und vereinzelt mit Laptop saßen an den Tischen. An der linken Raumseite fand Kurt nahe am Fenster einen freien Tisch. Es setzte sich auf die lange Bank, so dass er das Cafegeschehen beobachten konnte. Charlotte war nicht im Laden. Zuletzt hatte Kurt vor einem Jahr das Cafe besucht und mit ihr nett geplaudert.
Kurt bestellte einen Cappuccino, beobachtete die Besucher, das Straßengeschehen sowie die ein- und ausgehenden Gäste und klopfte mit den Finger ein nervöses Staccato auf die Tischplatte. An der gegenüberliegenden Wand saßen zwei Frauen, die ungefähr in Kurts Alter waren und sich intensiv unterhielten. Zwei Tische von diesen beiden entfernt, saß eine elegant gekleidete Dame im gleichen Alter und rührte lang anhaltend in einem großen Becher. Sie hatte dunkle Haare, die wohl gefärbt waren, und hatte sich in einem Buch vertieft. Kurt betrachtete sie näher. Bis zu diesem Moment hatte er sich keine Gedanken gemacht, wie Susannes Äußeres sich nach über zwanzig Jahren verändert haben könnte. Doch je länger Kurt die drei Damen beobachte, um so sicher wurde er, dass keine von ihnen Susanne sein könnte.
Ist Susanne wohlmöglich etwas dazwischen gekommen oder wollte sie ihn provozieren oder sitzt nun woanders und beobachtet ihn? Die Zeit des ungewissen Wartens erhöhte seine Unruhe und vermehrte die widersprüchlichen Erklärungsversuche, die durch seine cerebralen Windungen irrten.
Die junge Frau am Tresen stand abrupt auf und kam direkt auf ihn zu. Intuitiv hielt Kurt den Atem an.
„Kurt Assens“ waren die beiden Worte, die ein bestimmendes Fragezeichen begleiteten. Kurt erstarrte und nickte kurz. Sie nahm selbstsicher einen Hocker.
„Sie gestatten?“ sagte sie scheinbar gelassen, doch Kurt nahm ein verstecktes Zittern in ihrer Stimme wahr. Selbst brachte er nur ein durch die Halsmuskulatur verursachtes Auf und Ab seines Kopfes zustande. Eine attraktive junge Frau saß ihm gegenüber; um die 1,75 groß, schlank, blonde, glatte Schulterlange Haare, und braune Augen. Sie trug eine blaue Jeans, die auf ihren schmalen Hüften saß. Über einem weißen T-Shirt mit Blumen in unterschiedlichen Rottönen, das Kurt an die Flower-Power-Bewegung erinnerte, trug sie eine dunkelrote Strickjacke. Ihre bunte Umhängetasche ließ sie lässig mit ihrer lindgrünen Regenjacke, auf den Boden gleiten. Ihr Mund mit hübschen Schmolllippen öffnete sich und eine leicht-rauhe Stimme warf ihm eine Frage entgegen.
„Sie wirken enttäuscht. Sicher erwarten Sie Susanne?“
„Wer sind Sie?
„Mein Name ist Helena; meine Mutter heißt Susanne Meyer.“
Kurt wurde heiß und eine Frage quoll hektisch aus ihm heraus: „Wann sind Sie geboren?“
„Ich wurde am 23.August 1991 in Griechenland geboren. Meine Mutter verließ Hamburg wie Sie wissen zwischen Weihnachten und Silvester 1989, reiste nach Indien, Thailand und Australien. 1990 ließ sie sich in Griechenland in einem kleinen Fischerdorf auf dem Peloponnes nieder und lernte Jorgos kennen.“
Kurts Anspannung ließ nach und seine Neugier stieg an. Einen kurzen Moment hatte er befürchtet, dass Helena seine Tochter sein könnte, doch Helenas Antwort schloss dieses aus. „Warum suchen Sie mich auf und nicht Susanne selbst?“
Helenas antwortete darauf verhaltend, für Kurts Empfinden ausweichend: „Ich wollte den Mann kennen lernen, der meine Mutter inspiriert hat, ihren vorgezeichneten Weg zu verlassen und sich auf eine ungewisse Welterkundung einzulassen.“
Auch wenn er es spannend fand ihrer Tochter zu begegnen, hätte Kurt lieber Susanne selbst getroffen. „Wo lebt Susanne und wie geht es ihr?“
„Seit meiner Geburt lebt meine Mutter in einem kleinen Dorf auf dem Peloponnes, gemeinsam mit Jorges und mir. Sie betreibt ein kleines Cafe am Hafen und genießt das einfache Leben. Gefällt Ihnen Ihr Leben?“
Die Direktheit der Frage überrumpelte Kurt, er zuckte kurz innerlich und atmete tief ein. „Mit welcher Absicht kommen Sie hier her?“
„Das sagte ich bereits. Mein Interesse ist es Sie näher kennen zu lernen.“
Ihre Penetranz und ihr dominant forsches Auftreten irritierte Kurt, daher betrat er einen Nebenschauplatz: „Sie können mir viel erzählen; warum sollte ich glauben, dass sie wirklich Susanne Tochter sind?“
„Weil