Emile Zola

Ein feines Haus


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Gefolge dieselben Cafés und dieselben verrufenen Orte abklapperte. Hinter dem großen schlotterigen Körper des einen konnte man stets mit Sicherheit die fahle kleine Gestalt des anderen erblicken.

      »Feste! Lassen Sie ihn nicht los!« sagte er unvermittelt wie ein Mann, der die Schläge beurteilt.

      Der Onkel verlor in der Tat den Boden unter den Füßen. Als Adèle nach dem Gemüse, wäßrigen grünen Bohnen, Vanille- und Johannisbeereis auftrug, entstand unverhoffte Freude rings um die Tafel; und die Töchter des Hauses mißbrauchten die Situation, um ihren Onkel die Hälfte der Flasche Champagner trinken zu lassen, für die Frau Josserand bei einem benachbarten Kolonialwarenhändler drei Francs bezahlte. Der Onkel wurde zärtlich, er vergaß seine Schwachsinnskomödie.

      »Zwanzig Francs, he! Weshalb zwanzig Francs? Ach, ihr wollt zwanzig Francs! Aber ich habe doch wahrhaftig keine. Fragt Gueulin. Nicht wahr, Gueulin, ich habe meine Börse vergessen, du hast im Café bezahlen müssen ... Wenn ich das Geld hätte, meine Kätzchen, würde ich es euch ja geben, ihr seid doch zu niedlich.«

      Gueulin mit seiner kalten Miene lachte mit dem Kreischen eines schlecht geschmierten Flaschenzugs. Und er murmelte: »Dieser alte Gauner!« Dann ließ er sich mit einemmal hinreißen und rief: »Durchsuchen Sie ihn doch!«

      Da stürzten sich Hortense und Berthe erneut ohne jede Zurückhaltung auf den Onkel. Das Gelüst auf die zwanzig Francs, das von ihrer guten Erziehung im Zaum gehalten wurde, machte sie schließlich toll; und sie ließen alle Rücksicht fahren. Die eine untersuchte mit beiden Händen die Westentaschen, während die andere die Finger bis zum Handgelenk in die Taschen des Überrocks versenkte.

      Jedoch der Onkel kämpfte, hintenübergeworfen, noch immer; aber ihn packte das Lachen, ein von den Rülpsern des Rausches zerschnittenes Lachen.

      »Ehrenwort! Ich habe nicht einen Sou ... Hört doch auf, ihr kitzelt mich ja!«

      »In der Hose!« rief Gueulin energisch, den dieses Spiel erregte.

      Und kurz entschlossen wühlte Berthe in der einen Hosentasche herum. Die Hände der Mädchen bebten, sie wurden beide brutal, sie hätten den Onkel noch geohrfeigt. Aber Berthe stieß einen Siegesschrei aus: aus der Tiefe der Tasche holte sie eine Handvoll Kleingeld hervor, das sie auf einen Teller streute; und dort lag in einem Haufen von Zweisousstücken und einigen Silbermünzen ein Zwanzigfrancsstück.

      »Ich habʼs!« sagte sie, während sie über und über rot und mit aufgelöstem Haar das Stück in die Luft warf und wieder auffing.

      Die ganze Tischgesellschaft klatschte in die Hände, fand das sehr drollig. Es entstand Getöse, das war die Fröhlichkeit des Abendessens. Frau Josserand betrachtete ihre Töchter mit dem Lächeln einer gerührten Mutter. Der Onkel, der sein Kleingeld wieder einsammelte, sagte mit lehrhafter Miene, wenn man zwanzig Francs haben wolle, dann müsse man sie verdienen. Und zu seiner Rechten und Linken schnauften müde und befriedigt die Töchter des Hauses mit noch bebenden Lippen und waren ganz entkräftet von ihrer Begierde.

      Es ertönte ein Glockenschlag. Man hatte langsam gegessen, die Gäste trafen bereits ein. Herr Josserand, der beschlossen hatte, ebenfalls wie seine Frau zu lachen, pflegte bei Tisch gern etwas von Béranger14 vorzusingen; aber seine Frau, deren poetischen Geschmack er verletzte, gebot ihm Schweigen. Sie beschleunigte den Nachtisch, zumal der Onkel, der mißmutig geworden war, seit man ihm das Geschenk von zwanzig Francs abgenötigt hatte, Streit suchte, indem er sich beklagte, sein Neffe Léon habe nicht einmal geruht, sich herzubemühen und ihm zum Namenstag Glück zu wünschen. Léon sollte erst zur Abendgesellschaft kommen. Als man sich endlich erhob, sagte Adèle, der Architekt von unten und ein junger Mann seien gekommen und befänden sich im Salon.

      »Ach ja, dieser junge Mann«, murmelte Frau Juzeur und nahm Herrn Josserands Arm an. »Sie haben ihn also eingeladen? Ich habe ihn heute beim Concierge gesehen. Er sieht sehr gut aus.«

      Frau Josserand nahm eben Trublots Arm, als Saturnin, der allein am Tisch zurückgeblieben war und den der ganze Radau um die zwanzig Francs nicht aus dem Schlaf geweckt hatte, in den er mit offenen Augen verfallen war, in einem jähen Wutanfall seinen Stuhl umwarf und schrie: »Ich will nicht, Himmelsakrament! Ich will nicht!«

      Gerade dies befürchtete seine Mutter immer besonders. Sie gab ihrem Mann einen Wink, er möge Frau Juzeur wegführen. Dann machte sie sich los vom Arm Trublots, der begriff und verschwand; aber er mußte sich wohl irren, denn er flitzte hinter Adèle drein nach der Küche hin. Ohne sich um den übergeschnappten, wie sie ihn nannten, zu kümmern, feixten Bachelard und Gueulin in einer Ecke und versetzten einander Klapse.

      »Er war ganz komisch, ich habe schon geahnt, daß heute abend so etwas kommt«, murmelte Frau Josserand ganz besorgt. »Komm schnell, Berthe!«

      Aber Berthe zeigte Hortense gerade das Zwanzigfrancsstück.

      Saturnin hatte ein Messer ergriffen. Er sagte ein um das andere Mal: »Himmelsakrament! Ich will nicht, denen werde ich den Bauch aufschlitzen!«

      »Berthe!« rief die verzweifelte Stimme der Mutter.

      Und als Berthe herbeieilte, hatte sie gerade noch Zeit, Saturnin bei der Hand zu packen, damit er nicht in den Salon ging. In Zorn geraten, schüttelte sie ihn, während er ihr mit seiner Verrücktenlogik alles auseinandersetzte.

      »Laß mich nur machen, sie müssen dran glauben ... Es ist besser, sage ich dir ... Ihre schmutzigen Geschichten habe ich satt. Die verraten uns alle.«

      »Das ist ja nicht zum Aushalten!« schrie Berthe. »Was hast du denn? Was schwatzt du da?«

      Von einer dumpfen Wut getrieben, sah er sie verstört an und stammelte: »Man will dich schon wieder unter die Haube bringen ... Niemals, hörst du! Ich will nicht, daß man dir was zuleide tut.«

      Das junge Mädchen konnte nicht umhin zu lachen. Wo habe er das denn her, daß man sie unter die Haube bringen wolle?

      Aber er nickte: er wußte es, er fühlte es.

      Und als seine Mutter eingriff, um ihn zu beruhigen, faßte er das Messer so fest, daß sie zurückwich. Sie zitterte indessen, daß dieser Auftritt zu hören sein könnte; schnell sagte sie zu Berthe, sie solle ihn wegbringen und ihn in sein Zimmer einschließen, während er, immer närrischer werdend, die Stimme erhob.

      »Ich will nicht, daß man dich unter die Haube bringt, ich will nicht, daß man dir was zuleide tut ... Wenn man dich unter die Haube bringt, schlitze ich ihnen den Bauch auf.«

      Da legte ihm Berthe die Hände auf die Schultern und sah ihn starr an.

      »Hör mal«, sagte sie, »verhalte dich ruhig, oder ich hab dich nicht mehr lieb.«

      Er schwankte, ein Ausdruck der Verzweiflung ließ sein Gesicht weich werden, seine Augen füllten sich mit Tränen.

      »Du hast mich nicht mehr lieb, du hast mich nicht mehr lieb ... Sag das nicht. O bitte, sag, daß du mich noch liebhast, sag, daß du mich immer liebhaben wirst und daß du nie einen anderen liebhaben wirst.«

      Sie hatte ihn beim Handgelenk ergriffen und führte ihn weg; er war folgsam wie ein Kind.

      Im Salon nannte Frau Josserand, ihre Vertraulichkeit übertreibend, Campardon ihren lieben Nachbarn. Warum habe Frau Campardon ihr nicht die große Freude bereitet mitzukommen? Und auf die Antwort des Architekten hin, seine Frau sei stets ein wenig leidend, erhob sie laut Einspruch; man hätte sie auch in Morgenrock und Pantoffeln empfangen, sagte sie. Aber ihr Lächeln ließ Octave, der mit Herrn Josserand plauderte, nicht los; alle ihre Liebenswürdigkeiten waren, über Campardons Schulter hinweg, an ihn gerichtet. Als ihr Gatte ihr den jungen Mann vorstellte, legte sie eine so lebhafte Herzlichkeit an den Tag, daß er in Verlegenheit geriet.

      Es trafen Gäste ein, beleibte Mütter mit mageren Töchtern, aus dem Büroschlaf nicht richtig erwachte Väter und Onkel, die Herden heiratsfähiger Töchter vor sich her trieben. Zwei mit rosa Papier verhüllte Lampen tauchten den Salon in Dämmerlicht, und darin ertranken die schäbigen alten Möbel mit ihrem gelben Samt, das Klavier mit der stumpf gewordenen Politur, die drei verräucherten Schweizer Ansichten, die schwarze Flecken auf die