Emile Zola

Ein feines Haus


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dir ... Er wird sich erkundigt haben, er wird erfahren haben, daß ich keinen Sou besitze.«

      Aber Frau Josserand erhob laut Einspruch.

      »Und die Mitgift, die dein Onkel dir geben will? Alle Welt kennt sie, diese Mitgift ... Nein, da steckt etwas anderes dahinter, er hat zu plötzlich abgebrochen ... Während des Tanzes seid ihr in den kleinen Salon hinübergegangen.«

      Berthe geriet in Verwirrung.

      »Ja, Mama ... Und als wir allein waren, hat er häßliche Dinge gewollt, er hat mich geküßt und mich dabei so hier gepackt. Da habe ich Angst gekriegt und habe ihn gegen ein Möbelstück gestoßen ...«

      Ihre Mutter, die wieder in Wut geraten war, unterbrach sie:

      »Gegen ein Möbelstück gestoßen, ach, du Unglückselige! Gegen ein Möbelstück gestoßen ...!«

      »Aber, Mama, er hielt mich ...«

      »Na und? Er hielt dich, was ist denn schon groß dabei? Steckt solche Gänse doch in ein Pensionat! Sag mal, was hast du eigentlich gelernt?«

      Eine Woge von Blut hatte Schultern und Wangen des jungen Mädchens überflutet. Berthe war verwirrt wie eine geschändete Jungfrau, und Tränen traten ihr in die Augen.

      »Es ist nicht meine Schuld, er sah so bösartig aus ... Ich weiß doch nicht, was man tun muß.«

      »Was man tun muß? Sie fragt, was man tun muß! He, habe ich dir nicht hundertmal gesagt, wie lächerlich dein scheues Getue ist? Du bist dazu bestimmt, in der Gesellschaft zu leben. Wenn ein Mann brutal ist, dann kommt es daher, daß er dich liebt, und es gibt immer Mittel und Wege, ihn auf nette Art und Weise zurechtzuweisen ... Wegen eines Kusses hinter einer Tür! Wahrhaftig, mußt du uns, deinen Eltern, das denn eigentlich erzählen? Und du stößt die Leute gegen ein Möbelstück, und du verpatzt Partien!« Sie setzte eine schulmeisterliche Miene auf und fuhr fort: »Es hat keinen Zweck, ich gebe die Hoffnung auf, du bist beschränkt, meine Tochter ... Dir müßte man alles eintrichtern, und das wird lästig. Da du nun mal kein Vermögen besitzt, mußt du die Männer eben mit etwas anderem fangen, begreife das doch. Man ist liebenswürdig, man macht zärtliche Augen, man vergißt seine Hand, man erlaubt die Kindereien, ohne sich etwas anmerken zu lassen; kurzum, man angelt sich einen Mann ... Glaubst du etwa, es ist deinen Augen zuträglich, wenn du heulst wie ein Schloßhund?«

      Berthe schluchzte.

      »Du regst mich auf, hör bloß auf zu heulen ... Mein lieber Josserand, befiehl doch deiner Tochter, sie soll sich mit dieser Heulerei nicht das Gesicht verhunzen. Das wäre der Gipfel, wenn sie häßlich wird!«

      »Mein Kind«, sagte der Vater, »sei vernünftig, hör auf deine Mutter, die immer Rat weiß. Du darfst nicht häßlich werden, Liebes.«

      »Und mich ärgert, daß sie gar nicht mal so übel ist, wenn sie will«, begann Frau Josserand wieder. »Na, wisch dir die Augen ab, schau mich an, als ob ich ein Herr wäre, der im Begriff ist, dir den Hof zu machen ... Du lächelst, du läßt deinen Fächer fallen, damit der Herr, wenn er ihn aufhebt, deine Finger streift ... Nicht so! Du plusterst dich ja auf, daß du aussiehst wie ein krankes Huhn ... Wirf doch den Kopf zurück, mach deinen Hals frei: er ist ja jung genug, daß du ihn zeigen kannst.«

      »Also so, Mama?«

      »Ja, das ist schon besser ... Und sei nicht steif, laß deine Taille schmiegsam sein. Bretter haben die Männer nicht gern ... Stell dich vor allen Dingen nicht albern an, wenn sie zu weit gehen. Ein Mann, der zu weit geht, ist hin, meine Liebe.«

      Die Standuhr im Salon schlug die zweite Stunde; und in der Aufregung dieses lang ausgedehnten Aufbleibens und in ihrem zur Sucht gewordenen Verlangen nach einer sofortigen Verheiratung vergaß sich die Mutter so weit, daß sie laut dachte, wobei sie ihre Tochter wie eine Puppe aus Pappe hin und her drehte.

      Schlaff, willenlos ließ diese sich alles gefallen; aber ihr war ganz schwer ums Herz, Angst und Scham schnürten ihr die Kehle zu. Mitten in einem perlenden Lachen, das zu versuchen ihre Mutter sie zwang, brach sie mit verstörtem Gesicht jäh in Schluchzen aus und stammelte: »Nein, nein! Das fallt mir so schwer!«

      Frau Josserand stand eine Sekunde empört und verdutzt da. Seit sie von Dambrevilles weggegangen war, saß ihr die Hand locker, es lagen Maulschellen in der Luft. Da ohrfeigte sie Berthe mit vollem Schwung.

      »Da! So langsam ödest du mich an! – So eine Trine! Wahrhaftig, die Männer haben recht!«

      Bei dem Ruck war ihr Lamartine, den sie nicht losgelassen hatte, zu Boden gefallen. Sie hob ihn auf, wischte ihn ab und begab sich, ohne ein weiteres Wort zu sagen, ihr Ballkleid königlich hinter sich herschleppend, ins Schlafzimmer.

      »Das mußte ja so enden«, murmelte Herr Josserand, der seine Tochter nicht zurückzuhalten wagte, die ebenfalls ging, sich die Wange hielt und noch heftiger weinte.

      Aber als Berthe im Finstern durch die Diele tappte, traf sie auf ihren Bruder Saturnin, der aufgestanden war und barfuß herumstand und horchte. Saturnin war ein großer, schlaksiger fünfundzwanzigjähriger Bursche mit seltsamen Augen, der infolge einer Gehirnentzündung ein Kind geblieben war. Wenn er auch nicht verrückt war, so setzte er, wenn man ihn ärgerte, doch das Haus durch Anfälle blinder Gewalttätigkeit in Schrecken. Allein Berthe pflegte ihn mit einem Blick zu bändigen. Als sie eine kleine Range gewesen, hatte er sie während einer langen Krankheit gepflegt und dabei wie ein Hund ihren Launen eines leidenden kleinen Mädchens gehorcht; und seitdem er sie gerettet hatte, war er von einer Schwärmerei für sie befallen, bei der jegliche Art von Liebe mitspielte.

      »Hat sie dich schon wieder geschlagen?« fragte er mit leiser und glühender Stimme.

      Besorgt darüber, ihn hier zu treffen, versuchte Berthe ihn zurückzuschicken.

      »Geh schlafen, das geht dich nichts an.«

      »Doch gehtʼs mich was an. Ich will nicht, daß sie dich schlägt! Sie hat mich wach gemacht, so laut hat sie geschrien ... Sie soll ja nicht noch mal anfangen, sonst dresche ich zu!«

      Da ergriff sie seine Handgelenke und sprach zu ihm wie zu einem aufbegehrenden Tier. Er unterwarf sich sogleich, er stammelte, während ihm wie einem kleinen Jungen die Tränen kamen:

      »Es tut dir sehr weh, nicht wahr? Wo ist dein Wehweh? Ich will ein Küßchen drauf geben.« Und da er in der Dunkelheit ihre Wange gefunden hatte, küßte er sie, benetzte sie mit seinen Tränen, wobei er immer wieder sagte: »Es ist wieder heil, es ist wieder heil!«

      Unterdessen hatte Herr Josserand, der allein geblieben war, seine Feder sinken lassen, da ihm das Herz vor Kummer allzu schwer war. Nach einigen Minuten stand er auf, um leise an den Türen zu horchen. Frau Josserand schnarchte. Im Zimmer seiner Töchter weinte niemand. Die Wohnung war schwarz und friedlich. Da kehrte er ein wenig erleichtert zurück. Er schraubte die blakende Lampe zurecht und begann mechanisch wieder zu schreiben. Im feierlichen Schweigen des eingeschlafenen Hauses rollten zwei dicke Tränen, die er gar nicht spürte, auf die Streifbänder hinab.

       Drittes Kapitel

      Gleich beim Fisch – Rochen von zweifelhafter Frische mit brauner Butter, den Adèle, diese Pfuscherin, in einer Woge von Essig ertränkt hatte – ermunterten Hortense und Berthe Onkel Bachelard, der zwischen ihnen saß, zum Trinken, schenkten abwechselnd sein Glas voll und sagten immer wieder: »Es ist dein Namenstag, so trink doch! Auf dein Wohl, Onkel!«

      Sie hatten das Komplott geschmiedet, sich zwanzig Francs schenken zu lassen. Jedes Jahr setzte ihre vorsorgliche Mutter so ihren Bruder zwischen die beiden und lieferte ihn ihnen aus. Aber es war ein hartes Stück Arbeit, das die ganze Gier zweier Mädchen erforderte, denen Träume von Louis-Quinze-Schuhen13 und fünfknöpfigen Handschuhen zusetzten. Damit der Onkel die zwanzig Francs herausrückte, mußte er völlig blau sein. Innerhalb der Familie war er von wildem Geiz, während er außerhalb auf wüsten Gelagen die achtzigtausend Francs verpraßte, die er jährlich beim Kommissionsgeschäft verdiente. Glücklicherweise war er an diesem Abend bereits angetrunken eingetroffen, weil er den Nachmittag