Emile Zola

Ein feines Haus


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Gestalten mit Toiletten, die man mühselig ausstaffiert hatte, ohne sich deshalb in sein Schicksal zu ergeben. Frau Josserand trug ihr feuerrotes Kleid vom Vorabend; allein um die Leute irrezuführen, hatte sie den Tag damit verbracht, Ärmel an das Mieder zu nähen und sich einen Spitzenumhang anzufertigen, um ihre Schultern zu verdecken, während ihre Töchter in schmutziger Unterjacke neben ihr wütend die Nadel hin und her gezogen und ihre einzigen Toiletten, die sie seit dem vorigen Winter so Stück für Stück änderten, mit neuen Garnituren aufgefrischt hatten.

      Nach jedem Anschlagen der Glocke kam Geflüster aus der Diele. Man plauderte leise in dem düsteren Raum, in den das gezwungene Lachen einer jungen Dame dann und wann einen falschen Ton hineinbrachte. Hinter der kleinen Frau Juzeur stießen Bachelard und Gueulin einander mit dem Ellbogen an, wobei sie Unanständigkeiten vom Stapel ließen; und Frau Josserand paßte mit beunruhigten Blicken auf die beiden auf, denn sie fürchtete, daß ihr Bruder sich vorbeibenehmen könnte. Aber Frau Juzeur konnte alles hören; ihre Lippen bebten leise, sie lächelte mit engelhafter Sanftmut über die schlüpfrigen Geschichten. Onkel Bachelard stand in dem Ruf, ein gefährlicher Mann zu sein. Sein Neffe hingegen war keusch. So schön die Gelegenheiten auch sein mochten, Gueulin lehnte die Frauen aus theoretischen Gründen ab, nicht etwa weil er sie verachtete, sondern weil er das fürchtete, was auf das Glück folgte: immer Scherereien, pflegte er zu sagen.

      Endlich tauchte Berthe auf. Sie ging rasch auf ihre Mutter zu.

      »Oje, hat das Mühe gekostet!« flüsterte sie ihr ins Ohr. »Er wollte nicht schlafen gehen, ich habe ihn eingesperrt und zweimal abgeschlossen ... Aber ich habe Angst, er schlägt da drin alles kaputt.«

      Frau Josserand zupfte sie heftig am Kleid.

      Octave, der in ihrer Nähe stand, hatte soeben den Kopf gewandt.

      »Meine Tochter Berthe, Herr Mouret«, sagte sie mit ihrer holdesten Miene und stellte sie ihm vor. »Herr Octave Mouret, mein Liebes.« Und sie blickte ihre Tochter an.

      Die kannte diesen Blick gut, der gleichsam ein Gefechtsbefehl war und in dem sie die Lehren vom vergangenen Abend wiederfand. Sogleich gehorchte sie mit der Willfährigkeit und Gleichgültigkeit einer Tochter, die sich nicht mehr um den Bart des Freiers zu scheren pflegt. Sie sagte ihre kurze Rolle ganz hübsch her, hatte die leichte Anmut einer bereits müden und in allen Themen bewanderten Pariserin, sprach mit Begeisterung vom Süden, wo sie niemals hingekommen war.

      An das steife Benehmen der unschuldigen Mädchen aus der Provinz gewöhnt, war Octave entzückt von diesem Geschnatter eines kleinen Frauchens, das sich kameradschaftlich anvertraute.

      Aber Trublot, der seit dem Ende der Mahlzeit verschwunden war, kam verstohlenen Schrittes zur Tür des Eßzimmers herein; und Berthe, die ihn bemerkt hatte, fragte ihn unbesonnenerweise, wo er herkäme. Er schwieg sich aus, sie stand betreten da; um sich aus der Verlegenheit zu helfen, stellte sie dann die beiden jungen Leute einander vor.

      Ihre Mutter hatte sie nicht aus den Augen gelassen, von nun an nahm sie die Haltung eines kommandierenden Generals an, leitete die Angelegenheit von dem Sessel aus, in den sie sich gesetzt hatte. Als sie meinte, die erste Plänkelei habe ein befriedigendes Ergebnis gezeitigt, rief sie ihre Tochter mit einem Wink zurück und sagte leise zu ihr: »Warte mit deinem Musizieren, bis Vabres da sind ... Und spiele laut!«

      Octave war mit Trublot allein geblieben und suchte diesen auszufragen.

      »Eine reizende Person.«

      »Ja, nicht übel.«

      »Das Fräulein in Blau ist ihre ältere Schwester, nicht wahr? Sie sieht nicht so gut aus.«

      »Bei Gott! Sie ist mager!«

      Trublot, der mit seinen kurzsichtigen Augen hinschaute, ohne etwas sehen zu können, hatte die Bulligkeit eines kräftigen, in seine Geschmacksrichtung verrannten Mannestieres. Er war befriedigt zurückgekommen und knabberte schwarze Dinger, in denen Octave zu seiner Überraschung Kaffeebohnen erkannte.

      »Sagen Sie mal«, fragte Trublot unvermittelt, »im Süden sind die Frauen wohl fett?«

      Octave lächelte und stand sich sogleich bestens mit Trublot. Beiden gemeinsame Ansichten brachten sie einander näher. Auf einem abseits stehenden Kanapee tauschten sie Vertraulichkeiten: der eine sprach von seiner Chefin aus dem »Paradies der Damen«, von Frau Hédouin, einer verdammt schönen, aber zu kalten Frau; der andere sagte, er sei bei seinem Börsenmakler, Herrn Desmarquay, von neun bis fünf in die Korrespondenzabteilung gesteckt worden, und dort bei seinem Chef sei ein fabelhaftes Dienstmädchen.

      Unterdessen hatte sich die Tür des Salons geöffnet, drei Leute kamen herein.

      »Das sind Vabres«, flüsterte Trublot und beugte sich zu seinem neuen Freund hinüber. »Auguste, der große, der ein Gesicht wie ein kranker Hammel hat, ist der älteste Sohn des Hausbesitzers: dreiunddreißig Jahre alt, dauernd Kopfschmerzen, die ihm die Augen hinaustreiben und die ihn einst daran gehindert haben, weiter Latein zu lernen; ein mürrischer Bursche, der Kaufmann geworden ist ... Der andere Théophile, diese gelbhaarige Mißgeburt mit dem schütteren Bart, dieser kleine achtundzwanzigjährige Greis, der von Husten- und Wutanfällen geschüttelt wird, hat es mit einem Dutzend Berufen versucht, hat dann Madame Valérie geheiratet, die junge Frau, die vorausgeht ...«

      »Ich habe sie schon gesehen«, fiel Octave ein. »Sie ist die Tochter eines Kurzwarenhändlers aus dem Viertel, nicht wahr? Wie diese kleinen Schleier doch täuschen können! Sie war mir hübsch vorgekommen ... Dabei sieht sie nur sonderbar aus mit ihrem verkrampften Gesicht und dem bleifarbenen Teint.«

      »Auch so eine, die nicht mein Traum ist«, meinte Trublot. »Sie hat prächtige Augen, es gibt Männer, denen das genügt ... Oje, ist die mager!«

      Frau Josserand hatte sich erhoben, um Valérie die Hände zu drücken.

      »Wie!« rief sie. »Herr Vabre ist nicht mitgekommen? Und auch Herr und Frau Duveyrier haben uns nicht mit ihrem Besuch beehrt? Sie hatten uns doch zugesagt. Oh, das ist aber sehr schlimm!«

      Die junge Frau entschuldigte ihren Schwiegervater, den sein Alter in seiner Wohnung zurückhalte und der im übrigen abends lieber arbeite. Was ihren Schwager und ihre Schwägerin angehe, so hätten sie ihr aufgetragen, für sie um Entschuldigung zu bitten, da sie eine Einladung zu einer offiziellen Abendgesellschaft erhalten hätten, von deren Besuch sie nicht Abstand nehmen könnten.

      Frau Josserand kniff die Lippen zusammen. Sie versäumte keinen einzigen Sonnabendempfang bei diesen Angebern aus dem ersten Stock, die geglaubt hätten, sie würden sich was vergeben, wenn sie an einem Dienstag in den vierten Stock hinaufgestiegen wären. Ihre bescheidene Teegesellschaft war freilich nicht so viel wert wie deren Konzerte mit großem Orchester. Aber nur Geduld! Wenn ihre beiden Töchter erst verheiratet waren und sie zwei Schwiegersöhne mit deren Familien hatte, um ihren Salon zu füllen, würde auch sie Chöre singen lassen.

      »Halte dich bereit«, flüsterte sie Berthe ins Ohr.

      Es waren etwa dreißig Personen anwesend, die sich ziemlich drängten, denn der den Töchtern des Hauses als Zimmer dienende kleine Salon wurde nicht geöffnet. Die Neuankömmlinge tauschten Händedrücke mit den Anwesenden aus. Valérie hatte sich neben Frau Juzeur gesetzt, während Bachelard und Gueulin ganz laut abfällige Bemerkungen über Théophile Vabre machten, den sie einen »Taugenichts« nannten, was sie komisch fanden. In einem Winkel saß Herr Josserand, der zu Hause so sehr in den Hintergrund trat, daß man ihn für einen Gast hätte halten können und man ihn stets suchte, selbst wenn er vor einem stand, und lauschte bestürzt einer Geschichte, die einer seiner alten Freunde erzählte: Bonnaud, er kenne doch Bonnaud, den ehemaligen Chef der Buchhaltungsabteilung bei der Nordbahn, der, dessen Tochter sich im vergangenen Frühjahr verheiratet habe? Also Bonnaud habe vor kurzem entdeckt, daß sein Schwiegersohn, ein sehr gut aussehender Mann, ein ehemaliger Clown sei, der zehn Jahre lang von einer Kunstreiterin ausgehalten worden sei.

      »Still, still!« murmelten eifrige Stimmen.

      Berthe hatte das Klavier geöffnet.

      »Mein Gott«, erläuterte Frau Josserand, »es ist ein anspruchsloses Stück,