Giacomo Casanova

Erinnerungen aus galanter Zeit


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sind?«

      »Nein, aber ich will, daß eine Frau, wenn sie sich aufrichtig der Liebe hingibt, sich erst nach einem Kampfe mit sich selbst hingibt; und ich will nicht, daß sie der ersten Regung einer schlüpfrigen Begierde weicht, sich dem ersten besten Gegenstand, der ihr gefällt, preisgibt, wie ein Tier, welches nur der Macht der Sinne gehorcht. Gestehen Sie, diese Griechin gab Ihnen ein sicheres Zeichen, daß Sie ihr gefallen; aber sie hat Ihnen ein ebenso sicheres Zeichen ihrer Roheit und einer Schamlosigkeit gegeben, welches sie der Schande, zurückgewiesen zu werden, aussetzte, denn sie konnte nicht wissen, ob Sie zu ihr ebenso galant sein würden, wie sie zu Ihnen. Mich hat die Sache in eine Verwirrung gestürzt, von welcher ich mich noch nicht erholt habe.«

      Ich hätte die Zweifel Bellinos aufklären und ihr falsches Räsonnement berichtigen können; aber eine derartige Mitteilung würde nicht zum Vorteile meiner Eigenliebe ausgefallen sein, und ich schwieg deshalb. Wir kehrten nach Hause zurück, und als ich abends den Wagen Don Sancios in den Hof fahren hörte, ging ich ihm entgegen: ich hätte darauf gerechnet, daß er mir die Ehre erweisen würde, mit mir und Bellino zu speisen. Der Spanier hob mit Würde und Höflichkeit das Vergnügen hervor, das ihm zu bereiten ich die Aufmerksamkeit gehabt, und nahm meine Einladung an. Die ausgesuchtesten Gerichte, die besten spanischen Weine und mehr als das alles, die Fröhlichkeit und die entzückenden Stimmen Bellinos und Cäciliens, bereiteten dem Kastilianer fünf köstliche Stunden. Er verließ mich um Mitternacht mit der Erklärung, daß er sie erst dann wahrhaft zufrieden erklären könne, wenn ich ihm verspräche, mit derselben Gesellschaft am folgenden Abend auf seinem Zimmer zu speisen. Ich mußte also meine Abreise noch um einen Tag verschieben; ich nahm die Einladung an. Sobald Sancio weggegangen war, forderte ich Bellino auf, sein Versprechen zu erfüllen; er aber sagte mir, Marina warte auf mich, und da ich noch den folgenden Tag bliebe, würde er Gelegenheit finden, mich zu befriedigen. Damit wünschte er mir eine gute Nacht und entfernte sich. Marinette kam, und obschon ein Jahr jünger als Cäcilie, fand ich sie doch ausgebildeter, und sie bewies mir, daß sie keine Novize mehr in dem Mysterium. Am andern Morgen ging ich aus, um Geld bei meinem Bankier zu holen, da ich nicht wissen konnte, was mir unterwegs begegnen würde; denn ich hatte genossen, aber zu viel ausgegeben, auch blieb mir noch Bellino, gegen den ich nicht weniger großmütig sein konnte als gegen seine Schwestern, wenn er ein Mädchen war. Das mußte sich im Laufe des Tages entscheiden, und ich glaubte des Resultates sicher sein zu können. Zur Zeit des Abendessens begab ich mich zu Don Sancio, welcher eine prächtige Wohnung hatte. Seine Tafel war mit massivem Tafelgeschirr gedeckt, und seine Bedienten waren in großer Livree. Er war allein; aber bald nach ihm kamen Cäcilie, Marina und Bellino, welcher aus Lust oder Laune weibliche Kleidung angezogen hatte. Die beiden Schwestern, welche gut angezogen waren, waren reizend; aber Bellino stach sie in seiner Frauenkleidung so sehr aus, daß mir nicht mehr der geringste Zweifel blieb.

      »Sind Sie«, sagte sie zu Don Sancio, »überzeugt, daß Bellino kein Mädchen ist?«

      »Mag er Knabe oder Mädchen sein, mir ist nichts daran gelegen. Ich halte ihn für einen hübschen Kastraten und ich habe schon ebenso hübsche gesehn.«

      »Sind Sie aber Ihrer Sache sicher?«

      »Valgame Dios!« erwiderte der ernste Kastilianer, »ich habe keine Lust, mir Sicherheit zu verschaffen.«

      Wie verschieden dachten wir! Da ich aber in ihm die Weisheit achtete, welche mir fehlte, so gestattete ich mir keine indiskrete Frage mehr. Aber bei Tische konnten sich meine Augen nicht von diesem entzückenden Wesen losmachen, meine lasterhafte Natur fand eine süße Wollust darin, ihm ein Geschlecht beizulegen, dessen es für mich bedurfte. Nach einem lukullischen Mahle sang Bellino mit einer Stimme, welche geeignet war, uns um das bißchen Vernunft zu bringen, welches die vortrefflichen Weine uns noch gelassen hatten. Ihre Gesten, der Ausdruck ihres Blickes, ihre Manieren, ihr Auftreten, ihre Haltung, ihre Physiognomie, ihre Stimme und besonders mein Instinkt, der mir für einen Kastraten nicht das Gefühl eingeben konnte, welches ich für sie empfand, alles dies bestätigte meine Hoffnung; aber ich wollte mich doch mit meinen Augen vergewissern. Nach tausend Komplimenten und tausend Danksagungen verließen wir den prachtliebenden Spanier und begaben uns auf mein Zimmer, wo das Mysterium endlich enthüllt werden sollte. Ich forderte Bellino auf, sein Wort zu halten, oder ich würde am nächsten Tage allein abreisen. Ich nehme Bellino bei der Hand und wir setzen uns zusammen am Kamine nieder. Ich schicke Cäcilie und Marina weg und sage: »Bellino, alles hat ein Ende; Sie haben mir Ihr Versprechen gegeben: die Sache wird bald abgemacht sein. Sind Sie das, was Sie sagen, so werde ich Sie bitten, auf Ihr Zimmer zu gehen; sind Sie das, was ich glaube, und wollen Sie bei mir bleiben, so gebe ich Ihnen morgen hundert Zechinen und wir reisen zusammen.«

      »Sie werden allein reisen und meiner Schwäche verzeihen, wenn ich Ihnen nicht Wort halten kann. Ich bin, was ich Ihnen gesagt, und kann mich nicht entschließen, Sie zum Zeugen meiner Schande zu machen, noch mich den schrecklichen Folgen aussetzen, welche diese Aufklärung haben könnte.«

      »Sie kann durchaus keine haben, denn sobald ich mich überzeugt, daß Sie das Unglück haben, das zu sein, was ich von Ihnen glaube, ist alles abgemacht, es wird keine Rede mehr davon sein, wir reisen morgen zusammen, und ich setze Sie in Rimini ab.«

      »Nein, ich bin fest entschlossen; ich kann Ihre Neugierde nicht befriedigen.«

      Als ich diese Antwort vernahm, wollte ich wieder Gewalt anwenden; im entscheidenden Augenblick stößt er mich weg, aber doch glaubte ich einen Mann erkannt zu haben. Voller Ekel und Bestürzung und beinahe über mich selbst errötend, schicke ich ihn weg. Seine Schwestern kommen zu mir, ich schicke sie weg mit dem Auftrage, ihrem Bruder zu sagen, daß er mit mir reisen könne und daß er meine Zudringlichkeit nicht mehr zu fürchten habe. Trotz der Überzeugung, welche ich erlangt zu haben glaubte, beschäftigte Bellino, wie ich ihn mir gedacht, noch immer meine Gedanken; ich wußte nicht, was ich denken sollte. Am folgenden Morgen reiste ich mit ihm ab, betrübt durch die Tränen der beiden reizenden Schwestern, und überschüttet mit den Segnungen der Mutter, welche mit dem Rosenkranze in der Hand das Paternoster betete. So war ich also unterwegs mit Bellino, der mich für enttäuscht hielt und nicht glauben konnte, daß ich noch neugierig auf ihn wäre; aber es dauerte nicht eine Viertelstunde, bis er sich überzeugte, daß er sich getäuscht; denn ich konnte meine Blicke nicht auf seinen schönen Augen ruhen lassen, ohne mich von einer Glut entzündet zu fühlen, welche der Anblick eines Mannes bei mir nicht hätte hervorbringen können.

      »Bellino«, sagte ich, »der Eindruck, den Sie auf mich machen, eine Art Magnetismus, der Venusbusen, welchen Sie meiner gierigen Hand preisgegeben haben, bekräftigen mich in der Überzeugung, daß Sie von anderem Geschlechte sind als ich. Erlauben Sie mir, mich davon zu überzeugen, und wenn ich mich nicht täusche, so rechnen Sie auf meine Liebe; wenn ich dagegen des Irrtums überführt werde, so rechnen Sie auf meine Freundschaft. Wenn Sie sich noch länger sträuben, so muß ich glauben, daß Sie ein grausames Studium daraus machen, mich zu quälen, und daß Sie ein ausgezeichneter Naturforscher sind und in den vermaledeitesten alten Schulen gelernt haben, daß das wahre Mittel, einem jungen Manne die Heilung von einer verliebten Leidenschaft unmöglich zu machen, darin besteht, ihn unaufhörlich zu reizen; Sie werden aber zugeben, daß Sie diese Tyrannei nur dann ausüben können, wenn Sie die Person, auf welche diese wirkt, hassen: und da die Sache sich so verhält, so müßte ich meine Vernunft zusammennehmen, um Sie ebenfalls zu hassen.«

      Ich sprach lang in diesem Tone weiter, ohne daß er ein Wort erwiderte, aber er sah sehr bewegt aus. Als ich ihm zuletzt sagte, daß ich in dem Zustande, in welchen mich sein Widerstreben gesetzt, genötigt sein würde, ihn ohne Schonung zu behandeln, um mir eine Gewißheit zu verschaffen, welche ich nur durch Gewalt erlangen könnte, erwiderte er mit Nachdruck: »Bedenken Sie, daß Sie nicht mein Herr sind, daß ich auf Treu und Glauben in Ihren Händen bin, und daß Sie sich eines Meuchelmordes schuldig machen würden, wenn Sie mir Gewalt antun wollten. Sagen Sie dem Postillon, daß er anhalte; ich werde absteigen und mich gegen niemand beklagen.«

      Auf diese kurze Rede folgte ein Strom von Tränen, und diesem Mittel habe ich nie zu widerstehen vermocht. Ich fühlte mich bis auf den Grund der Seele erschüttert und war beinahe davon überzeugt, daß ich im Unrecht. Ich sage beinahe, denn wäre ich überzeugt gewesen, so würde ich mich ihm zu Füßen geworfen haben, um ihn um Verzeihung zu bitten,