vom 11. September 2001 und dem am 9. November 2001 in Kraft getretenen Anti-Terror-Gesetz ist der Fokus auf die Verhinderung weiterer terroristischer Anschläge gerichtet. Dies umfasst auch die Einbeziehung möglicher Terrorgruppen oder Einzeltäter. Aus Reihen der Sicherheitsbehörden ist immer wieder zu vernehmen, dass die Frage nicht ist, ob ein Terroranschlag stattfinden wird, sondern wo. Auch hier werden Kriminalprognosen herangezogen, die dieses Dunkel aufhellen sollen.
Im Buch werden verschiedene Kriminalprognosen vorgestellt und mit Beispielsfällen hinterlegt. Gleichzeitig werden die Anwendungsmöglichkeiten für die polizeiliche Praxis herausgearbeitet. Aufgrund der Wichtigkeit der Nutzung von Kriminalprognosen haben wir das Kapitel „Prognosen im Polizeialltag“ eingefügt. Der polizeiliche Praxisbezug wird auch durch weitere Abschnitte im Buch, über Handreichungen und Formulierungshilfen deutlich.
Die Darstellung der Einsatzmöglichkeiten der verschiedenen Kriminalprognosen geht aber über den Bereich der Polizei hinaus und bezieht insbesondere den juristischen und den forensischen Bereich mit ein.
Dies ermöglicht eine umfassendere Beurteilung der dargestellten Prognosen und schärft den Blick über den Tellerrand hinaus. Eine solche Betrachtungsweise hilft den mit Kriminalprognosen beschäftigten Polizeibeamten dabei, Abläufe z. B. der Justiz besser zu verstehen und ihre eigene Vorgehensweise auf diese Abläufe einzustellen. Dadurch soll es den Polizeibeamten gelingen, ihre eigenen Aktenbestandteile rechtssicherer zu verfassen und möglichen Einwänden von Rechtsanwälten, Staatsanwälten oder Richtern entgegenzuwirken.
Bei der Auswahl der von uns dargestellten Kriminalprognosen haben wir uns davon leiten lassen, welche Prognosen in der polizeilichen Praxis eine Rolle spielen oder spielen könnten. Eine Auswahl war notwendig, weil die Vielzahl der Kriminalprognosen und deren Abwandlungen eine umfassende Darstellung nicht zuließ oder das Buch nicht mehr lesbar wäre.
Im Sinne der besseren Lesbarkeit haben wir bei Personenbezügen entweder die maskuline oder die feminine Form gewählt, gemeint sind jedoch immer alle Geschlechter.
Für Hinweise und Anregungen zu diesem Buch sind wir dankbar und freuen uns auf Ihre Rückmeldungen. Dafür bedanken wir uns im Voraus.
Gelsenkirchen, März 2021 | Die Autoren |
Das Verlangen, in die Zukunft sehen und wissen zu können, welches Ereignis demnächst eintreten wird, liegt in der Natur des Menschen. Dieses Verlangen betrifft auch die Frage danach, ob eine kriminelle Person ihr ganzes Leben lang delinquent bleibt und Straftaten verüben wird oder ihre kriminelle Karriere beendet.
In Deutschland werden Beschuldigte einer Straftat nach dem Strafgesetzbuch und anderen mit Strafe bewährten Nebengesetzen sanktioniert. Wesentlicher Zweck einer Strafe ist hierbei, die Individual- und die Generalprävention, sowie die Resozialisierung. Nebst der sanktionierenden Wirkung von Freiheitsstrafen spielt jedoch auch der Schutz der Bevölkerung vor weiteren potenziellen Rechtsgutverletzungen durch den Straftäter eine entscheidende Rolle.1 Aus diesem Grund greift die Polizei und Justiz auf Kriminalprognosen zurück, um bei straffällig gewordenen Personen die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Rückfalls sowie die allgemeine Gefährlichkeit des Täters zu beurteilen. Unter Kriminalprognosen sind Annahmen und Einschätzungen im Hinblick auf ein zukünftiges strafrechtliches Verhalten von Personen, sogenannten Delinquenten, zu verstehen, welche im Regelfall bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten sind.2 In diesem Zusammenhang wird die Kriminalprognose auch als Rückfallprognose bezeichnet.3 Diese Prognosen haben im Strafverfahren Einfluss darauf, welche strafrechtlichen Konsequenzen der Delinquent zu erwarten hat und welche Sanktionen festgesetzt werden. Hat dieser eine Freiheitsstrafe zu erwarten, kommt insbesondere die Beurteilung der Frage zum Tragen, ob die Voraussetzungen für eine Anordnung von freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung vorliegen.
Werden im Zuge von Haft und Unterbringung eines Straftäters Lockerungen und therapeutische Vollzugsmaßnahmen in Erwägung gezogen, ist vorerst eine Risikoanalyse und Gefährlichkeitseinschätzung der betroffenen Person vorzunehmen. Zielt eine Prognose darauf ab, Veränderungen an der Art des Vollzugs des Betroffenen zu bewirken, z. B. offener oder geschlossener Vollzug sowie Beurlaubungen, so ist die Rede von Lockerungsprognosen.
Die Anwendung von Kriminalprognosen verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele, durch welche schlussendlich auch der Vollzug von Freiheitsstrafen gerechtfertigt wird: Ein zukünftig straftatfreies Verhalten des Betroffenen sowie der Schutz der Gesellschaft.4 Es ist zu berücksichtigen, dass die Freiheit menschlicher Willensentscheidungen Prognoseeinschätzungen Grenzen setzt oder diese gar unmöglich macht. Es besteht ein hohes Restrisiko eines Irrtums bei einer Kriminalprognose.5 Ein Restrisiko negativer Prognosebeurteilungen bleibt also nicht aus.6 Tatsächlich soll die Quote von unzutreffenden Kriminalprognosen wegen Gefährlichkeit in Gewahrsam gehaltenen Personen zwischen 60 und 70 % liegen. Obwohl diese nach einer Entlassung vermutlich nicht rückfällig werden würden, bleiben sie aufgrund beschränkter Einschätzungen jedoch weiterhin in Verwahrung.7
In der polizeilichen Praxis werden durch Polizeibeamte Kriminalprognosen hauptsächlich bei der Anregung von Anträgen zum Erlass von Untersuchungshaftmaßnahmen, bei der Bearbeitung von Delikten der Häuslichen Gewalt, bei der Durchführung und Anordnung von erkennungsdienstlichen Maßnahmen, bei der Erstellung von Merkblättern sowie bei Bedrohungslagen gestellt. Bei der Durchführung von Maßnahmen im Rahmen des KURS-Programmes gilt das Gleiche. Darüber hinaus sind bei der polizeilichen Prognoseerstellung auch allgemeine Prognosen zur Kriminalitätsentwicklung oder Phänomenentwicklung sowie operative/strategische Prognosefelder zu berücksichtigen.
2. Allgemeine Angaben zur Kriminalprognose
Eine Prognose ist eine Vorhersage in die Zukunft. Laut Duden umfasst dies die Voraussage einer künftigen Entwicklung.8 Sie hat eine kriminaltaktische und kriminalstrategische Zielsetzung, insbesondere auf prognostische Aussagen zur Entwicklung der Kriminalität einzelner Delikte sowie krimineller Brennpunkte in Verknüpfung zur Kriminalgeografie. Insbesondere zur kriminologischen Regionalanalyse, d. h., es werden prognostische Aussagen zur Kriminalitätsentwicklung unter Beachtung wirtschaftlicher und struktureller Bedingungen getroffen. Kriminalprognosen beziehen sich somit auf die Vorhersage von zukünftigem kriminellen Verhalten und von Kriminalitätsentwicklungen. „Als eine Art Legalprognose kann man die Kriminalprognose ansehen, wobei die Frage ist, ob ein Mensch oder eine bestimmte Gruppe von Menschen zukünftig kriminell werden, also gegen das Strafgesetz verstoßen, unabhängig davon, ob sie bislang kriminell waren.“9 Viel schwieriger ist es, Prognosen für Straftaten zu erstellen, wenn die Person noch nie strafrechtlich aufgefallen ist und somit auch kein Verdacht auf eine Wiederholungstat prognostiziert werden kann, mit Ausnahme von Sexualstraftaten. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit liegt in der Begutachtung von Personen, die ihre Strafe verbüßt haben, um ihr potenzielles Rückfallrisiko zu beurteilen. Gerade bei Straftätern mit hoher krimineller Energie, wie u. a. Sexualdelinquenten, kann sie für weitere Entscheidungen herangezogen werden.
Die zu beurteilende Person darf nicht aufgrund ihrer Angliederung zu einer bestimmten, und ggf. zu einem gewissen Grad kriminellen, Gruppe benachteiligt werden.10 Die Zugehörigkeit zu einer delinquenten Gruppe kann aber sehr wohl ein negatives Kriterium sein. Die Menschenwürde soll geschützt werden, indem der Mensch nicht zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchung herabgewürdigt wird. Die Individualität eines jeden Menschen soll im Vordergrund stehen.11 Deshalb ist die Individualität einer Prognose unabdingbar.
Eine Kriminalprognose muss zudem aktuell sein. Da Prognosen in die Zukunft ausgerichtet sind, sollen weitere Straffälligkeiten verhindert und folglich keine weiteren Personen oder Sachen geschädigt werden. Somit dienen sie der Gefahrenabwehr. Deswegen wird in der Regel eine gegenwärtige Gefahr vorausgesetzt. Die Entwicklung der zu beurteilenden Person, insbesondere nach bereits erfolgten Sanktionen, muss dabei berücksichtigt werden, um einschätzen zu können, ob immer noch eine gegenwärtige