Norbert Wolf

Kriminalprognose und ihre Bedeutung für die Polizei


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      Des Weiteren sollte versucht werden, den konkreten Sachverhalt vollumfänglich zu ermitteln. Der Prognoseersteller hat möglichst viele Faktoren und Umstände der zu beurteilenden Person zu ermitteln und in die Analyse einzubeziehen. Bei einem Rückfall ist, vor Erstellung einer erneuten Prognose, noch nicht klar, ob diese Wiederholungstat nicht die letzte Tat der jeweiligen kriminellen Karriere darstellt. Deswegen müssen vor allem auch Umstände aus dem sozialen Bereich miteinbezogen werden.13

      Eine Kriminalprognose ist eine Vorhersage über die Wahrscheinlichkeit der erneuten Begehung einer Straftat.14

      Bei einem Ersttäter, der z. B. aufgrund einer Anzeige wegen Erschleichens von Leistungen, einer Beleidigung oder eines Diebstahls vor Gericht steht, werden grundsätzlich keinerlei Überlegungen angestellt, einen psychologischen Gutachter zu beauftragen, eine Prognose über dessen Gefährlichkeit zu stellen. Jedoch ist auch bei Ersttätern der Massen- und Kleinkriminalität ein Einstieg in den Beginn einer kriminellen Karriere möglich.

      Verurteilungen bei Ersttätern in diesen Deliktsbereichen sind eher unwahrscheinlich, da die Staatsanwaltschaft die Verfahren in der Regel nach § 153 ff. StPO einstellt. Diese Erkenntnis sollte bei den ermittelnden Polizeibeamten in solchen Fällen trotzdem zu einer kriminologischen Prognose zugunsten der Erstellung eines Merkblattes führen.

      In Fällen der Häuslichen Gewalt sind Kriminalprognosen grundsätzlich vorzunehmen und aktenkundig zu machen, um polizeiliche Folgemaßnahmen zu begründen.

      Mit Kriminalprognosen werden in den meisten Fällen Gefährlichkeits- oder auch Rückfallprognosen vorgenommen, die Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit bzw. das Risiko einer erneuten Straffälligkeit geben.15

      Bei einer Individualprognose wird eine einzelne Person betrachtet und ihr zukünftiges Legalverhalten prognostiziert. Die Prognose stellt Wahrscheinlichkeitsaussagen dar, die auf bisherigen Erkenntnissen über die betroffene Person basieren.

      Kollektivprognosen dagegen dienen der Prognoseerstellung im Hinblick auf die allgemeine Kriminalitätsentwicklung in einer gewissen Bevölkerungsgruppe, einem Gebiet oder innerhalb eines Zeitraums.16

      Bei Individualprognosen wird zwischen Frühprognosen und Rückfallprognosen unterschieden.

      In strafrechtlicher Hinsicht haben Frühprognosen keine Bedeutung, da es sich hierbei um die Prognoseerstellung bei noch nicht strafrechtlich in Erscheinung getretenen Personen handelt. Frühprognosen werden häufig bei Kindern/Jugendlichen verwendet, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie irgendwann strafrechtlich in Erscheinung treten könnten. Sie dienen ausschließlich der Prävention. Der Zweck liegt darin begründet, rechtzeitig erzieherische Interventionen einleiten zu können, um ein späteres Abgleiten in die Delinquenz zu vermeiden. Ein Beispiel hierfür ist das in Nordrhein-Westfalen angewendete Präventionskonzept „Kurve kriegen“.

      Rückfallprognosen beschäftigen sich mit der Frage, ob nach bereits begangenen Straftaten weitere Straftaten folgen werden.17

      Eine Besonderheit der Rückfallprognose ist die Urteilsprognose, die auf Antrag des beurteilenden Gerichts vor der Verkündung einer gerichtlichen Strafe erstellt wird. Diese Prognose dient der Strafzumessung. Das Gericht prüft beispielsweise, ob eine Sanktion nicht auch zur Bewährung ausgesetzt werden kann.18

      Eine weitere Besonderheit der Rückfallprognose stellt die Entlassungsprognose dar. Sie wird erstellt, wenn darüber zu entschieden ist, ob die restliche noch zu verbüßende Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Somit muss eine Prognose über das zukünftige Legalverhalten einer Person erstellt werden. Auch für Entscheidungen über eine anschließende Sicherheitsverwahrung wird eine Prognose benötigt.19 § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nennt diesbezüglich explizit die Gefährlichkeit einer Person für die Allgemeinheit aufgrund zuvor begangener Straftaten.

      Ist eine Person verurteilt, kann eine Vollzugprognose durchgeführt werden. Diese soll Aufschluss darüber geben, ob z. B. Lockerungen des Vollzugs der Freiheitsstrafe zielführend und möglich sind. Vollzugsprognosen werden regelmäßig gemäß § 11 Abs. 2 StVollzG erstellt.

      Weiterhin ist hier noch die Entlassungsprognose zu erwähnen. Diese wird nach Verbüßen der Sanktion angewandt und soll Aufschluss über das wahrscheinliche Verhalten in Freiheit geben. Diese Prognoseart kann auch nach einem Teil der Sanktion angewandt werden, um festzustellen, ob eine Reststrafe in Form einer Bewährung gemäß §§ 57, 57a StGB verbüßt werden kann.

      Letztlich wird eine Einweisungsprognose bei Angeklagten angewandt, bei denen der Verdacht besteht, dass eine Einweisung bzw. Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus, in eine Entzugsanstalt oder in eine Sicherungsverwahrung vonnöten sein wird.20

      Weiterhin wird mithilfe einer klinischen Kriminalprognose eine Lockerungsprognose erstellt.21 Auf Anordnung des zuständigen Gerichts beurteilt ein Psychologe z. B. gemäß § 11 StVollzG oder gemäß § 67 StGB, ob eine Lockerung der Strafe erfolgen kann.22

      Seit einer Änderung des „Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ vom 26. Januar 1998 (BGB1. I S. 160–163) ist ein neuer Aspekt bei den Anwendungsbereichen im Deliktfeld der Sexualstraftaten zu berücksichtigen. Dementsprechend ist bei Sexualstraftätern, die gemäß § 57 StGB vorzeitig entlassen werden könnten, eine klinische Prognose durchzuführen.23

      Es gibt verschiedene Arten, eine Prognose zu erstellen. Kriminalprognosen sind Komponenten strafrechtlicher Entscheidungen.24 Sie dienen aber auch zu strategisch-taktischen kriminalprognostischen Anwendungen. Schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurde versucht, Wiederholungsprognosen aufzustellen. Franz von Liszt wies bereits um das Jahr 1905 darauf hin, dass die Begehung eines Verbrechens auf einem Zusammenspiel von der Eigenart des Täters im Augenblick der Tat und den ihn umgebenden, äußeren Bedingungen beruht.25

      Um Chancen und Grenzen der Kriminalprognosen beurteilen zu können, müssen Gütekriterien der Kriminalprognose begutachtet werden. Gütekriterien sind Kriterien zur Beurteilung der Qualität von Daten, die bei einem Vorgang erhoben werden oder deren Qualität bei Analyseverfahren wichtig sind. Dabei fallen den drei Hauptkriterien Objektivität, Reliabilität und Validität die größte Bedeutung für die Beurteilung einer Kriminalprognose zu.

      Unter Objektivität versteht man die Unabhängigkeit des Ergebnisses von der untersuchenden Person oder von äußeren Bedingungen.26

      Unter den Begriff der Reliabilität versteht man Zuverlässigkeit bzw. Messgenauigkeit. Bei der Erstellung einer Prognose handelt es sich nur um Fremdbeurteilungen, wodurch Unterschiede zwischen den Werten der einzelnen Beurteiler/Gutachter essenziell sind.27

      Die Validität beschreibt die ständige Überprüfbarkeit und Nachvollziehbarkeit der verwendeten Prognosedaten.

      Innerhalb der Kriminalprognose unterscheidet man drei Hauptmethoden, welche in der Praxis am häufigsten Anwendung finden. Hierbei