Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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die schadensersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit heranzuziehen. Dies ist schon deshalb naheliegend, weil es im Strafrecht nicht um den Ausgleich materieller Interessen eines schwer geschädigten Patienten auf der einen Seite, eines wirtschaftlich potenten Krankenhausträgers (bzw. eines ebensolchen Versicherungsunternehmens) auf der anderen Seite, geht. Im Strafrecht steht hingegen [805]die mit sozialethischer Missbilligung verbundene Verurteilung des behandelnden Arztes als Individuum im Mittelpunkt. Deshalb ist es geboten, der in der zivilgerichtlichen Praxis erkennbaren Neigung zu einer richterlichen Fortune-Korrektur durch Anwendung der Aufklärungsrüge anstelle eines Kunstfehlernachweises[806] entgegenzutreten.

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      In diesem Zusammenhang ist an die Entscheidung des 2. Strafsenats in seiner bekannten Lederspray-Entscheidung zu erinnern, in der er ausgeführt hat, dass im Rahmen strafrechtlicher Produzentenverantwortlichkeit zwar „manches dafür [spricht], daß dieselben Pflichten, die für die zivilrechtliche Produkthaftung maßgebend sind, auch die Grundlage strafrechtlicher Verantwortlichkeit bilden …. Andererseits dürfen die schadensersatzorientierten Haftungsprinzipien des Zivilrechts nicht unbesehen zur Bestimmung strafrechtlicher Verantwortlichkeit benutzt werden.“[807] Hierbei kann es dann wie im Bereich von § 266 StGB[808] zu einer limitierten Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts kommen.[809] Bei der Untreue einerseits, der Reichweite der für eine wirksame Einwilligung gebotenen ärztlichen Aufklärung andererseits, handelt es sich um einen von der gesetzten Rechtsordnung nicht klar vorstrukturierten Bereich. Auch im arztstrafrechtlichen Zusammenhang geht es um die hinreichende Präzisierung strafrechtlich abgesicherter Handlungsvorgaben: Ein zivilrechtlich materiell erlaubtes bzw. als noch vertretbar eingestuftes Verhalten darf zwar strafrechtlich nicht sanktioniert werden.[810] Umgekehrt gilt diese Gleichsetzung von Zivil- und Strafrecht aber nicht. Angesichts des Subsidiaritätsprinzips (ultima ratio-Grundsatz) für den Einsatz des Strafrechts muss das Strafrecht nicht all das ahnden, was vom Zivilrecht missbilligt wird. Es gilt also ebenso wie bei § 266 StGB[811] ein strafrechtsautonomes Kriterium für die einschränkende Konkretisierung zu entwickeln.[812]

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      Zur Einschränkung der ärztlichen Aufklärungspflicht werden in der Literatur eine Reihe von Ansätzen vertreten:[813] Nach Albrecht muss dem Patienten nur eine hinreichende Vorstellung über das konkrete Risiko der mit dem Eingriff verbundenen Beeinträchtigung seiner körperlichen Unversehrtheit vermittelt werden.[814] Edlbauer fordert ein erhebliches Aufklärungsdefizit, das zu einer gravierenden Missachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten führt;[815] besondere Beachtung insoweit käme der Schwere des Eingriffs und der Dringlichkeit der Behandlung als Determinanten der Aufklärungspflicht zu. Wiesner will strafrechtlich nur Verstöße gegen die Grundaufklärung, also über Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, pönalisieren.[816] Hierbei schließt sie an Rosenau an, der die strafbewehrte Aufklärungspflicht auf ein zum Schutz des Patienten notwendiges Grundmaß dadurch beschränken will, dass dieser Aufklärung über Art und Schweregrad des Eingriffs sowie über die schwerstmögliche Beeinträchtigung erfährt, nicht aber bspw. über gleichwertige Behandlungsalternativen.[817] Riedmeier schließlich regt an, den strafbewehrten Umfang ärztlicher Aufklärung durch einen vom Arzt „angeregten“ Einwilligungsverzicht des Patienten einzuschränken,[818] während Swoboda einen Aufklärungsmangel nur dann für strafrechtsrelevant hält, wenn die Missachtung des Patientenselbstbestimmungsrechts durch den Arzt als verwerflich anzusehen ist.[819]

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      An diese Diskussion anknüpfend sei hier[820] folgende Lösung skizziert:

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      Eine – allerdings für sich allein noch nicht hinreichende – Einschränkung bietet der auch sonst im Bereich von Willensmängeln bei der Einwilligung vertretene, wenngleich keineswegs unumstrittene, rechtsgutsbezogene[821] Ansatz: Dem Patienten muss nur die hinreichende Einsicht darüber vermittelt werden, was während des Eingriffs mit seinem Körper geschieht (also bspw. Körperöffnung durch Operationsschnitt), wozu auch die mit dem Eingriff direkt verbundenen Risiken (bspw. Verletzung nahe gelegener Blutgefäße) zählen.[822] Ferner besteht eine rechtsgutsbezogene Aufklärungspflicht darüber, welche unmittelbaren körperlichen Auswirkungen dieser Eingriff entweder sicher (z.B. Organentfernung bzw. Amputation) oder möglicherweise (etwa Risiko einer Lähmung) nachsichzieht. Aufklärungsmängel hingegen, die sich auf mögliche Spätfolgen, also auf die über die durch den Eingriff als solchen bewirkten körperlichen Veränderungen hinausgehenden körperbezogenen Folgen des Eingriffs beziehen (bspw. gewisses Risiko späterer Unfruchtbarkeit nach einem Schwangerschaftsabbruch[823]), also in der Diktion Merkels[824] auf nichtverletzende Nebenumstände, sind von vornherein nicht geeignet, eine wirksame (rechtsgutsbezogene!) Einwilligung des Patienten in Frage zu stellen. Entsprechendes gilt für eine fehlerhafte Diagnose-[825] und Alternativenaufklärung[826] sowie für eine verspätete Aufklärung,[827] sofern dem Patienten noch hinreichend verdeutlicht werden konnte, worauf er sich körper- und gesundheitsbezogen einlässt. Die in diesen Fällen vorliegende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten kann über das zivilrechtliche Schadensersatzrecht ausgeglichen werden, einen Anwendungsfall des Körperverletzungstatbestandes von § 223 StGB stellt sie nicht dar.[828] Entsprechendes gilt erst recht für sonstige, von vornherein nicht körperbezogene Aufklärungsfehler, wie sie dem Arzt etwa im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Aufklärung unterlaufen mögen,[829] sowie selbstredend für die im Rahmen zivilrechtlicher Beweiswürdigung (§ 630h Abs. 3 BGB) relevanten Dokumentationsverstöße.[830]

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      In den Fällen, in denen der behandelnde Arzt seinen Patienten arglistig über den eigentlichen Eingriffszweck getäuscht hat – dies war etwa im Bandscheiben- bzw. Bohrerspitzen-Fall[831] gegeben – gelten die Regeln, die allgemein für entsprechende Fälle eines auf arglistiger Täuschung beruhenden Willensmangels des Einwilligenden Anwendung finden:[832] Die Täuschung ist dann von Belang, wenn sie zu einer rechtsgutsbezogenen Fehlvorstellung des Patienten führt (bspw. bei der Täuschung des Patienten darüber, dass Körperteile entfernt werden sollen). Dies war im Bohrerspitzen-Fall nicht gegeben: Der Patient wusste, dass seine Schulterkapsel geöffnet werden sollte.[833] Zusätzlich wird man in derartigen Fällen eine unwirksame Einwilligung aber auch dann anzunehmen haben,[834] wenn zwar nicht der Irrtum als solcher rechtsgutsbezogen ist, durch die arglistige Täuschung für den Einwilligenden aber eine Situation rechtsgutsbezogener Unfreiheit geschaffen wird, die, wäre sie durch eine entsprechende Drohung herbeigeführt worden, eine wirksame Einwilligung gleichfalls ausschließen würde. Dies würde bspw. bei der Einwilligung einer Mutter in eine angeblich für ihr lebensgefährlich erkranktes Kind (in Wahrheit aber für einen Dritten) dringend benötigte Blutspende zu gelten haben oder bei der ärztlichen Vorspiegelung, eine in Wahrheit zur Behebung eines (verschwiegenen) Fehlers bei der Erstoperation (abgebrochene Bohrer-Spitze) indizierte Operation sei unerlässlich, da andernfalls wegen körperbedingter postoperativer Komplikationen eine Lähmung des Schultergelenkes drohe.

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      Dieses Kriterium hinreichenden Rechtsgutsbezugs kann aber nur ein erster, für sich allein genommen noch nicht genügender Filter sein. Gerade bei der Risikoaufklärung[835] besteht rechtliche Ungewissheit über deren gebotene Reichweite. Dies ist im Grunde unvermeidlich, da hierbei auf die spezielle Situation des Patienten abzustellen ist.[836] Deshalb sollte der erste Filter (hinreichender