Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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ergänzt werden.[837] Ein derartiger Aufklärungsmangel sollte entsprechend den Kriterien bestimmt werden, die die zivilrechtliche Judikatur zum „groben Behandlungsfehler“ (Rn. 117) entwickelt hat. Hiermit wäre auch ein gewisser Anschluss zur strafrechtswissenschaftlichen Diskussion[838] um eine angemessene Reduzierung ärztlicher Sorgfaltspflichten in Bezug auf Behandlungsfehler[839] hergestellt. – Die gebotene, einengende Konturierung des – angesichts überbordender zivilrechtlicher Judikatur kaum noch handlungsleitend wirkenden – Umfangs der Risikoaufklärung sollte anhand des Leitmaßstabs einer (erweiterten) Grundaufklärung erfolgen.[840] Strafrechtsrelevant sind dann nur Verstöße gegen das Aufklärungsgebot über die statistisch häufigsten Risiken sowie hinsichtlich der für den jeweiligen Patienten schwerstmöglichen Beeinträchtigungen (wie etwa die einer Fingerlähmung bei einem Pianisten), aber auch nur dann, wenn dem Arzt in Bezug auf die unterlassene Aufklärung eine schwere Nachlässigkeit unterlief, er mithin dasjenige unbeachtet ließ, was jedem verständigen Arzt als aufklärungsrelevant eingeleuchtet hätte. – Schließlich sollte zum Schutze des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ein grober Aufklärungsfehler auch dann angenommen werden, wenn der Arzt seinem Patienten auf dessen ausdrückliches, weiter ausgreifendes Nachfragen zum Eingriffsrisiko eine eindeutig unzureichende Antwort erteilt.[841]

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      Möglicherweise kann ein über die hiermit verbundenen Risiken informierter Patient den Arzt von der Befolgung eines in der ärztlichen Praxis für richtig und erforderlich angesehenen Verhaltens[842] entpflichten (sei es in Fällen fehlender Indikation, sei es bei der Unterschreitung des in persönlicher und sächlicher Hinsicht gebotenen Behandlungsstandards). Für diese Fälle bleibt zu klären, ob der Arzt durch eine Einwilligung des Patienten in eine risikoträchtige Behandlung von strafrechtlicher Verantwortlichkeit (§§ 229, 222 StGB) jedenfalls dann entlastet werden kann,[843] wenn er den Patienten sowohl über die dem medizinischen Standard nicht entsprechende Behandlung als auch über Möglichkeiten, eine standardgemäße Behandlung ggf. andernorts zu erhalten, hinreichend informiert hat.

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      Für die Beantwortung der Frage, wem die unerwünscht eingetretenen Folgen zuzurechnen sind, die aus einer sowohl vom Täter als auch Opfer bewusst eingegangenen Risikosituation resultieren,[844] gilt folgender Ausgangspunkt:[845] Von der Einwilligung als Zustimmung in die Verletzung des geschützten Rechtsgutsobjektes ist die Einwilligung in dessen bloße Gefährdung (Risiko-Einwilligung) zu unterscheiden. Bei letzterer ist der Rechtsgutsinhaber in Kenntnis der seinem Rechtsgut möglicherweise erwachsenden Gefahren mit der Vornahme von riskanten Handlungen eines anderen einverstanden. Hierbei handelt er in der Erwartung, dass diese Gefahr sich schon nicht realisieren werde; auf die Arzt-Patienten-Konstellation bezogen: Kenntnis des Patienten, dass bspw. der Arzt ihm lediglich eine den gebotenen Standard unterschreitende Behandlung angedeihen lassen wird, wobei der Patient allerdings optimistisch davon ausgeht, dass er zwar ein Risiko eingeht, hierdurch sein Gesundheitszustand sich aber letztlich nicht verschlechtern wird bzw. sogar Heilung oder Linderung seines Leidens eintreten werden. Diese Risiko-Einwilligung hat mit der Einwilligung (als Rechtfertigungs- oder Tatbestandsausschlussgrund[846]) gemeinsam, dass in beiden Fällen der Inhaber des betroffenen Rechtsgutes von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch macht: Darf er dieses von Dritten verletzen lassen, so ist es ihm auch gestattet, sein Rechtsgut einer bloßen Gefährdung auszusetzen. Diese Gemeinsamkeit rechtfertigt es aber nicht, die Fälle bewusst eingegangener Gefährdungen dem Bereich der Einwilligung zuzuschlagen: Ein Ausschluss des Unrechts bei Erfolgsdelikten setzt voraus, dass neben der Aufhebung des Handlungsunrechts (hier: infolge Zustimmung des Patienten zur standardunterschreitenden ärztlichen Behandlung) auch das Erfolgsunrecht (vorliegend: die Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder gar Tod des Patienten) durch eine hierauf bezogene Einwilligung aufgehoben wird.[847] Würde man demgegenüber bei Fahrlässigkeitsdelikten die Einwilligung allein auf die (möglicherweise) sorgfaltswidrige Täterhandlung beziehen und eine Einwilligung in den Erfolg für entbehrlich halten,[848] so liefe das auf eine Übergewichtung des Handlungsunrechts zu Lasten des Erfolgsunrechts hinaus. Hierbei würde die Bedeutung außer Acht gelassen, die das Strafrecht als Rechtsgüter-Schutzrecht sowohl dem Erfolgseintritt[849] als auch der Schwere des bewirkten Erfolges[850] zumisst. Auch wäre es alles andere als überzeugend, in Fällen, in denen vom Betroffenen für eigene Rechtsgüter bewusst Risiken eingegangen werden, anzunehmen, eine derartige Einwilligung würde sich nicht nur auf die pflichtwidrige Täterhandlung, sondern darüber hinaus auf die dann eingetretene Rechtsgutsverletzung beziehen.[851] Dies liefe auf eine das Opfer strafschutzlos stellende Fiktion hinaus.[852] Es ist ein ganz wesentlicher Unterschied bei der Disposition über die eigenen Rechtsgüter, ob der Rechtsgutsinhaber nur mit einem der Täterhandlung immanenten Risiko einverstanden ist oder ob er nicht nur das Risiko, sondern auch den damit etwa verbundenen Erfolg in Kauf nimmt.[853]

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      Von einer derart erfolgsbezogenen Einwilligung kann man aber nur dann sprechen, wenn der Einwilligende bewusst auch mit der Rechtsgutseinbuße einverstanden ist,[854] der Patient mithin einer gesundheitsschädigenden Behandlungsfolge zugestimmt hat. Es ist also spiegelbildlich an die Abgrenzung des dolus eventualis von der bewussten Fahrlässigkeit[855] anzuknüpfen. Hiermit stellen sich dortige Zweifelsfragen auch bei der Feststellung „bedingt vorsätzlicher“ Rechtsgutspreisgabe als Mindestanforderung an die subjektive Seite einer Einwilligung. Auf der Basis der für das Handlungsunrecht beim Vorsatzdelikt vertretenen herrschenden Auffassung kann bei der Einwilligung ein hinreichender Konsens des Rechtsgutsinhabers dann angenommen werden, wenn er den Erfolgseintritt für möglich hielt und ihn billigend in Kauf nahm bzw. ihm der Erfolgseintritt zumindest gleichgültig[856] war. Allerdings hat der Bundesgerichtshof in Bezug auf die Feststellung eines Tötungsvorsatzes mehrfach betont,[857] dass aus der bloßen Kenntnis der Gefährlichkeit der Täterhandlung für fremdes Leben noch nicht ohne weiteres auf die voluntative Seite des bedingten Vorsatzes geschlossen werden dürfe. Dies führt bei sinngemäßer Übertragung auf die innere Vorstellung des Einwilligenden zu einer ganz erheblichen Einschränkung der Reichweite der Einwilligung: Die Gestattung einer mittelbaren Selbstverletzung verlangt spiegelbildlich, dass im Vergleich zum Konsens in eine bloße Fremd-Gefährdung eine höhere Hemmschwelle (hier: des Tat-Opfers) überwunden wird. Angesichts des menschlichen Selbsterhaltungstriebes wird ein derartiger erfolgsbezogener Konsens nur dann anzunehmen sein, wenn dem Opfer die hohe Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts deutlich vor Augen stand und es auch nach seinem Vorstellungsbild nur von einem rettenden Zufall, auf dessen Eintritt es nicht vertrauen konnte, abhing, ob das Risiko sich verwirklicht. Im Regelfall wird anzunehmen sein, dass das Opfer darauf vertraut, dass die von ihm konsentierte Gefährdung für seine Rechtsgüter folgenlos bleiben wird.[858] Im Falle einer vom Patienten erklärten Risiko-Einwilligung wird ihm infolge der ärztlicherseits gebotenen deutlichen Aufklärung zwar die Möglichkeit einer Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter Gesundheit und Leben vor Augen stehen, doch dürfte er im Regelfall die Realisierung des mit der standardunterschreitenden Behandlung verbundenen Risikos keineswegs für wahrscheinlich, sondern gerade durch ärztliche Kunstfertigkeit beherrschbar halten.

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      Auch einem Ausschluss objektiver Zurechnung (infolge Gleichstellung von einverständlicher Fremdgefährdung mit strafloser Mitwirkung an einer Selbstgefährdung:[859] Täter und Opfer für das Gefährdungsgeschehen gleichrangig verantwortlich[860]) sollte nicht nähergetreten werden: Dem steht vorliegend im Regelfall die strukturelle Unterlegenheit des Patienten[861] gegenüber dem ihn behandelnden Arzt entgegen.[862] Stattdessen sollte eine Straffreistellung des Arztes über