Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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StZG näher konkretisierte Voraussetzungen erfüllt, ist ein Import ausnahmsweise genehmigungsfähig. So muss gemäß § 4 Abs. 2 StZG zur Überzeugung der zuständigen Behörde i.S.d. § 6 StZG feststehen, dass

- die embryonalen Stammzellen in Übereinstimmung mit der Rechtslage im Herkunftsland dort vor dem 1. Mai 2007 gewonnen wurden[398] und in Kultur gehalten werden oder im Anschluss daran kryokonserviert gelagert werden (Nr. 1a),
- die Embryonen, aus denen sie gewonnen wurden, im Wege der medizinisch unterstützten extrakorporalen Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt worden sind, sie endgültig nicht mehr für diesen Zweck verwendet wurden und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies aus Gründen erfolgte, die an den Embryonen selbst liegen (Nr. 1b),
- für die Überlassung der Embryonen zur Stammzellgewinnung kein Entgelt oder sonstiger geldwerter Vorteil gewährt oder versprochen wurde (Nr. 1c);

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      Forschungsarbeiten an embryonalen Stammzellen dürfen gemäß § 5 StZG nur durchgeführt werden, wenn wissenschaftlich begründet dargelegt ist, dass

- sie hochrangigen Forschungszielen für den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn im Rahmen der Grundlagenforschung oder für die Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren zur Anwendung bei Menschen dienen (Nr. 1) und
- nach dem anerkannten Stand von Wissenschaft und Technik die im Forschungsvorhaben vorgesehenen Fragestellungen so weit wie möglich bereits in In-vitro-Modellen mit tierischen Zellen oder in Tierversuchen vorgeklärt worden sind (Nr. 2a) und der mit dem Forschungsvorhaben angestrebte wissenschaftliche Erkenntnisgewinn sich voraussichtlich nur mit embryonalen Stammzellen erreichen lässt (Nr. 2b).

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      Entgegen dem Wortlaut des § 5 StZG ist unter den gegebenen Voraussetzungen nicht nur die Forschung „an“, sondern auch die Forschung „mit“ embryonalen Stammzellen erlaubt. Insofern ist mit Rücksicht auf den Sinn und Zweck des Gesetzes eine teleologische Reduktion geboten, da ansonsten z.B. klinische Prüfungen nicht durchführbar wären.[400] Da keine Ordinalskala existiert, anhand derer sich die Hochrangigkeit der Forschungsziele i.S.d. § 5 Nr. 1 StZG bestimmen ließe, bedarf es einer Güterabwägung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls.[401] Danach sind die Ziele eines Forschungsvorhabens als hochrangig anzusehen, wenn die in Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG gewährleistete Forschungsfreiheit den (vom Gesetzgeber postulierten) Schutzanspruch der zur Gewinnung der Stammzellen verbrauchten Embryonen überwiegt. Dies wird insbesondere bei anwendungsbezogener Forschung der Fall sein, die Fortschritte bei der Diagnose, Prävention und Therapie schwerer sowie bislang unheilbarer Krankheiten[402] verspricht; darüber hinaus kann jedoch auch die diesen Ansätzen vorgelagerte Grundlagenforschung als „hochrangig“ i.S.d. § 5 Nr. 1 ESchG einzustufen sein.[403]

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      Neuere Forschungsmethoden versuchen die durch den Gesetzgeber vorgegebenen Restriktionen zu kompensieren, indem sie differenzierte adulte Körperzellen mittels viraler Infiltration bestimmter Gene so reprogrammieren, dass sie das Potential pluripotenter Stammzellen aufweisen und gezielt in organspezifische Zellen ausgereift werden können (sog. humane induzierte pluripotente Stammzellen, hiPS-Zellen).[405] Da bei dem Verfahren die Möglichkeit besteht, dass die hiPS-Zellen ein totipotentes Stadium durchlaufen, stellt sich die Frage, ob unter den Embryonenbegriff des § 8 Abs. 1 ESchG auch transient totipotente Zellen fallen (was die Anwendung der restriktiven Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes zur Folge hätte). Dies wird mit dem Argument abgelehnt, dass keine weibliche Eizelle beteiligt ist und die iPS-Zellen stattdessen von erwachsenen Menschen stammen.[406] Weiterhin stellt sich die Frage, ob bei der tetraploiden Embryo-Komplementierung, die zum Nachweis der Pluripotenz der iPS-Zellen eingesetzt wird, das Klonierungsverbot des § 6 ESchG greift. Bei diesem Verfahren kommt es zur Fusionierung von diploiden embryonalen Zellen zu einem Chromosomensatz in duplo.[407] Auch in diesem Fall scheitert die Anwendbarkeit des ESchG wohl daran, dass sich die Blastozyste nicht aus einer Eizelle entwickelt hat und damit nicht dem in § 6 Abs. 1 und 2, § 8 Abs. 1 ESchG verwendeten Embryonenbegriff unterfällt.[408] In der Gesamtschau erscheinen die vorerwähnten Regelungslücken durchaus geeignet, das dem Embryonenschutz zugrunde liegende Konzept der Totipotenz in Frage zu stellen.[409]

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      Prinzipiell denkbar erscheint darüber hinaus auch eine Gewinnung von Stammzellen aus geklonten Embryonen.[410] In der rechtspolitischen und medizinethischen Debatte wird „die Erzeugung von Embryonen, Zellen oder Zellverbänden mit dem Ziel ihrer (verbrauchenden) Verwendung zu diagnostischen oder therapeutischen Zwecken“[411] als therapeutisches Klonen (oder präziser: Klonen zu Forschungszwecken) bezeichnet und vom sog. reproduktiven Klonen unterschieden, das auf die Erzeugung lebender Menschen abzielt.[412] Während das reproduktive Klonen einhellige Ablehnung erfährt[413] und u.a. in Art. 3 Abs. 2 lit. d EUGrCh untersagt wird,[414] fällt die Einschätzung des Klonens zu Forschungszwecken gemeinhin differenzierter aus.[415] Für die Bewertung entsprechender Praktiken nach deutschem Recht ist v.a. das in § 6 ESchG normierte, strafbewehrte Klonierungsverbot sowie das ebenfalls strafbewehrte Verbot der Chimären- und Hybridbildung gemäß § 7 ESchG von Bedeutung.

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      Ob darüber hinaus auch der Zellkerntransfer in eine enukleierte Eizelle § 6 ESchG unterfällt, ist umstritten. Bei dieser Methode wird in eine zuvor entkernte Eizelle ein anderer Zellkern transferiert; hierdurch entsteht eine totipotente humane Zelle, deren Erbinformationen nahezu mit denen des Menschen übereinstimmen, der den Zellkern gespendet hat.[417] Fraglich ist, ob die auf diesem Wege entstandene Zelle angesichts des geringen, etwa 0,01 bis 0,02 % des Gesamtgenoms ausmachenden Anteils eigenen genetischen Materials derart von der Ausgangszelle abweicht, dass sie nicht mehr als „gleich“ i.S.d. § 6 Abs. 1 ESchG angesehen werden kann.[418] Dabei spricht für die Annahme eines Klons, dass sich das in Rede stehende eigene genetische Material nicht auf den Phänotyp auswirkt.[419] Selbst wenn man von einer „Gleichheit“ von Ausgangszelle und neu entstandener Zelle ausgeht, ist jedoch weiter umstritten, ob der erzeugte Klon als „Embryo“ i.S.d. Embryonenschutzgesetzes bezeichnet werden kann. Nach der Legaldefinition des § 8 Abs. 1 ESchG gilt als Embryo „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag“ (Hervorh. d. Verf.).[420] Aus dem Umstand, dass beim Zellkerntransfer keine Kernverschmelzung stattfindet und mithin keine befruchtete Eizelle entsteht, folgert ein Teil des Schrifttums, dass der mittels