Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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präzisiert und ausdifferenziert. Die zunehmende Regulierung erforderte auch eine Spezifizierung nach Stoff- und Produktgruppen. Ergebnis ist die heutige „Atomisierung“ des Stoffrechts[12] mit seiner kaum überschaubaren Fülle an Gesetzen, die für einzelne Stoffgruppen bzw. Konsum-, Verbrauchs- und Industriegüter Regelungen beinhalten. Als wichtigste Vertreter seien u.a. genannt: das Lebens- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB); das vorläufige Tabakgesetz,[13] welches durch das Tabakerzeugnisgesetz vom 4. April 2016 ersetzt wurde; das Gesetz, betreffend den Verkehr mit Wein, weinhaltigen und weinähnlichen Getränken (WeinG); das Gesetz zum Schutz vor gefährlichen Stoffen (ChemG); das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz (WRMG), das Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG; → BT Bd. 6: Mustafa Oğlakcıoğlu, Arzneimittelstrafrecht, § 55 Rn. 1 ff.); das Gesetz zur Überwachung des Verkehrs mit Grundstoffen (GÜG) sowie das Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (BtMG), um das es im folgenden Abschnitt im Wesentlichen gehen wird.

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      Die genannten Regelungsmaterien haben zunächst gemeinsam, dass sie die Umwelt, aber auch konkret die Personen schützen sollen, die diesen Stoffen ausgesetzt sind. Es handelt sich bei diesen mithin um besonderes Gefahrenabwehrrecht,[14] wobei Verstöße gegen die dort aufgestellten Ge- und Verbote betreffend die Herstellung, Produktion, Aufsicht, Kontrolle, Kennzeichnung, Vertrieb, Werbung etc. bezüglich des gesetzesgegenständlichen Stoffs meist sanktionsbewehrt sind. Die – für das Nebenstrafrecht typisch – am Ende des Gesetzeswerkes stehenden Ordnungswidrigkeiten und Straftatbestände knüpfen meist, aber nicht stets blankettartig an die im Gesetz verstreuten Vorschriften an,[15] je nach Art und Schwere des Verstoßes,[16] vgl. etwa § 21 ChemG, §§ 58, 59 LFGB, §§ 48, 49 WeinG. Da sie überwiegend bezwecken, die Gesundheit potentieller Konsumenten und diese vor Täuschungen zu schützen (so insbesondere das LFGB und WeinG[17]), werden derartige Strafvorschriften auch unter dem Oberbegriff des „Verbraucherschutzstrafrechts“ zusammengeführt.[18]

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      Dieses Verbraucherschutzstrafrecht regelt vornehmlich den Umgang mit Stoffgruppen, deren zweckgebundene Verwendung (sei es als Lebens- und Genussmittel, sei es als sonstiges Hilfsutensil bzw. Gebrauchsgegenstand) erwünscht, gesellschaftlich akzeptiert bzw. sogar notwendig ist. Es bezieht sich damit auf Stoffe, die grundsätzlich in den Verkehr gelangen dürfen und sollen. Der Handel mit den Stoffen als „wirtschaftliches Gut“ wird nicht unterbunden, sondern (mehr oder weniger streng) überwacht. Insofern ist daher auch von legalen Drogen die Rede. Hierzu zählt insbesondere der Alkohol,[19] der kontrolliert hergestellt und vertrieben werden darf (wobei die Pflichten der Produzenten ggf. in Sondergesetzen konkretisiert werden, man denke an das deutsche Reinheitsgebot,[20] das infolge europäischen Drucks nur noch eingeschränkt Bestand hat[21]). Die Abgabe von Spirituosen u.Ä. an den Endkonsumenten ist lediglich im Hinblick auf den Jugendschutz eingeschränkt, § 9 JuSchG. Ähnlich sieht es mit dem Nikotin[22] als Drogen in Tabakprodukten aus, der überall frei erhältlich ist, dessen Vertrieb aber streng reglementiert wird; nur das Inverkehrbringen von Tabak zum Selbstdrehen mit charakteristischen Aromen hat der deutsche Gesetzgeber per se verboten.[23] Die Werbung für Tabakerzeugnisse wurde im Laufe der Jahre ohnehin stark eingeschränkt, inzwischen sind die Tabakwarenhersteller dazu verpflichtet, die Zigarettenverpackungen mit sog. „Schockfotos“ zu versehen.[24] Zuletzt sei mit Koffein als schwache Stimulanz die am häufigsten konsumierte Droge weltweit genannt,[25] welches lediglich der KaffeeV und dem Lebensmittelrecht (LFGB) unterstellt ist.

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      Als „Endstation“ verbraucherschützender Gesetze kann man insofern nicht nur Getränke- und Supermärkte sowie Tabakwarenfachgeschäfte ansehen, sondern auch diejenigen Fachmärkte, in denen alle sonstigen legal erhältlichen bzw. überwachten Drogen und Substanzen zum Kauf angeboten werden, nämlich Schönheits- und Wellnessartikel, Heilmittel, biologische Reformprodukte sowie Sachpflegeartikel für Haus und Garten. Die Bezeichnung derartiger Fachmärkte als Drogerien ist also unter Zugrundelegung eines weiten bzw. untechnischen Drogenbegriffs nach wie vor passend. Adressaten der verbraucherschützenden Vorschriften sind nicht die Verbraucher selbst, sondern diejenigen Personen, welche die gegenständlichen Stoffe – meist, aber nicht zwingend gewerbsmäßig – in den Verkehr bringen wollen. Im Verbraucherschutzstrafrecht finden sich daher auch keine Strafvorschriften, die den Konsumenten betreffen (es sei denn dieser beteiligt oder perpetuiert den Verstoß des Unternehmers bzw. des Inverkehrbringenden auf irgendeine Art und Weise). Der Erwerb und Konsum „am Verbraucherschutz vorbei“ ist bei diesen Regelwerken gerade nicht verboten oder gar strafbewehrt, mithin darf der Konsument selbst entscheiden, ob er geprüfte „Qualitätsware“ zu sich nimmt (etwa zugelassene Arzneimittel, zertifizierte Waren etc.) oder die entsprechenden Stoffe – ggf. billiger – vom schwarzen/grauen Markt bezieht.

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      Damit wird bereits an dieser Stelle deutlich, warum das Betäubungsmittel – als potentielles Medikament einerseits, bloßes Freizeitgenussmittel andererseits – und die ihn betreffende Rechtsmaterie eine Sonderstellung einnimmt. Bekanntermaßen ist der Umgang mit bestimmten Drogen weltweit überwiegend verboten und kriminalisiert (wobei diese Einheit trotz kulturell-geschichtlicher Differenzen mittels suprainternationaler Abkommen hergestellt werden konnte, vgl. noch Rn. 14 ff.), im Volksmunde als „Prohibition“ bezeichnet. Bestimmt deswegen, weil nur einzelne Drogen vom Verbot umfasst sind, was technisch entweder mittels expliziter Benennung in der Verbotsnorm, oder durch Bezugnahme auf Anlagen des regulierenden Gesetzes bzw. Listen internationaler Übereinkommen außerhalb des Regelwerks funktioniert (speziell zu dem im deutschen Recht geltenden Positivlistensystem vgl. noch ausführlich Rn. 32 ff.). Insofern lassen sich die illegalen Substanzen in Abgrenzung zum allgemeineren Begriff der Droge als „Betäubungsmittel“ bzw. „illegale Drogen“ bezeichnen, genauso wie es dasjenige Gesetz tut, das den Umgang mit diesen Substanzen verbietet (Betäubungsmittelgesetz).

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      Die Zuordnung basiert augenscheinlich auf einer besonderen Gefährlichkeitsprognose (die sich u.a. auf die Toxizität oder das Abhängigkeitspotential der Substanz stützen müsste). Damit will der Gesetzgeber bei bestimmten Stoffgruppen den Umlauf und Konsum per se verhindern, die Stoffe also unter Verschluss halten und der Disposition des Konsumenten entziehen. Freilich darf auch die umgangssprachliche Bezeichnung der Betäubungsmittel als „Rauschgift“ nicht den Blick dafür trüben, dass die meisten verbotenen Substanzen nicht stärker toxisch sind als andere Arzneien oder legale Genussmittel (vgl. noch Rn. 35).[26] Nichtsdestotrotz werden bei ausgewählten Substanzen alle denkbaren Umgangsformen mit der Droge unter einen präventiven Erlaubnisvorbehalt (§ 3 BtMG) gestellt, für deren Erteilung eine staatliche Institution zuständig ist (in Deutschland die Bundesopiumstelle als Teilgeschäftsbereich des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, BfArM).

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      Hier soll der Verbraucher also nicht vor verseuchter, unter unzureichenden Bedingungen hergestellter oder gefälschter Ware geschützt werden, sondern ihm wird die natürliche oder auch synthetisch herstellbare (Rein-) Substanz vorenthalten. Etwas zynisch könnte man die entsprechenden Regelwerke – insbesondere BtMG und GÜG – als Verbraucherschutz in seiner schärfsten Form bezeichnen, da dem Konsumenten der Verbrauch bzw. der Zugriff überhaupt unmöglich gemacht werden soll. Dass man sich hierzu nicht immer mit der notwendigen Deutlichkeit bekennt (indem etwa auf die Straflosigkeit des Konsums als solches verwiesen wird,[27] obwohl alle Handlungen im Kontext, welche dem Konsum vorausgehen müssen, verboten und strafbewehrt sind, insbesondere der Erwerb und Besitz der fraglichen Substanz), kaschiert lediglich den insofern paternalistischen Normbefehl. Dieser stellt den Verbraucherschutz auf den Kopf, indem er den Konsumenten selbst in die Pflicht nimmt und diesem abverlangt, sich hinsichtlich bestimmter