Bernd Heinrich

Handbuch des Strafrechts


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Drogenpolitik festhalten wollen, können diese unabhängig von den Verträgen realisieren, da diese ja nur „Mindestvorgaben“ hinsichtlich etwaiger Verbote machen. Für beide Seiten hat der Rückgriff auf die Verpflichtung aus den Suchtstoffübereinkommen dann eher den Charakter einer „Ausrede“, obwohl man sich darüber einig ist, dass ein Austritt und Wiedereintritt unter Vorbehalt völkerrechtlich möglich ist.[62] Allein die Angst vor einem „Politikum“ bzw. „diplomatischer Druck“ kann nicht der Grund dafür sein,[63] dass von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht wird, wenn man bedenkt, dass Staaten mit geringerer politischer Einflussnahme ihren eigenen Weg gehen (man denke an Bolivien,[64] Portugal oder Niederlande) und auch die Sanktionspraxis erheblich divergiert.[65]

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      Nicht verkannt wird, dass es auch eine Frage der konkreten Maßnahme ist, ob überhaupt ein Austritt notwendig ist oder nicht. Die Konventionen erfordern nicht durchweg strafrechtliche Sanktionen, sondern stellen partiell lediglich Verbote auf.[66] Schließlich werden auch keine Ober- und Untergrenzen der Strafe festgelegt. Ähnliche Unklarheiten bestehen auch auf EU-rechtlicher Ebene, wo etwa i.R.d. Art. 87 AEUV immer wieder darüber gestritten wird, inwiefern die strafrechtliche Intervention „unerlässlich“ ist (zu den europarechtlichen „Maßnahmen“ vgl. bereits Rn. 19). In Anbetracht dieser Ausgangslage und der zu beobachtenden Entwicklungen ist es nicht nachvollziehbar, dass bis heute kein „Update“ der internationalen Suchtstoffübereinkommen vorgenommen wurde (und damit verbunden auch einige Klarstellungen, was die Verpflichtungen als solches angeht).[67]

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      Zumindest aber scheint man sich auch auf supranationaler Ebene einer Modifikationsbedürftigkeit der übergeordneten, gemeinsam ausgerufenen Ziele bewusst geworden zu sein, wenn die Global Commission on Drug Policy 2012 nunmehr – ein ganzes Jahrhundert nach der Haager Opium-Konferenz 1912 und knapp 50 Jahre nach der Ratifizierung der Single Convention – einen internationalen Paradigmenwechsel proklamiert:[68] „Der weltweite Krieg gegen die Drogen ist gescheitert, mit verheerenden Folgen für die Menschen und Gesellschaften rund um den Globus. 50 Jahre, nachdem die Vereinigten Nationen das Einheits-Übereinkommen über die Betäubungsmittel initiiert haben, und 40 Jahre, nachdem die US-Regierung unter Präsident Nixon den Krieg gegen die Drogen ausgerufen hat, besteht in der nationalen und weltweiten Drogenpolitik dringender Bedarf nach grundlegenden Reformen“.[69] Oberste Priorität müssten gesundheits- und sozialpolitische Maßnahmen haben, insbesondere müsse der Zugang zu Medikamenten, speziell Opiaten als Schmerzmittel, sichergestellt werden. Ferner tritt die Kommission für eine Entkriminalisierung des Erwerbs und Besitzes von Betäubungsmittel zum Eigenkonsum ein und baut auf Alternativen zur Inhaftierung jener, die Teil des Drogenmarktes waren, dabei jedoch gewaltfrei geblieben sind.

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      Die mit Spannung erwartete UNGASS 2016 (Sondertagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema Drogen) hat in ihrem Abschlussbericht indessen für Ernüchterung gesorgt, jedenfalls aus europäisch-drogenpolitischer Sicht. Lag der Fokus der Global Commission on drug policy ausweislich ihres September 2014 veröffentlichten Berichts zumindest auch[70] auf Verbesserungen im repressiven Bereich (Entkriminalisierung des Konsums und Besitzes,[71] gesetzlich garantierte Besserstellung der Kuriere[72] und eine damit erzwungene Verfolgung der Hintermänner[73]), stehen unter dem Strich – freilich weltpolitisch von höherer Bedeutung – die Notwendigkeit von Verbesserungen im präventiven und gesundheitspolitischen Bereich im Vordergrund. Vornehmlich wird eine Verbesserung der medizinischen Versorgung in den Entwicklungsländern[74] und die Einrichtung von Schadensreduzierungsmaßnahmen angestrebt.[75] Jedenfalls in Bezug auf Cannabis scheint sich die grundsätzliche Haltung zugunsten einer weniger strengen Handhabe zu wandeln, nachdem im November 2018 die wissenschaftliche Arbeitsgruppe der WHO im Rahmen einer Untersuchung zu den Risiken von Cannabis, THC und CBD zu dem Ergebnis kam, dass die aktuelle Einstufung von Cannabis (das mit Heroin auf einer Stufe steht), nicht gerechtfertigt ist. Auf die Empfehlung der WHO hin hat die Suchtstoffkommission der Vereinten Nationen (UN) Cannabis und Haschisch von ihrer Liste der gefährlichsten Drogen gestrichen. Zwischenzeitlich stellte der EuGH fest, dass aus Cannabis stammendes CBD ebenso wenig als Suchtstoff i.S.d. Übereinkommens von 1961 klassifiziert werden könne.[76] In Deutschland hat sich die Debatte rund um die Legalisierung bzw. kontrollierte Freigabe von Cannabis nach einem zwischenzeitlichen Aufwind und einigen Reformvorschlägen zwar wieder etwas beruhigt, doch wird sie infolge dieser Entwicklungen – und vor allem vor dem Hintergrund einer endenden Legislaturperiode – bestimmt wieder Fahrt aufnehmen.

II. Überblick und Systematik

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      Hauptrechtsquelle des Betäubungsmittelrechts ist das Betäubungsmittelgesetz. Es legt in § 1 BtMG die Substanzen fest, welche überhaupt als Betäubungsmittel gelten und konkretisiert in § 2 BtMG die Reichweite des Betäubungsmittelbegriffs im Übrigen (Rn. 32). Kernstück ist das in § 3 BtMG aufgestellte Umgangsverbot bzw. eine Erlaubnispflicht für fast alle denkbaren Umgangsformen bzgl. Betäubungsmittel i.S.d. Gesetzes (Rn. 46). In § 4 BtMG sind Ausnahmen von der Erlaubnispflicht festgelegt (Rn. 47); im Anschluss wird das entsprechende Antragsverfahren genauer umschrieben, wobei die Versagungsgründe in § 5 BtMG auch Aufschluss über den Zweck des Gesetzes geben. Die §§ 11–18 BtMG haben diejenigen Pflichten zum Gegenstand, die für den erlaubten Verkehr gelten (insbesondere für den Bereich der Forschung, den Transport und die Aufbewahrung sichergestellter Drogen, aber vor allem die zu berücksichtigenden Vorschriften bei der Verschreibung von Betäubungsmitteln, § 13 BtMG). §§ 19–25 BtMG legen die zur Überwachung des Betäubungsmittel-Verkehrs zuständigen Behörden fest und ermächtigen diese zu etwaigen Sicherungsmaßnahmen. Ferner werden Vorschriften für Behörden (§§ 26–28 BtMG) aufgestellt.

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      Verstoßen die Beteiligten gegen die Erlaubnis- oder sonstige Pflichten, handeln sie illegal. Während leichtere Pflichtverletzungen als Ordnungswidrigkeiten gemäß § 32 BtMG geahndet werden, führen schwerwiegende Verstöße zu einer Strafbarkeit nach den § 29 ff. BtMG. Auch wenn das Betäubungsmittelstrafrecht außerhalb des StGB positioniert ist, finden die Vorschriften des Allgemeinen Teils gemäß Art. 1 EGStGB Anwendung.[77]

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      Die Straftatbestände des BtMG lassen sich in den Grundtatbestand des § 29 BtMG und den anschließenden Qualifikationen (Verbrechen i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB) der §§ 29a, 30, 30a BtMG gliedern.[78] Der Grundtatbestand enthält im ersten Absatz einen sehr umfangreichen Katalog an Handlungsmodalitäten (§ 29 Abs. 1 Nr. 1–14 BtMG), der jeden erdenklichen unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln erfasst, um dem Schutzzweck des BtMG effektiv nachzukommen. Der Strafrahmen beträgt bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe, es handelt sich somit um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB). Bei den meisten Handlungsmodalitäten ist sowohl die versuchte als auch die fahrlässige Begehung sanktioniert (§ 29 Abs. 2, Abs. 4 BtMG, zur Kritik an dieser Ausgestaltung vgl. noch Rn. 132). In Abs. 3 findet sich eine Strafzumessungsregelung, die wegen der zahlreichen Qualifikationstatbestände aber eine eher untergeordnete Rolle einnimmt. In § 29 Abs. 5 BtMG wird dem Gericht die Möglichkeit eröffnet, bei Bagatellen (Erwerb von geringen Mengen zum Eigenkonsum) von Strafe abzusehen. Es handelt sich also um das „gerichtliche“ Pendant