und Beamte „nicht arischer Abstammung“ in den Ruhestand zu versetzen.[2] Damit wurde offenbar, in welchem Ausmaß die nationalsozialistische Beamtenpolitik tatsächlich mit den Idealen der deutschen öffentlichen Verwaltung brechen wollte. Ordnungssinn, strenge Rechts- und Gesetzesbindung, Überparteilichkeit sowie Staatsorientierung der Verwaltung sollten ausgehöhlt und durch eine dezidiert nationalsozialistische Grundhaltung ersetzt werden. Nicht mehr die Rechte des Individuums, sondern die Interessen des deutschen Volkes und der arischen Rasse galt es bei der Güterabwägung in den Vordergrund zu stellen.
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Zustimmung der Beamtenschaft
Die nationalsozialistische Machteroberung stieß bei weiten Teilen der Beamtenschaft auf begeisterte Zustimmung. Die ersten Aufnahmen in die NSDAP erfolgten bereits bis zum Mai 1933. Zu einer regelrechten Beitrittswelle der Beamtenschaft kam es nach der Beendigung des Aufnahmestopps im Jahre 1937. Wer nicht direkt der Partei beitrat, suchte wenigstens durch die Mitgliedschaft in anderen Parteiorganisationen, etwa der SA oder der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, seine Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus nach außen zu bekunden. Diese Popularität beruhte neben dem Anschein von Kontinuität vor allem auf der Hoffnung, die Nationalsozialisten würden den alten privilegierten Status, den die Beamten durch die Politik der Weimarer Republik infrage gestellt sahen, wiederherstellen und zusätzliche Beamtenstellen schaffen.[3] Außerdem bestand anfangs die Hoffnung, dass Gesetzesvorhaben aus der Weimarer Zeit, die damals an zahlreichen Widerständen gescheitert waren, darunter etwa eine groß angelegte Reichsreform,[4] nun endlich unter autoritären Vorzeichen realisiert werden könnten. Ein unter leitenden Beamten besonders verbreiteter, radikaler Nationalismus und antipluralistische Einheitssehnsüchte taten ein Übriges. Die zentralen verfassungsrechtlichen Weichenstellungen der nationalsozialistischen Revolution, darunter das Ermächtigungsgesetz vom März 1933,[5] das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom Juli 1933[6] oder das Reichsneuaufbaugesetz vom Januar 1934,[7] mit dem die Gleichschaltung der Länder und damit die Zentralisierung der Verwaltungsapparates weitgehend abgeschlossen wurden, fanden unter den Beamten somit breite Zustimmung.
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Politisierung der Verwaltung
Sieht man einmal von der systematischen Verdrängung von Juden und Sozialisten sowie – wenngleich weniger radikal – von Frauen aus dem öffentlichen Dienst ab, ist die Verwaltung in der Zeit des Nationalsozialismus insgesamt von einer erstaunlichen personellen Kontinuität gegenüber der Weimarer Republik geprägt. Nur Schlüsselpositionen wurden mit Quereinsteigern besetzt, die häufig schon vor 1933 der NSDAP beigetreten waren; und selbst das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums führte – mit Ausnahme Preußens – nur zu vergleichsweise wenig politisch oder rassistisch motivierten Personalwechseln.[8] Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ideale traditioneller Verwaltung ab 1933 tatsächlich konsequent infrage gestellt wurden, indem eine weit reichende Politisierung der Verwaltung im Sinne des Nationalsozialismus erfolgte.[9] Beamte galten nach § 1 Abs. 2 des Deutschen Beamtengesetzes von 1937 als „Vollstrecker des Willens des von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei getragenen Staates“ und hatten schon seit dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg dem „Führer“ Treue und Gehorsam zu schwören.[10] Bei jeder Ernennung und Beförderung wurden nunmehr die Mitgliedschaft in politischen Parteien der Weimarer Republik, in NS-Organisationen sowie die arische Abstammung des Vorgeschlagenen und seiner Ehefrau überprüft. Außerdem wurde im Ernennungsbogen explizit abgefragt, ob der Beamte die Gewähr bietet, „dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt“.[11] Nicht zuletzt musste von 1935 an bei der Ernennung und Beförderung sämtlicher höherer Beamter der „Stellvertreter des Führers“ als Parteiinstanz beteiligt werden. Auch Laufbahnbeamte, die aufgrund ihrer Abstammung oder politischen Einstellung als unverdächtig galten, mussten erkennen, dass vom Fortbestand wohlerworbener Beamtenrechte keine Rede mehr sein konnte, da stets die Möglichkeit bestand, dass gesetzestreues Verhalten, das aber nicht den Vorstellungen der Partei entsprach, unmittelbare disziplinar- oder sogar strafrechtliche Folgen nach sich zog. Dies schuf eine Rechtsunsicherheit, die konformes Verhalten als notwendig erscheinen ließ, um die politische Karriere fortzusetzen. Somit agierte die nationalsozialistische Führung im Vergleich mit anderen politischen Systemen in Deutschland äußerst effektiv und erfolgreich, um sich die Loyalität der Beamtenschaft langfristig zu sichern.[12]
B. Verwaltungspraxis
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Vielfalt der Verwaltungen
So wie es für moderne Verwaltungen charakteristisch ist, waren die Mitarbeiter des öffentlichen Diensts genauso wie die Behörden, in denen sie tätig waren, in der Zeit des Nationalsozialismus äußerst heterogen. Große Unterschiede bestanden zwischen Angestellten und Beamten, aber auch innerhalb der Beamtenschaft etwa zwischen dem mittleren und dem höheren Dienst. Genauso unterschieden sich traditionelle Verwaltungen, beispielsweise kommunale Behörden, die Reichspost oder die Justizverwaltung, deren Arbeit von einer scheinbaren Kontinuität und Stabilität über das Jahr 1933 hinweg geprägt war – indem Akten fortgeführt, Briefköpfe weiter verwendet, reguläre Geschäftsgänge beibehalten, ältere Gesetze weiter angewendet wurden und die breite Mehrheit der Mitarbeiterschaft im Dienst blieb –, von neu geschaffenen, häufig stark ideologisch ausgerichteten Institutionen, etwa das Joseph Goebbels unterstehende Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda oder das 1939 von Heinrich Himmler geschaffene Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Letzteres ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich im Lauf der Zeit Partei- und Staatsfunktionen immer stärker vermischten, da es als oberste Instanz sowohl der Sicherheitspolizei als auch des Sicherheitsdienstes der NSDAP fungierte. Im Vergleich zu traditionellen Verwaltungsinstitutionen sollte das RSHA – ähnlich wie die zur Lösung eines konkreten Sonderproblems eingesetzten, radikalisierten und „entgrenzten“ Sonderbevollmächtigten und Kommissare – weitaus informeller, jenseits von rechtlichen Bindungen funktionieren und eine elitäre Vorreiterrolle bei der Konzeptionierung und Umsetzung der völkisch-rassenbiologischen Ziele des Regimes spielen.[13]
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Nationalsozialistische Leitbilder der Verwaltung
Doch trotz solcher markanten Unterschiede gab es Prinzipien, die die gesamte Verwaltung prägen sollten. Einmal wurde entsprechend dem Grundsatz des Führerprinzips in der Ämterhierarchie die Stellung der übergeordneten Institution und innerhalb einer Behörde die Position der Leitung generell gestärkt. Gefordert war nunmehr vollständige Autorität der vorgesetzten Instanz nach unten und absoluter Gehorsam der nachgeordneten Instanz nach oben. Verwaltungsanweisungen wurden häufig im Befehlston formuliert; manchmal wurden sie sogar mit einer Strafandrohung bei Zuwiderhandlung versehen. Sie sollten dem Adressaten keinen Interpretationsspielraum lassen und ihm das Gefühl geben, gegenüber dem Vorgesetzten absolut verantwortlich zu sein. Ergänzt wurde dieses Leitbild durch die nationalsozialistischen Grundsätze des Persönlichkeitsprinzips und der Menschenführung. Die Verwaltung sollte von leistungsstarken, schöpferischen, tatkräftigen und entscheidungsfreudigen Amtsträgern geprägt werden. Sie sollten nach außen als Individuum erkennbar sein, nicht blind den Gesetzesparagrafen folgen, sondern eigene Initiative und Tatkraft zeigen und beispielsweise Dokumente, die nach außen gingen, in freundlicher Form und mit Schlussgruß formulieren sowie persönlich unterschreiben. Sofern sie sich an die ideologischen Vorgaben des Regimes hielten, war also an ihrer Entscheidungskompetenz nicht zu rütteln. Eine intensive Abstimmung mit dem Vorgesetzten galt sogar als unnötige Verfahrensverzögerung. Nicht zuletzt sahen sich Verwaltungsinstitutionen gezwungen, zunehmend auf mündliche Kommunikationsformen zurückzugreifen, um trotz des Kompetenzchaos politischen Einfluss zu gewinnen und nicht übergangen zu werden. Da kaum mehr reguläre Kabinettssitzungen der Reichsregierung stattfanden und Gesetze stattdessen im beschleunigten Umlaufverfahren verabschiedet wurden, erhöhte sich speziell für die Ministerialverwaltung die Notwendigkeit zur informellen Abstimmung im Vorfeld. Es zeigt sich also, dass die Verwaltung im Nationalsozialismus ein Stück weit von klassischen Prinzipien einer modernen Staatsbürokratie, wie Abstraktion, Schriftlichkeit und Rationalität, abrückte.[14]
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