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Handbuch des Verwaltungsrechts


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derselben Linie lag es, die Revisibilität des Grundgesetzes als „Bundesrecht“ und damit die Zuständigkeit der Bundesgerichte zur Kontrolle der Beachtung bundesverfassungsrechtlicher Maßstäbe bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht anzuerkennen. Insoweit führte die unmittelbare Bindung der Länder an das Grundgesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) einschließlich der unmittelbar geltenden Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG) zu einer Unitarisierung des Landes-Verwaltungsrechts durch die Rechtsprechung der Bundesgerichte. Dies betraf auch Bereiche, in denen der Bund eine solche Vereinheitlichung durch Gesetzgebung nicht hätte herbeiführen können. Vehikel ist insoweit letztlich die verfassungskonforme Auslegung des Landesrechts, deren Missachtung eben zu einer Verletzung von Bundes(verfassungs)recht führt und damit revisibel wird.[178] Dies führt insbesondere zur Revisibilität der Vereinbarkeit der Auslegung und Anwendung landesrechtlicher Vorschriften mit den Grundrechten des Grundgesetzes[179] einschließlich des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG),[180] des Verhältnismäßigkeitsprinzips,[181] des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes[182] und weiterer rechtsstaatlicher Grundsätze oder auch des Art. 28 Abs. 2 GG.[183] Dies schließt auch die Prüfung ein, ob sich die Verwaltungsgerichte der Länder bei der Anwendung und Auslegung des Landesrechts so weit von dem angewendeten Gesetz entfernt haben, dass der Zusammenhang mit dem Gesetz nicht mehr hinreichend erkennbar und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt – auch nicht als richterliche Rechtsfortbildung – verständlich ist.[184] Zudem nimmt das BVerwG eine Verletzung von Bundesrecht auch an, wenn sich ein Landes-Verwaltungsgericht bei der Auslegung des Landesrechts zu Unrecht durch bundesrechtliche Vorgaben gebunden sieht.[185] Damit zieht das BVerwG auch der Weiterentwicklung bundesrechtlicher Rechtsgarantien durch die Gerichte der Länder Grenzen. Will ein Landesgericht die Entwicklung allgemeiner bürgerschützender Rechtsgrundsätze vorantreiben, tut es daher gut daran, diese Rechtsgrundsätze aus Landesverfassungsrecht herzuleiten. Andernfalls muss das Landesgericht befürchten, dass das BVerwG dieser Entwicklung mit dem Argument, sie sei bundesverfassungsrechtlich nicht zwingend, Einhalt gebieten wird. Nicht nur in der frühen Bundesrepublik, sondern bis heute baut daher die Konstitualisierung des Verwaltungsrechts auf dem Modell eines unitarischen Bundesstaats auf.[186] Dieses Modell liegt damit trotz aller Föderalismusreformen auch dem aktuellen Verwaltungsrecht noch zugrunde. Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass das BVerwG auch das Unionsrecht als „Bundesrecht“ i. S. d. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ansieht und damit auch kontrolliert, ob landesrechtliche Normen in Einklang mit unionsrechtlichen Maßstäben ausgelegt und angewendet werden.[187] Dass dies alles zu einem faktischen Ausschluss landesrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten und damit nicht nur zu einer Unitarisierung, sondern einer Versteinerung des Landesrechts führen kann, zeigen die sehr weitreichenden Anforderungen, die das BVerwG aus Art. 3 Abs. 1 GG und dem Bestimmtheitsgebot für das Kommunalabgabenrecht herleitet[188] sowie aktuell die Grenzen, die das BVerwG aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 139 WRV der Sonntagsöffnung von Ladengeschäften zieht. Letzteres schließt „liberalere“ Landesgesetzgebung letztlich aus und lässt durch erzwungene restriktive verfassungskonforme Auslegung die Überführung der Gesetzgebungskompetenz für das Ladenschlussrecht auf die Länder[189] teilweise obsolet werden.[190]

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      Unitarisierungswirkung des Staatshaftungsrechts

      Unitarisierende Wirkung kommt auch der Rechtsprechung des BGH zum Staatshaftungsrecht zu. Dies gilt insbesondere, soweit sie als (drittschützende) Amtspflichten die Pflicht zur Beachtung von hohen (nicht zwingend aus den grundrechtlichen Schutzpflichten herleitbaren) richterrechtlich entwickelten Mindeststandards (auch in Form von Verkehrssicherungspflichten[191]) für die landesrechtlich geregelte (und vielfach nur landesrechtlich regelbare) Leistungs- und Infrastrukturverwaltung oder auch für die Prüfprogramme und die Schutzpflichten in landesrechtlich geregelten Genehmigungsverfahren aufstellt.[192] Gerade in der Rechtsprechung des BGH zum Landes-Verwaltungsrecht ist auch eine gewisse Tendenz zu einem bundesweit einheitlichen Verständnis landesrechtlicher Regelungskomplexe selbst bei unterschiedlicher Ausgestaltung dieser Komplexe im jeweiligen Landesrecht zu erkennen. Der BGH neigt insoweit dazu, durch „wertenden intraföderalen Rechtsvergleich“ aufgrund einer unausgesprochenen Erwartung, dass ähnliche Fragen ähnlich gelöst werden, trotz im Detail unterschiedlicher Ausgestaltung in den Ländern letztlich eine Art neues „gemeines Recht“ zu schaffen, von dem sich der Landesgesetzgeber nur schwer distanzieren kann.[193]

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      Von 1949 zur VwGO

      Die Entwicklung des Verwaltungsrechts der frühen Bundesrepublik als Ergebnis einer überaus fruchtbaren „Kooperation“ zwischen Rechtsprechung und Verwaltungsrechtswissenschaft ist oft nachgezeichnet und analysiert worden. Hierauf kann verwiesen werden.[194] Bereits erwähnt wurde die zunehmende Rechtsschutzzentrierung[195] aber auch die zunehmende „Subjektivierung“ des Verwaltungsrechts,[196] die bis heute das deutsche Verwaltungsrecht prägt. Erwähnt wurde ebenfalls die Errichtung des BVerwG 1953 als prägender Faktor für eine „Unitarisierung“ des Verwaltungsrechts.[197] Insgesamt hatte die Verwaltungsrechtswissenschaft der 1950er und 1960er einen außerordentlich praxisnahen und zugleich „rechtsschöpferischen“ Charakter,[198] weshalb die Rechtsprechung die von ihr entwickelten Lösungen dankbar annahm[199] oder sie sich zumindest hiermit umfassend auseinandersetzte, um den eigenen Ansatz zu schärfen. Das umgekehrte Interesse der Verwaltungsrechtswissenschaft an der Rechtsprechung und an ihrer kritischen Begleitung wird an den noch heute wichtigen Rechtsprechungsberichten von Otto Bachof in der JZ[200] und von Christian-Friedrich Menger im Verwaltungsarchiv[201] deutlich. Das Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsordnung 1960 verstärkte diese Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Praxis. Die VwGO war das erste „kommentierbare“ Bundesgesetz mit erheblichen Rückwirkungen für das Allgemeine Verwaltungsrecht, was insbesondere die Untersuchungen zu ihren Kernbestimmungen (§ 40, § 42, §§ 68 bis 80, § 113, § 114 VwGO) zeigten. Hiermit wurde aber auch erstmals der Schritt von der die frühe Bundesrepublik prägenden „rechtsschöpferischen“ dogmatisch-wissenschaftlichen Befassung mit dem Verwaltungsrecht hin zu einer eher die Rechtsprechung nachvollziehenden und systematisierenden Verwaltungswissenschaft getan. Diese wurde insbesondere seit dem Inkrafttreten des VwVfG typisch.[202]

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      Kriegsopferversorgungs- und Lastenausgleichsrecht

      Heute kaum noch im Bewusstsein ist dagegen die prägende Wirkung des Kriegsopferversorgungs-[203] und Lastenausgleichsrechts[204] für das Verwaltungsrecht der frühen Bundesrepublik: Es ging um die massenhafte Überprüfung individueller Einzelschicksale anhand komplexer, sich ständig ändernder Regelungen, die schon sehr früh die Notwendigkeit klarer verwaltungsverfahrensrechtlicher Standards verlangten. Das Gesetz über die Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegssachschäden vom 21.4.1952[205] und das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2.5.1955[206] enthielten insoweit umfassende Regelungen, die auch für das VwVfG prägend waren.[207] Von Bedeutung war das Kriegsfolgenrecht aber auch aufgrund des insoweit vorgesehenen Zusammenspiels zwischen Bundesfinanzierung und Landesverwaltung: Zahlreiche Probleme der Vollzugsverflechtung zwischen Bund und Ländern, die bis heute eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen, wurden hier erstmals sichtbar (vgl. Art. 120a GG) und diskutiert.[208]

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      Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes

      Prägend für die weitere Verwaltungsrechtsentwicklung war aber vor allem auch das Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes (BBauG) vom 23.6.1960.[209] Das BBauG schob gegenüber dem Landes-Baupolizeirecht nunmehr die Bauleitplanung in den Vordergrund, erzwang mit §§ 14 ff. und §§ 29 ff. BBauG aber auch eine gewisse Vereinheitlichung und Strukturierung der nach wie vor landesrechtlich geregelten Baugenehmigungsverfahren. Damit trat in den 1960er Jahren mit dem (1986 zum BauGB umgewandelten[210]) BBauG auch das letzte „große Referenzgebiet“[211] des besonderen Verwaltungsrechts (neben den „klassischen“ Referenzgebieten Polizei- und Ordnungsrecht, Kommunalrecht und [damals noch] Beamtenrecht und Straßenrecht) auf den Plan.[212] In dem vielfach nur als „BVerwGE 34, 301“ zitierten Urteil des BVerwG vom 12.12.1969[213] erfolgte dann die Aufwertung des unscheinbaren Satzes im § 1 Abs. 4 S. 2 BBauG, dass bei der Bauleitplanung „die öffentlichen und privaten Belange