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Handbuch des Verwaltungsrechts


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unveränderte Neudruck der dritten Auflage des „Verwaltungsrecht[s]“ von Walter Jellinek.[37] Dieser Nachdruck und sein Umgang mit ihm zeigen letztlich deutlich, dass sich das Verwaltungsrecht des (westlichen) Nachkriegsdeutschlands jedenfalls auch als Fortschreibung des Verwaltungsrechts der Kaiserzeit und der Weimarer Republik verstand und hieran anknüpfte.[38] Dementsprechend ist nicht verwunderlich, dass zahlreiche Kommentare und Handbücher zum besonderen Verwaltungsrecht aus der Zeit vor 1945 weiter benutzt wurden und nach 1949 auch Neuauflagen erlebten. Allerdings führte dies auch dazu, dass in der praktischen Rechtsanwendung Rechtsprechung und Literatur auch aus der Nazi-Zeit so herangezogen wurde „als hätte es 1945 nicht gegeben“.[39]

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      Sowjetische Besatzungszone und Verwaltungsrecht der DDR

      Die besonderen Entwicklungen in der sowjetischen Besatzungszone bleiben in diesem Kapitel ebenso ausgeblendet wie die spätere (Verwaltungs-)Rechtsentwicklung der DDR. Tatsächlich prägte das Recht der DDR das westdeutsche Verwaltungsrecht der frühen Bundesrepublik allenfalls als Negativbeispiel eines nicht-rechtsstaatlichen Verwaltungsrechts. Heute ist es nur noch von historischem Interesse. Das Verwaltungsrecht des wiedervereinigten Deutschlands ist eine Fortschreibung des unter dem Grundgesetz vom 23.5.1949 entwickelten westdeutschen Verwaltungsrechts.[40]

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      Verfassungsrechtliche „Kanalisierung“ der Verwaltungsrechtsentwicklung

      Dass das Grundgesetz für das Verständnis von den Aufgaben und Funktionen der Verwaltung und des Verwaltungsrechts in der Bundesrepublik Deutschland eine zentrale Rolle spielt, ist eine Binsenweisheit. Sie wird traditionell mit dem Diktum von Fritz Werner,[41] Verwaltungsrecht sei konkretisiertes Verfassungsrecht, verbunden.[42] Die Bedeutung des Grundgesetzes für die Verwaltungsrechtsentwicklung nach 1949 beschränkt sich dabei jedoch nicht nur auf die – natürlich überragend wichtige – Rolle der Grundrechte und des Individualrechtsschutzes.[43] Grundgesetzliche Vorgaben haben auch sonst die Verwaltungsrechtsentwicklung kanalisiert, wobei nicht jeder dieser Kanäle vom Parlamentarischen Rat bewusst konzipiert worden oder der Verwaltungsrechtsentwicklung förderlich war.[44]

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      Art. 123 Abs. 1 GG: Übernahme alten Rechts

      Das Grundgesetz ordnet mit Art. 123 Abs. 1 GG an, dass jegliches Recht aus der Zeit vor dem Zusammentritt des Bundestages fortgilt, soweit es dem Grundgesetz (inhaltlich) nicht widerspricht. Damit nahm das Grundgesetz das geschilderte „verwaltungsrechtliche Erbe“ des Deutschen Reichs – einschließlich des um nationalsozialistisches Gedankengut gereinigten[45] Erbes der NS-Zeit – und des Rechts der Besatzungsmächte[46] an.[47] Angenommen wurden damit auch die diesem fortgeltenden Recht zugrunde liegenden Strukturen und Rechtsgedanken, also letztlich das bis dahin entwickelte Allgemeine Verwaltungsrecht, in dessen Licht auch das übernommene oder neu geschaffene Besondere Verwaltungsrecht zu lesen war.[48]

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      Übernahme (fort)bestehender Verwaltungsorganisationen

      Hasso Hofmann weist zudem darauf hin, dass sich die Bundesrepublik nach Art. 122 Abs. 2, Art. 127, Art. 130 und Art. 131 GG die in den (westlichen) Besatzungszonen errichteten bzw. weitergeführten Behörden und Träger mittelbarer Staatsverwaltung[49] gleichsam „einverleibt“ hat, sodass auch insoweit eine „institutionelle Kontinuität“ dieser Organe und Strukturen gewährleistet war.[50] Art. 33 Abs. 4 und 5 GG garantierten zudem eine Kontinuität des öffentlichen Dienstrechts und der hergekommenen Grundsätze des Berufsbeamtentums. Dass diese Verwaltungskontinuität auch praktisch „gelebt“ wurde, war jedenfalls auch Folge dessen, dass in den öffentlichen Dienst der Bundesrepublik ein Großteil von Personen übernommen worden ist, die bis zum 8.5.1945 Angehörige des deutschen öffentlichen Dienstes waren.[51] Gerade weil überaus viele Personen, die bereits während der NS-Zeit Führungspositionen im öffentlichen Dienst inne hatten, nun auch Führungspositionen in der frühen Bundesrepublik übernahmen,[52] wurde das NS-System in einen „normalen Staat“[53] umdefiniert und damit ausgeblendet. Erst diese Ausblendung erlaubte wohl auch eine bruchlose Rückanknüpfung der Verwaltungspraxis und der Rechtsprechung an die deutsche (bürokratische und legalistische) Verwaltungskultur aus der Zeit vor 1933.

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      Grundrechte als unmittelbar geltende Verwaltungsrechtsquelle

      Die von Art. 1 Abs. 3 GG angeordnete unmittelbare Geltung der Grundrechte machte diese zu einer der wichtigsten Rechtsquellen des Verwaltungsrechts und führte zu einer weitgehenden Verrechtlichung des Verwaltungshandelns, vor allem durch zunehmende Bestimmtheitsanforderungen und Begrenzung behördlicher Entscheidungsspielräume.[54] Damit trat nach Inkrafttreten des Grundgesetzes die bürgerschützende Funktion des Verwaltungsrechts in den Vordergrund rechtswissenschaftlicher Wahrnehmung: Die Allmacht der Verwaltung zu begrenzen und zugleich klarzustellen, dass „[d]er Staat […] um des Menschen willen da [ist], nicht der Mensch um des Staates willen“ (Art. 1 Abs. 1 HChE),[55] wurde als primäres Anliegen des Verwaltungsrechts verstanden, wobei Art. 19 Abs. 4 GG eine Schlüsselrolle zugesprochen wurde. Bis heute wird daher oft als zentrale Aufgabe des Verwaltungsrechts gesehen, die Verwaltung zum Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür (gerichtlich durchsetzbaren) Bindungen zu unterwerfen (und darüber hinaus ihre Tätigkeit zu legitimieren und zu rechtfertigen).[56]

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      Funktionen des Verwaltungsrechts

      Die dem Verwaltungsrecht unbestritten ebenfalls zukommende ermächtigende Funktion geriet hierdurch teilweise aus dem Blick.[57] Hierbei handelt es sich um die Funktion, einen rechtlichen Rahmen für die Erfüllung der verfassungsrechtlich, gesetzlich und regierungsseitig definierten Verwaltungsaufgaben zu bilden und die Verwaltung in einer Weise zu organisieren und mit Befugnissen und rechtlichen Instrumenten auszustatten, die sie in den Stand setzt, diese Aufgaben im Gemeinwohlinteresse zu erfüllen.[58] Insbesondere das Besondere Verwaltungsrecht lässt sich aber letztlich nur von seiner ermächtigenden Funktion her verstehen. Gerade hier wirken daher Traditionen aus der Zeit vor 1933 fort, etwa beim Polizei- und Ordnungsrecht,[59] beim Beamtenrecht,[60] beim Kommunalrecht,[61] beim Straßen- und öffentlichen Sachenrecht,[62] beim Gewerberecht[63] und beim Steuer-[64] und Sozialversicherungsrecht.[65]

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      Subjektivierung des Verwaltungsrechts

      Auch wenn die Traditionen aus der Zeit vor 1933 gerade in den genannten Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts fortwirken, löste die unmittelbare Geltung der Grundrechte unter dem Grundgesetz jedoch sehr schnell aus, dass dieses besondere Verwaltungsrecht nicht mehr nur als die Summe von Regelungen verstanden werden konnte, welche die notwendigen Ermächtigungsnormen, Zuständigkeits- und Verfahrensregelungen zur Erfüllung gesetzlich festgelegter Verwaltungszwecke bereitstellten.[66] Schon früh wurden seine Regelungen in erheblichem Umfang unter Rückgriff auf die Grundrechte in dem Sinne „subjektiviert“, dass Individualansprüche auf eine bestimmte Art und Weise der Aufgabenerfüllung gewährt und diese über Art. 19 Abs. 4 GG für gerichtlich durchsetzbar erklärt wurden.[67] Grundlegend war insoweit die Entscheidung des BVerwG vom 24.6.1954 zu dem aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip hergeleiteten Grundsatz, dass das damalige Sozialhilferecht (Armenfürsorgerecht) so zu verstehen sei, dass dort, wo das Gesetz dem Träger der Fürsorge zugunsten des Bedürftigen Pflichten auferlege, der Bedürftige entsprechende Rechte habe und daher gegen ihre Verletzung den Schutz der Verwaltungsgerichte anrufen könne.[68] Auf derselben Linie lag es, dass schon in den 1950er Jahren anerkannt war, dass sich ein Anspruch auf Erteilung einer berufszulassenden (ggf. gewerberechtlichen) Genehmigung