einem Anflug von Trotz.
»Nichts … Aber … so weit weg? Und dann gleich so lange?« Endlich erinnerte sich Felicitas wieder an die Gläser in ihren Händen und stellte sie auf den Tisch.
Dankbar für diese Unterbrechung nahm Anneka eines davon. Das Wasser war kühl und prickelte auf ihrer Zunge.
»Ich bin ja nicht aus der Welt, Mum«, erklärte sie dann. »Heutzutage hat man doch so viele Kommunikationsmöglichkeiten. Und ihr könntet mich ja auch mal besuchen«, redete sie auf ihre Mutter ein. »Dann machen wir eine Tour durch Neuseeland. Tatjana und Danny sind auch dabei.«
Fee fiel von einer Überraschung in die nächste.
»Die beiden wissen schon Bescheid?«
Diesmal war es Anneka, die ein schlechtes Gewissen bekam.
»Ich war gestern Abend bei ihnen und hab’s erzählt«, gestand sie leise.
Fee griff nach ihrem Wasser.
»Und? Was sagt Danny dazu?« Über den Rand des Glases sah sie ihre Tochter an.
»Er ist nicht begeistert«, musste Anneka zugeben.
»Wundert dich das?« Felicitas seufzte. »Nach allem, was wir in den vergangenen Monaten mit Felix durchgemacht haben … Erst der Flugzeugabsturz, dann die Chagas-Krankheit …«
»In Neuseeland gibt es keine Tropenkrankheiten«, fiel Anneka ihr ins Wort. »Und für den Absturz kann ich doch nichts. Soll ich jetzt mein Leben lang auf Abenteuer verzichten, nur weil meinem Bruder so was Blödes passiert ist? Für das er noch nicht mal was kann?« Selten sprach sie mit so lauter und energischer Stimme.
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Fee. »Du sollst dein Leben führen, wie es dir gefällt. Trotzdem wird deinem Vater der Gedanke noch weniger gefallen als mir.«
»Schon möglich.« Anneka warf den Kopf in den Nacken. »Aber bist du denn wenigstens auf meiner Seite?«
Diese Frage brachte Fee in Bedrängnis.
»Natürlich bin ich das. Aber Dan verstehe ich auch«, seufzte sie aus tiefstem Herzen.
Anneka stellte ihr Glas auf den Tisch und erhob sich. Die Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Ihr Plan, zuerst ihre Mutter gewogen zu stimmen und dann mit Fees Hilfe Daniel zu überzeugen, war ganz offensichtlich gescheitert.
»Dann wirst du dich wohl entscheiden müssen«, erklärte sie und marschierte aus dem Büro, bevor Felicitas überhaupt wusste, wie ihr geschah.
*
Im Gegensatz zu Joseph Wild – er strahlte übers ganze Gesicht – schien Wendy nicht halb so erfreut darüber zu sein, ihn so unvermutet wiederzutreffen. Blitzschnell erfasste Dr. Daniel Norden die Situation und beschloss, die Notbremse zu ziehen.
»Wie schön, Sie wiederzusehen.« Er begrüßte seine langjährige Assistentin mit einer Umarmung. Dann wandte er sich an seinen Patienten. »Da Sie sich offenbar kennen, schlage ich vor, wir feiern alle gemeinsam Wendys Rückkehr.« Ohne eine Antwort abzuwarten, bugsierte er seine Assistentin nach draußen. Strahlend folgte Joseph den beiden vor an den Tresen, wo Janine schon mit Kaffee und Torte wartete. Den Pharmareferenten Sebastian Klotz hatte sie bereits versorgt und sah den anderen Gästen erwartungsvoll entgegen.
»Ein Glück, dass ich vorgesorgt und extra viel Kaffee gekocht habe«, lobte sie ihre vorausschauende Organisation. »Und die Torte ist ja groß genug für alle.« Sie reichte Wendy einen Teller, ehe sie sich auch um das Wohl der anderen kümmerte. »Und? Wie war’s auf der Kur?«, fragte sie nebenbei.
Ohne es zu ahnen, spielte sie Dr. Norden mit ihrer geschäftigen Betriebsamkeit in die Hände. Auch Wendy war ihr offensichtlich dankbar dafür.
»Es war wunderbar«, erwiderte sie. »Ich könnte mich glatt dran gewöhnen, den ganzen Tag verwöhnt zu werden.« Als sie Sebastian Klotz‘ Miene sah, wusste sie, dass dieser Satz ein Fehler gewesen war. Schnell fuhr sie fort. »Ich meine natürlich mit Mineralbädern, Massagen und Sport.«
»Klingt gut. Ich glaub, ich werde auch eine Kur beantragen«, beschloss Danny und schob eine große Gabel Torte in den Mund.
Wendy legte den Kopf schief.
»Die Diät habe ich noch nicht erwähnt, oder?«, fuhr sie schelmisch lächelnd fort. »Ich hab drei Wochen lang nur von Salat und Gemüse gelebt.«
Danny riss die Augen auf.
»Niemals. Dann verzichte ich auf Massagen, Bäder und Co.«
Lachend wandte sich Daniel an Wendy.
»Danke, Sie haben mir eben das Leben gerettet. Ohne den Junior könnte ich die Praxis bald zusperren.«
»Gern geschehen.« Wendy zwinkerte ihrem Seniorchef zu und trank einen Schluck Kaffee.
Die entstandene Stille nutzte Joseph Wild, um endlich zu Wort zu kommen.
»Was für eine großartige Überraschung, dich ausgerechnet hier wiederzusehen.«
Wendy zuckte zusammen. Über der launigen Unterhaltung hatte sie seine Anwesenheit fast vergessen.
»Was machst du eigentlich hier in der Praxis?«, stellte sie eine berechtigte Frage.
»Ich bin hier wegen meiner Herzprobleme.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Das Herz? Ist es was Schlimmes?«, entfuhr es ihr. Genau wie ihr Chef zuvor verstand sie erst zu spät, was Joseph wirklich damit meinte.
Er lachte so aufreizend, dass ihre Wangen flammend rot wurden.
»Jetzt nicht mehr«, räumte er ein und lächelte sie verliebt an. »Darf ich darauf hoffen, dass du etwas Zeit für einen Restaurantbesuch oder eine Stadtführung findest?« Er hatte kaum ausgesprochen, als ein lautes Schnauben zu hören war.
Die ganze Zeit hatte Sebastian Klotz still in einer Ecke gestanden und den Worten des Konkurrenten gelauscht. Angesichts dieses Vorstoßes konnte er nicht länger an sich halten.
»Was bilden Sie sich eigentlich ein?«, fuhr er Joseph Wild so schroff an, dass der zurückzuckte. »Platzen hier rein und verlangen so mir nichts, dir nichts eine Verabredung von Frau Wendel? Das könnte Ihnen so passen!«
Am liebsten hätte sich Wendy in Luft aufgelöst, als er allen Mut zusammen nahm und zwischen sie und Joseph trat.
»Bevor sie mit Ihnen ausgeht, ist sie mir eine Verabredung schuldig«, verlangte er. Es war ihm anzusehen, dass er am liebsten mit dem Fuß aufgestampft hätte wie ein kleines Kind. »Immerhin habe ich die ganze Zeit auf sie gewartet.«
Unwillkürlich hielten Daniel, Danny und Janine die Luft an.
Joseph musterte den Pharmareferenten von oben bis unten. Inzwischen hatte er sich von dem Schreck erholt. Sein Blick sprach Bände.
»Soso, haben Sie das?«, fragte er seelenruhig.
Sebastian holte Luft, um zu antworten, als Wendy entschieden dazwischen ging.
»Moment mal«, fauchte sie. »Ich glaube, ich kann immer noch selbst entscheiden, mit wem ich mich wann verabrede. Das gilt für Sie beide.« Ihr Blick funkelte vor Zorn, als sie zu ihrer Kurbekanntschaft herumfuhr. »Und du, Joseph, hast noch lange nicht das Recht, so mit meinem Bekannten zu sprechen.« Sie sah auf die Uhr. »Übrigens beginnt die Sprechstunde in ein paar Minuten. Deshalb ist die Feier an dieser Stelle beendet. Meine Herren.« Mit vielsagender Miene deutete sie auf die Tür. Während Sebastian Klotz nach einem Grund suchte, noch länger zu bleiben, lenkte Joseph sofort ein.
»Es tut mir aufrichtig leid, dich so in Bedrängnis gebracht zu haben. Bitte verzeih.« Mit einer kleinen Verbeugung verabschiedete er sich von allen Anwesenden und zog sich zurück.
Als die Tür leise hinter ihm ins Schloss gefallen war, klatschte Sebastian in die Hände.
»Endlich sind wir diesen Westentaschencasanova los«, bemerkte er. »Das haben Sie gut gemacht, Annemarie.«