Bahnhof.
Dort stand Jule. Er hatte einen Rucksack auf dem Rücken. Mit gesenktem Haupte trat er an Professor Bender heran.
»Wenn ich ein sehr ordentlicher Tischler werde, darf ich dann mitkommen?«
»Höre, Jule,« sagte der Professor, »ich pflege mein Wort zu halten. In diesem Jahre nehme ich dich nicht mit. Aber übers Jahr, wenn ich wieder an die See fahre, wenn mir dein Meister sagt, daß du ein fleißiger Lehrling bist, dann sollst du mitkommen,«
Da wußte der Knabe, daß er seine letzten Hoffnungen begraben mußte. Pommerle eilte auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch.
»Jule – Jule – Jule,« mehr konnte es nicht sagen.
Dann trug der Zug die Reisenden davon. Das Kind saß bleich in der Wagenecke, und je näher man der pommerschen Heimat kam, um so stärker klopfte das kleine Kinderherz. Mitunter sprang es von seinem Platze auf.
»Tante, die See rauscht!«
»Nein, Pommerle, so weit sind wir noch nicht, die Lokomotive läßt nur den Dampf heraus.«
Endlich hatte man Stettin erreicht. »So, mein liebes Kind, jetzt sind wir schon in Pommern. Nun nur noch wenige Stunden, und wir sehen die See.«
Endlich war der kleine Badeort erreicht. Da die Reisezeit begonnen hatte, standen am Bahnhofe mehrere Droschken. Pommerle stand wie gebannt in der Bahnhofstür und rührte sich nicht. Es starrte auf einen der Männer, der auf dem Bock einer der Wagen saß.
»Onkel Will!«
Pommerle hatte in dem Fuhrmann den Freund des Vaters erkannt. Aber auch er hatte die Kleine bemerkt. Mit einem Sprunge war er vom Bocke herunter.
»Hanna, bist du nicht die kleine Hanna Ströde?«
Pommerle lag dem Manne in den Armen, wieder lachte und weinte es, und jetzt kam noch ein Zweiter heran, der ebenfalls seine Arme um die Kleine legte.
»Ich bin wieder da!« jubelte das glückliche Kind, »und bleibe dreißig lange Tage hier!«
Nachdem die erste Wiedersehensfreude vorüber war, drängte der Professor zur Abfahrt. Mit Onkel Will fuhr man ins Dorf. Professor Bender hatte nicht wieder in jenem Fischerhause gemietet, in dem er so viele Jahre gewohnt hatte. Er wollte nicht, daß Hanna zu stark an die Vergangenheit erinnert wurde. Aber man hatte ein ähnliches Fischerhaus gewählt, um dort die nächsten vier Wochen zu verleben.
Hanna saß im Wagen. Sie wurde jetzt immer lebhafter.
»Sieh mal dort das Haus, das gehört Onkel Schmidt, und alle Bäume sind noch da. – Ach, die vielen Hühnerchen! – Und dort drüben steht Tante Marta, – und das dort ist der Paul!«
Fast über jedes Haus, über jeden Garten wußte Pommerle etwas zu berichten. Dann kam die See in Sicht. Da verstummte der kleine Plappermund ganz plötzlich. In Hannas Augen traten Tränen.
»Die Ostsee,« sagte sie leise. Unendlicher Jubel lag in den beiden Worten.
Sie wandte jetzt keinen Blick mehr von der weiten Wasserfläche, die heute fast regungslos dalag. Der Wagen hielt, das Kind merkte es nicht einmal.
»Wir sind da, Pommerle, jetzt steige aus,« mahnte Frau Bender.
Da sprang die Kleine rasch heraus, lief aber nicht ins Haus, das der Onkel bereits betreten hatte, wandte sich nach der anderen Seite und lief über die weißen Dünen hinab zum Strande.
»Die See, – – die See, – – der Strand, – – o du mein liebes Wasser!«
Dann tauchte sie die Händchen ins Wasser, legte sich schließlich gänzlich nieder und gab den leise herankommenden Wellen einen langen Kuß. Dann setzte sich das Kind still nieder, schloß die Augen und hörte auf das leise Plätschern des Wassers.
»Erzähl' mir vom Vater und von der Trude, vom Hans und von allen anderen.«
So lag das Mädchen wohl eine halbe Stunde lang still da. Frau Bender konnte vom Fenster ihrer Wohnung aus die Kleine sehen, sie ließ sie ruhig gewähren.
Als dann aber die Dunkelheit hereinbrach, ging Frau Bender hinab zum Strande, um ihr Pflegetöchterchen zu holen.
»Nun komme ins Haus, Kleine, vom Fenster aus kannst du auch die See sehen.«
Pommerle schlang seine Aermchen fest um den Hals der Tante. »Ich bin heute so froh, – ach, so froh, das Wasser hat mir so schöne Sachen erzählt.«
»Nun komme heim, mein kleines Plappermäulchen, der Onkel wartet.«
Man nahm das Abendessen ein, Pommerle schaute immer wieder durchs Fenster auf die weiße See. Und als es dann endlich zu Bett gebracht wurde, sprach es ein herzliches Dankgebet zum lieben Gott.
Dann lauschte das Kind den leise tauschenden Wellen und schlief bald mit glücklichem Lächeln ein. Im Traume aber sah es sich wieder mit Trude, Hans und Otto spielen, und daneben stand Jule, der hobelte fleißig eine Strandlaube. Diese Strandlaube aber, so sagte er, sollte die schöne Wohnung sein, in der er mit Pommerle Hochzeit machen wollte.
Mit Pommerle durchs Kinderland
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Freuden und Leiden in Neuendorf
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Von Indianern, Räubern und vom Rübezahl
Pommerle hat Geburtstag
Immer wieder huschte ein vorwitziger Sonnenstrahl durch die geschlossenen Vorhänge in das kleine Zimmer, tanzte über das Bett, in dem ein blondhaariges Mädchen schlummerte. Und immer wieder kehrte der Sonnenstrahl zu seinen Schwestern zurück, um ihnen zu melden, daß Pommerle noch schlafe.
Ruhig atmend, die Wangen hochrot von einem schönen Traum, lag die kleine Hanna Ströde im Bettchen, bis sie plötzlich auffuhr, weil eine freundliche Stimme sie anrief:
»Pommerle – Langschläferin – willst du heute gar nicht aufstehen?«
Hanna rieb sich die Augen. Im ersten Augenblick wußte das Kind nicht, wo es sich befand. Es mußte doch zur Schule, – ach nein! War man nicht gestern aus Hirschberg fortgefahren, um an die Ostsee zu reisen?
Die freundliche Dame, die das Kind geweckt hatte, neigte sich jetzt zärtlich über Hanna.
»Guten Morgen, mein kleiner Liebling, hast du gut geschlafen? Weißt du auch, daß unser Pommerle heute seinen Geburtstag hat, daß es neun Jahre alt wird?«
»Oh – Geburtstag! – Höre nur, Tante, wie die See rauscht.«