beseitigen mußte, strich ihm Pommerle verstohlen über das rote Haar.
»Hast dafür ein Stück Kuchen bekommen, Jule, und am Dienstag gibt es noch mehr. Mußt nicht traurig sein.«
»Wenn du doch nach Schweden gehst.«
»Aber Jule, ich komme ja wieder, ich bleibe doch nur ein bißchen fort.«
»Dort gibt es keine Schneekoppe und auch keinen Rübezahl. Keine so schönen Bäume wie hier, und Tannen kennt man überhaupt dort oben nicht. Dort wachsen nur Palmen und Oleander.«
»Hab' nur keine Angst, Jule, schön wird es dort oben auch sein, so schön wie in Pommern. – Ach, und viel Wasser haben sie auch! – Jule, Jule, so viel Wasser! Dann liege ich wieder am Wasser, und die Wellen erzählen mir viel schönes. Du, ich freue mich darauf. Aber ich bin auch gerne in Schlesien. Ich bin überhaupt gerne bei den Eltern, und da bleibe ich auch.«
»Hast recht, Pommerle«, sagte Sabine, »die Heimat ist das Schönste. Die fremden Länder haben gewiß auch herrliche Gegenden, aber das ist nicht Heimatluft, die uns froh und glücklich macht.«
»Hm – – ja – – die Heimatluft, die riechst du, Sabine, nicht wahr? Denn sehen kannst du doch gar nicht, wie schön alles ist. Aber, freilich, du siehst ja mit den Ohren, und du riechst die Heimat. – Ach, Sabine, in unserem Garten riecht es so nach Fliederheimat!«
»Ganz recht, kleines Pommerle, doch nicht nur nach Flieder, nach allem, was uns die Heimat schenkt, duftet es in uns und um uns her.«
»Auch nach Wasser! – Sabine, weißt du auch, daß Wasser wunderschön riecht? Die Ostsee riecht auch nach Heimat.«
»Nun werden zu euch die verschiedensten Leute aus allen Ländern kommen, Pommerle, und alle werden von ihrer schönen Heimat erzählen, und doch werden sie entzückt sein von unserem Hirschberger Tal, von unserem Riesengebirge.«
»Dann werden sie wenigstens mal was Schönes sehen«, warf Jule dazwischen. »In Schweden gibt es kein Riesengebirge. – Pah, als ob ich jemals nach Schweden ginge. Es ist das langweiligste Land der Erde. Nur Wasser und Eis!«
»Jule, du bist dumm! Ich habe mir gestern angesehen, wo Schweden liegt. In der Schule hängt auch eine große Landkarte. Weißt du noch, Jule, Europa ist ein fester Klumpen, unten hat es einen Stiefel, das ist Italien, an der linken Ecke hat es einen Hut, das ist Spanien, und oben, dort, wo über dem Klumpen eine Katze läuft, dort ist Schweden und Norwegen.«
»Quatsch!«
»Das ist kein Quatsch, Jule. Wenn du zu uns kommst, zeige ich dir, wo die Katze läuft. Der Buckel ist Norwegen, und der Bauch ist Schweden. Nun weißt du, wo Schweden liegt.«
»Hahaha – im Bauch der Katze! Dorthin gehst du? Ich bleibe lieber in Hirschberg. Laß das nur den Rübezahl hören, daß du nach Schweden willst, er kann die Schweden nicht leiden. Er hat das Pferd des schwedischen Hauptmanns verhext!«
»Die Ausländer werden gewiß unser Riesengebirge mit viel Interesse ansehen. Ihr wißt doch, daß unsere Kirche Wang, zu der ihr auch schon gewandert seid, einstmals in Norwegen stand?«
Jule warf das Brett, das er grade in den Händen hielt, knallend zu Boden.
»Sowas brauchst du mir nicht vorzureden, Sabine«, rief er ärgerlich. »Als meine Mutter noch ganz klein war, ist sie schon in die Kirche Wang gegangen! Freilich, und nu soll sie gar in Norwegen gestanden haben. Es ist unsere Kirche! Am Ende holt sie sich der Norweger wieder, wenn er hört, daß jemand solchen Unsinn redet. Der Norweger soll sich lieber auf den Buckel seiner Katze setzen. Die Kirche Wang steht im Riesengebirge, und dort bleibt sie!«
»Dort wird sie auch bleiben, Jule. Doch deswegen kann niemand leugnen, daß die Kirche in Bergen in Norwegen stand, daß sie der König Friedrich Wilhelm der Vierte nach hier bringen ließ. In Norwegen wollte man die baufällige Kirche abreißen, aber das hat ein deutscher Gelehrter nicht zugelassen. Er kaufte sie, und hier ist sie genau wieder so aufgebaut worden, wie sie einst oben in Bergen stand. Alles aus Holz, ohne jedes Eisenwerk. Nun, das brauche ich euch ja nicht zu erzählen, das wißt ihr besser als ich.«
Verächtlich zuckte Jule die Schultern.
»Solch 'ne schöne Kirche abreißen zu wollen. Nu ja, die dort oben kennen nur Erdhöhlen und Eisblöcke. – Aber das sage ich dir, Sabine, wenn der Mann am Geburtstag meines Vormundes etwa sagt, daß er die schöne Kirche Wang wiederhaben will, wo sie so schön dasteht, dann kriege ich wieder meine Wut in den Leib! Die Kirche gebe ich nicht mehr her!«
»Die Herren werden gewiß einen Ausflug nach der Kirche Wang machen und sich an dem alten, schönen Bauwerk erfreuen.«
Jule schluckte mehrmals. »Und – und – – wenn wir dann hinkommen – ist sie weg. – Aber das läßt sich der Rübezahl nicht gefallen. Ich will es ihm beizeiten sagen. Die Kirche bleibt hier!«
»Sag mir lieber, Jule, ob du schon den Holzkasten für den Vater angefangen hast?«
»Viel was Schöneres, aber es ist noch nicht fertig.«
»Wird es den Vater erfreuen?«
»Mächtig!«
»Dann ist es gut. – Ach, was ich ihm schenke, das freut ihn auch, aber ich sag' es noch nicht!«
Und in Gedanken murmelte Pommerle wieder den langen Absatz aus dem Konversationslexikon, einige Male stockend bei schwierigen Worten. Doch Pommerle fand, daß es wundervoll klappte.
Schließlich mahnte Sabine, die Werkstatt wieder zu verlassen, denn weder der Vater, noch Jule dürften bei der Arbeit gestört werden. Pommerle trat nochmals an den Freund heran.
»Hab nur keine Angst, lieber Jule, daß ich in Schweden bleibe, ich komme bestimmt wieder. Weißt du, ich will doch immer Heimatduft riechen, und es ist doch hier so schön. Ich hab' dich doch gerne. – Weißt du, wenn ich immer in Schweden bliebe, könnte ich dich nicht mal heiraten, und das will ich doch. Auch die Berge habe ich sehr lieb und die vielen Blumen und die Vögel, und – – und, Jule – und mein Pommern habe ich doch auch nicht in Schweden.«
»Aber viel Wasser hast du dort.«
»Ja, Jule – aber das ist doch anderes Wasser, das riecht nicht so gut wie unser Wasser. Und die Sabine wird sagen, das ist eben Heimatwasser. – Jule, wenn ich nach Schweden fahre, ob ich dann wohl ein kleines bißchen in Pommern bleiben darf? Weißt du, Jule, ich möchte eigentlich gar nicht nach Schweden, ich möchte lieber wieder an die Ostsee, dort ist die Elli Götsch, der Otto Jäger und die Grete Bauer. In Schweden habe ich die alle nicht. Jule, sei nicht böse, Jule – dein Hirschberg ist ja sehr schön, aber – aber – – mein Pommern ist doch viel schöner.«
»Ich bin dir ja gar nicht böse, Hanne, du bist eben ein Pommer und ich ein Schlesier.«
»Und alles beides ist Deutschland! Da sind wir alle beide Deutsche. Jule, wir können doch froh sein, daß wir zwei Deutsche sind.«
»Ja, Deutschland ist schön, darum brauchst du gar nicht erst nach Schweden.«
»Wenn ich noch nach Schweden fahre, will ich den Leuten drüben sagen, wie schön mein Pommern und dein Riesengebirge ist. – Aber nun muß ich gehen, Jule. Vorläufig fahre ich ja noch nicht, jetzt kommt erst Pfingsten und dann wieder Schule. Aber dann! Und wenn die Schule wieder anfängt, bin ich auch wieder da!«
Sie verabschiedeten sich, und Jule machte sich wieder an die Arbeit. Die Hobelspäne flogen nur so. Er war doch nicht so ruhig, wie es äußerlich schien. Seit er erfahren hatte, daß die Kirche Wang einst den Norwegern gehört hatte, hatte er Sorgen um den alten, interessanten Bau. Wenn ihn nur der Norweger, der zum Geburtstag des Vormundes kam, nicht wieder abreißen ließ.
»Rübezahl«, stieß er zwischen den Zähnen hindurch, »das lasse dir nicht gefallen, die schöne Kirche bleibt hier!«
Kapitel 2.
Der Jubiläumsgeburtstag