Magda Trott

PUCKI & POMMERLE: Alle 18 Bücher in einem Band


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Schlitten ganz geblieben wäre! Er stürmte davon, obwohl Pommerle jämmerlich hinter ihm drein rief.

      Das nächste Haus war immerhin zehn Minuten von der Unglücksstelle entfernt. Eine Holzfällerfamilie bewohnte es. Die Frau schlug die Hände zusammen, als sie den blutenden Knaben sah. Er berichtete hastig, was sich ereignet hatte, und bat um Hilfe.

      Die Frau rief nach dem Manne, nach dem Sohne. Man holte einen kleinen Handwagen, auf den man Decken legte. Der Jule zeigte die Unglücksstelle. Pommerle schrie wild auf, als man es auf den Wagen bettete.

      Dem Jule hatte man mit einem feuchten Tuch das blutende Gesicht abgewischt und einen Notverband angelegt.

      So ging die traurige Fahrt heim.

      »Vielleicht ist es besser«, meinte der Jule, »wir fahren zu Meister Reichardt, nicht zu Professor Bender. Wenn er Pommerle so sieht, wird er schimpfen.«

      »Unsinn«, meinte der Mann. »Je eher das Kind daheim ist, um so besser. Und du kannst gleich zum Arzt laufen, Jule.«

      »Bringen Sie auch das Pommerle gut heim?«

      »Freilich, wir sind ja zwei. Dich kann der Arzt auch gleich richtig verbinden.«

      Ein Weilchen ging der Jule noch neben dem Wagen her. Als man aber in die Nähe des Benderschen Hauses kam, war er froh, daß er sich entfernen konnte.

      Frau Bender bekam einen namenlosen Schreck, als man ihr sagte, was sich ereignet hatte. Pommerle hatte sich wahrscheinlich das rechte Bein gebrochen und auch noch andere kleine Verletzungen erlitten.

      Doktor Klaus war sehr schnell zur Stelle. Er untersuchte das Bein des Kindes und stellte neben einem Beinbruch fest, daß ein Holzsplitter in Pommerles Wange und einer in die Hüfte gedrungen sei.

      »Die Kleine wird sehr lange zubringen müssen, ehe der Fuß wieder brauchbar ist.«

      Pommerle mußte die größten Schmerzen ertragen. Wie weh tat die Untersuchung, wie schmerzhaft war das Strecken des gebrochenen Beines! Es schrie oftmals wild auf. Immer wieder rannen die Tränen über das Gesicht.

      Frau Bender hatte kein Wort des Vorwurfs für das Kind, aber Pommerle fühlte doch, daß es ein großes Unrecht begangen hatte, daß der Unfall die Strafe für seinen Trotz war.

      In den ersten Tagen waren freilich die Schmerzen so groß, daß Pommerle an nichts anderes denken konnte. Aber allmählich kam ihm die Erinnerung an sein Verhalten an jenem Sonnabend. Wie häßlich war es zu dem guten Vati gewesen. An diesem Sonnabend war auch der Plan entstanden, zu rodeln. Je toller, desto besser! Aus Trotz hatte man jenen steilen Hang gewählt. Nun war diesem Trotz die Strafe gefolgt.

      Es dauerte mehrere Tage, ehe sich Jule im Benderschen Hause sehen ließ. Er hatte den Kopf noch immer verbunden. Als er den Professor erblickte, schlug er schuldbewußt die Augen nieder.

      »Gebe der Himmel, Jule, daß der Bruch und die Wunden gut heilen. Ich glaube, du würdest dein Leben lang nicht mehr froh werden können, wenn unser Pommerle ein verkürztes Bein behielte und immer hinken müßte. Du wirst –«

      Der Jule wartete den Schluß der Rede nicht ab. Ihm war es, als müsse er laut herausheulen. Ohne Mütze lief er davon, diese hatte er im Hausflur fallen lassen. Nur weiter, immer weiter, hin zum Hausberge, hin zu Rübezahl, um den mächtigen Berggeist anzurufen, daß er jetzt dem Pommerle beistehe. Aber der Rübezahl hatte wohl hier die meiste Schuld. Nun mußte er ihn bitten, daß er alles wieder in Ordnung bringe. Schon manches Mal hatte der Rübezahl auf Jules Ruf gehört. Warum sollte es der mächtige Berggeist heute nicht auch wieder tun?

      Der Jule stürmte den Hausberg hinan. Oben streckte er beide Arme zum Himmel und schrie, so laut er konnte:

      »Fürst Rübezahl, du thronst so stolz

       In deinem Wolkensitz.

       In deinem Mantel spielt der Sturm,

       Ums Haupt zuckt dir der Blitz.

       Laß deine schlimmen Launen ruhn,

       Oh, zeig' dich mild gesinnt.

       Es flehet hier, gar demutsvoll,

       Ein armes Menschenkind.

       Oh, Geist der Berge, gnädig hör'

       Auf dieses Stoßgebet.

       Ich glaube auch mein Leben lang

       An deine Majestät!«

      Der Jule flehte für das Wohlergehen seines geliebten Pommerle.

      »Ich will meinetwegen bis an mein Lebensende mit einer zerschundenen Stirn herumlaufen, aber mach' das Pommerle wieder gesund!« –

      Nicht nur Jule, auch Sabine ging oft zu der kleinen kranken Freundin. Da lag nun Pommerle, blaß und schmal in seinem Bett und durfte sich kaum rühren, trotz der großen Schmerzen, die es hatte. Draußen war wieder Schnee gefallen, neuer Frost war gekommen.

      Und als der nächste Sonntag kam, blickten zwei Kinderaugen unendlich wehmutsvoll durch das Fenster hinaus.

      »Heute wären wir Hörnerschlitten gefahren«, sagte Pommerle ganz leise, daß es niemand hörte.

      Kurz darauf kam die Mutter ins Zimmer. Da war es mit Pommerles Fassung vorbei.

      »Ach, Mutti, jetzt weiß ich aber wirklich, daß der Himmel alles Böse bestraft. Ich bin sehr unartig gewesen. Und der Jule auch. Ich habe dem Vati seine große Freude nicht gegönnt, daß der Unhold zu ihm kam. Ich habe vergessen, daß ihr immer lieb und gut mit mir seid. Und nun habe ich das Bein gebrochen. – Bin ich denn zu Ostern wieder ganz gesund?«

      »Hoffentlich, mein Pommerle. Aber richtig wieder laufen wirst du dann noch nicht können.«

      »Fährt der Vati zu Ostern nach Breslau – und du auch?«

      »Vati fährt hin, aber ich werde bei meinem kranken Liebling bleiben.«

      Einige Augenblicke schwieg das Kind. Dann zog es erneut seine Mutti zu sich nieder.

      »Nun habe ich dir auch diese Freude kaputt gemacht. Nun kannst du nicht fahren, weil ich unartig war.«

      »Werde mir nur wieder ganz gesund, mein Pommerle.«

      »Du schimpfst ja gar nicht, Mutti«, meinte das Kind, »weil das Vergnügen kaputt geht? Du bist immer lieb und gut. – Ach, Mutti, ich will es auch nicht mehr tun. Wenn was sein soll und es ist nicht, werde ich immer zufrieden sein. Ich will wirklich nicht mehr so schlecht sein, ganz wirklich nicht. – Glaubst du mir?«

      »Ja, mein Liebling, ich glaube es dir.«

      Ein zärtlicher Kuß besiegelte das Versprechen des Kindes.

      An diesem Sonntag bereitete Jule seiner kleinen Freundin unabsichtlich Kummer.

      »Es wird schon so kommen«, sagte er. »Das eine Bein wird überhaupt nicht mehr gesund, und dann kannst du gar nicht mehr auf die Berge steigen. Du kennst doch die Lina, die kann auch nicht auf die Berge gehen, weil das eine Bein krank ist.«

      »Wird mein Bein denn nie wieder gesund?«

      »Wenn es doch zerbrochen ist. Wenn mir eine Latte zerbricht, kann ich sie auch nicht mehr zusammenleimen. Du wirst nun wohl dein Leben lang hinken.«

      Da wurde Pommerle sehr still. Nur ein paar Tränen rannen ihm über das Gesichtchen.

      Wieder kam Frau Bender und sah die Veränderung in den Zügen ihres kleinen Töchterchens.

      »Was bedrückt dich denn so sehr, mein liebes Kind? Hast du einen Wunsch?«

      »Mutti, kennst du das Lied, das der Harfen-Karle gesungen hat?«

      »Nein, mein Liebling.«

      »Ich bin gesund und wohlgemut,

       Und das ist wohl mein größtes Gut.«

      »Du wirst auch wieder gesund werden, kleines Pommerle.«

      »Der Jule sagt«, klang es schluchzend, »ich werde nie wieder auf die Berge gehen können und muß