Patricia Vandenberg

Im Sonnenwinkel Staffel 2 – Familienroman


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seufzte Jacqueline tiefsinnig. »Ich weiß nicht, ob meine Großmutter lieb ist. Ich habe sie noch nie gesehen.«

      »Willst du sie besuchen?«

      »Ich soll bei ihr bleiben, weil Li tot ist«, äußerte sie beiläufig. Ohne Ausdruck sagte sie es. »Ich hätte gern ein Picki.«

      Er machte es liebevoll zurecht und schob es ihr in den Mund.

      Ihre Augen lächelten ihn schelmisch an. Es schien ihr sehr zu gefallen, denn auf solche Weise aß sie zwei Toasts.

      »Li war meine Mama«, erklärte sie dann ungefragt. »Ich habe aber Li zu ihr gesagt. Sie wollte es so.«

      Das musste schon eine eigenartige Mutter gewesen sein, die nun tot war und die ihre kleine Tochter nicht zu vermissen schien.

      »Und dein Daddy?«, fragte Eric Ride beklommen.

      »Welcher? Charles, Ben oder Clark? Das waren auch keine richtigen Daddys. Keiner wie du«, entgegnete sie.

      Die Pickis hatten sie anscheinend schon ganz nahegebracht. Sie ging zum Du über.

      »Vielleicht hatte ich auch mal einen richtigen Daddy«, bemerkte sie sinnend, »aber den kannte ich nicht. Li hat immer gesagt, dass ich den Mund halten soll, wenn ich nach ihm gefragt habe. Du kannst mich Jacky nennen, das ist einfacher«, fuhr sie übergangslos fort.

      »Und nun bist du ganz allein«, sagte er gedankenvoll.

      »Ich habe Bimbo«, erwiderte sie.

      »Und die Granny«, stellte er fest.

      »Die Großmutter«, berichtigte sie. »In Deutschland sagt man Großmutter, hat mich die Nurse gelehrt. Und sie ist eine Freiin. Aber was eine Freiin eigentlich ist, hat mir die Nurse auch nicht erklären können. Kannst du es?«

      »Doch …, ja«, antwortete er stockend. »Das ist ein Adelstitel.«

      »Was ist Adel? Das kenne ich nicht.«

      Er erinnerte sich ungern, dass auch sein Vater als Baron zur Welt gekommen war. Er lebte in einer modernen Welt und fand das lächerlich.

      Für ihn zählte nicht die Herkunft, sondern das, was ein Mensch leistete.

      Umständlich begann er es ihr zu erklären.

      »Aber eigentlich brauchen wir uns damit nicht zu befassen, Jacky«, meinte er. »Es spielt keine Rolle.«

      »Aber die Freiin legt großen Wert darauf, hat die Nurse gesagt. In Deutschland küsst man auch die Hand. Willst du auch nach Deutschland?«

      »Ja«, nickte er. »Nach Frankfurt.«

      Ihre Augen strahlten noch heller.

      »Ich auch. Wie heißt du?«

      »Eric Ride.«

      Sie legte den Kopf schief und sah ihn an. Ein sehnsüchtiger Blick war in ihren schönen topasfarbenen Augen.

      »Darf ich dich Daddy nennen bis Frankfurt?«, fragte sie leise. »Ich möchte so gern einmal einen Daddy haben, den ich lieb haben könnte.«

      Seine Augen begannen zu brennen. Verflixt, dachte er, diese süße kleine Person rührt mich zu Tränen. Sanft strich er ihr über das glänzende Haar.

      »Nenn mich ruhig Daddy, kleine Jacky«, sagte er zärtlich.

      Wenn Freddy jetzt hier wäre … Nein, er glaubte nicht, dass er spotten würde. Er war ja auch von der deutschen Romantik angesteckt worden. Es musste wohl doch im Blut liegen.

      Jacky schmiegte ihr Köpfchen an seine Schulter.

      »Wir müssten immer weiterfliegen. Es dürfte nicht zu Ende sein«, murmelte sie. »Ich habe solche Angst vor der Großmutter, Daddy.«

      Na, die werde ich mir einmal ordentlich vornehmen, dachte Eric Ride.

      »Du brauchst keine Angst zu haben Jacky. Wenn die Großmutter nicht lieb ist, nehme ich dich einfach mit.«

      Himmel, was hatte er da gesagt? War das zu glauben? Aber es waren keine leeren Worte. Er war entschlossen, die Worte auch in die Tat umzusetzen.

      »Hoffentlich ist sie gar nicht lieb«, war Jackys Kommentar.

      *

      Freddy Ride wusste, wo er Evi Grossmann finden konnte.

      Um diese Zeit war sie auf der Koppel.

      Er hatte ziemlich lange gebraucht, um herauszukriegen, zu welchen Zeiten er sie dort finden konnte, und er war anfangs ganz heimlich dort herumgestrichen, weil er nicht gewagt hatte, sie anzusprechen, bis sie ihn dann mal fragte, ob er sich für Pferde interessierte.

      Heute sah sie ihm nicht mit leuchtenden Augen entgegen.

      »Halt dich nicht auf, Freddy«, murmelte sie. »Ich fürchte, mein Vater wird bald hier aufkreuzen. Wir hatten gestern eine Debatte.«

      »Meinetwegen?«

      Sie errötete, und das stand ihr sehr gut. Sie nickte.

      »Es wird Zeit, dass man mal vernünftig mit ihm redet«, meinte Freddy, sich auf das Gatter setzend. »Er kann dich doch nicht einsperren. Du sollst mal auf den Erlenhof kommen. Granny will dich auch kennenlernen.«

      Er stellte sich das so einfach vor. Er nahm es offenbar nicht ernst, dass schon Jahrzehnte eine Fehde zwischen den Riedings und den Grossmanns bestand. Warum eigentlich, wusste Evi auch nicht.

      »Vater ist eine ganz andere Generation«, murmelte sie. »Er könnte ja mein Großvater sein. Ich würde meinen Kindern das nicht antun.«

      »Willst du Kinder haben, Evi?«, fragte er.

      »Freilich«, erwiderte sie.

      »Dazu brauchst du aber einen Mann«, lachte er.

      »Was du nicht sagst! Für blöd brauchst du mich auch nicht zu halten.«

      »Das tue ich ja nicht.«

      »Vater wird mir schon einen präsentieren«, fuhr sie fort.

      »Gesetzten Alters, so um die fünfzig?«, fragte er spöttisch. »Und du wirst parieren?«

      Ihre violetten Augen verdunkelten sich.

      »In zwei Jahren bin ich mündig«, stieß sie hervor. »Dann tue ich, was ich will, und gehe, wohin ich will!«

      »Vielleicht nach Australien?«, bemerkte er hintergründig. »Es ist ein großes weites Land und hat viel Platz für Menschen, die ihr Glück versuchen wollen.«

      »Ich jage dem Glück nicht nach«, sagte sie leise. »Ich will eine Aufgabe haben, die ich selbst verantworten muss.«

      Er tippte ihr mit dem Zeigefinger auf ihre schmale Nase, die ihr nahezu klassisches Profil bestimmte.

      »Eine Frau wie du sollte ihre schönste Aufgabe darin sehen, einen Mann glücklich zu machen und ihm ein halbes Dutzend Kinder zu schenken.«

      »Nur ein halbes Dutzend?«, fragte sie ironisch.

      »Meinetwegen auch ein Dutzend. Und ich wüsste auch einen Mann für dich.«

      »So? Wen denn?«, fragte sie mit belegter Stimme. »Einen um die fünfzig vielleicht?«

      »Dreiundzwanzig, nicht übel aussehend, in etwa in der Lage, auch eine große Familie zu ernähren, einen, der dich sehr lieb hätte, Evi. Er heißt Frederic Ride und steht vor dir.«

      »Sitzt«, bemerkte sie errötend. »Freddy, mach keinen Unsinn! Mit solchen Dingen scherzt man nicht!«

      »Mir ist es ernst«, flüsterte er.

      »Eva!«, dröhnte da eine herrische Stimme an ihre Ohren. Wuchtig kam Titus Grossmann über die Wiese. Seine Miene war unerbittlich. »Verbringst du die Zeit mit Schwatzen?«, herrschte er seine Tochter an. Freddy erntete einen vernichtenden Blick.

      Eva warf den Kopf in den Nacken.

      »Das