sprechen, auszudrücken scheint. –
Ich. Sprich, lieber Berganza, was ist das für ein Bild?
Berganza. Meine Dame (du weißt, daß ich die Dichterin und mimische Künstlerin meine) hatte ein sehr schönes Zimmer mit guten Abdrücken der sogenannten Shakespeares-Galerie ausgeziert. Das erste Blatt, gleichsam als Prologus, stellte Shakespeares Geburt vor. Mit ernster hoher Stirn, mit hellen, klaren Augen um sich schauend, liegt der Knabe in der Mitte, um ihn die Leidenschaften, ihm dienend; – die Furcht, die Verzweiflung, die Angst, das Entsetzen schmiegen, gräßlich gestaltet, sich willig dem Kinde und scheinen auf seinen ersten Laut zu horchen. –
Ich. Aber die Deutung auf unsere Dichter?
Berganza. Kann man nicht ohne allen Zwang jenes Bild so deuten: »Sehet, wie dem kindlichen Gemüte die Natur in allen ihren Erscheinungen unterworfen, wie selbst das Furchtbare, das Entsetzliche sich seinem Willen und seinem Worte schmiegt, und erkennet, daß nur ihm diese zauberische Macht verstattet.«
Ich. In diesem Sinne habe ich wirklich noch nie das mir wohlbekannte Bild betrachtet; aber ich muß gestehen, daß deine Deutung nicht allein paßt, sondern auch überdem sehr pittoresk ist. Überhaupt scheint deine Phantasie sehr regsam. – Doch! – Du bist mir noch die Erklärung deiner sogenannten gesprenkelten Charaktere schuldig.
Berganza. Der Ausdruck taugt nicht viel, um das zu bezeichnen, was ich eigentlich meine, indessen hat ihn der Haß geboren, den ich gegen alle buntfarbig gesprenkelte Kreaturen von meinem Stande trage. Oft bin ich einem bloß deshalb in die Ohren gefahren, weil er, in Weiß und Braun gefärbt, mir wie ein verächtlicher buntscheckichter Narr vorkam. – Sieh, lieber Freund, es gibt so viele unter euch, die man Dichter nennt und denen man Geist, Tiefe, ja selbst Gemüt nicht absprechen kann, die aber, als sei die Dichtkunst etwas anderes als das Leben des Dichters selbst, von jeder Gemeinheit des Alltagslebens angeregt, sich willig den Gemeinheiten selbst hingeben und die Stunden der Weihe am Schreibtische von allem übrigen Treiben und Tun sorgfältig trennen. – Sie sind selbstsüchtig, eigennützig, schlechte Gatten, schlechte Väter, untreue Freunde, indem sie, sobald der neue Bogen zur Presse soll, das Heiligste in heiligen Tönen verkünden. –
Ich. Was tut aber das Privatleben, wenn der Dichter nur Dichter ist und bleibt! – Aufrichtig gesprochen, ich halte es mit Rameaus Neffen, der den Dichter der »Athalia« dem guten Hausvater vorzieht.
Berganza. Mir ist es schon fatal, daß man bei dem Dichter, als sei er eine diplomatische Person oder nur überhaupt ein Geschäftsmann, immer das Privatleben – und nun von welchem Leben denn? – absondert. – Niemals werde ich mich davon überzeugen, daß der, dessen ganzes Leben die Poesie nicht über das Gemeine, über die kleinlichen Erbärmlichkeiten der konventionellen Welt erhebt, der nicht zu gleicher Zeit gutmütig und grandios ist, ein wahrhafter, aus innerem Beruf, aus der tiefsten Anregung des Gemüts hervorgegangener Dichter sei. Ich möchte immer etwas aufsuchen, wodurch erklärt würde, wie das, was er verkündet, von außen hineingegangen sei und den Samen gestreut habe, den nun der lebhafte Geist, das regbare Gemüt zur Blüte und Frucht reifen läßt. Mehrenteils verrät auch irgendeine Sünde, sei es auch nur eine Geschmacklosigkeit, von dem Zwange des fremdartigen Schmuckes erzeugt, den Mangel an innerer Wahrheit.
Ich. Das ist also dein gesprenkelter Charakter?
Berganza. Allerdings! – Ihr habt einen Dichter – gehabt, möcht' ich beinahe sagen, dessen Werke oft eine in Seele und Herz dringende Frömmigkeit atmen, und der übrigens ganz für das Original jenes schwarzen Bildes gelten kann, das ich von dem gesprenkelten Charakter entworfen. Er ist selbstsüchtig, eigennützig, perfid gegen Freunde, die es gut und redlich mit ihm meinten, und keck will ich es behaupten, daß nur das Auffassen und Verfolgen einer fixen Idee ohne einen eigentlichen innern Beruf ihn den Weg betreten ließ, den er nun für immer eingeschlagen. – Vielleicht dichtet er sich herauf bis zum Heiligen! –
Ich. Das ist mir rätselhaft!
Berganza. Und möge dir das Rätsel auch ungedeutet bleiben! – Du siehst kein weißes Haar an mir – ich bin durchaus schwarz – schiebe allenfalls darauf meinen tiefen Haß gegen alles Bunte. – Närrisch war es doch, sich gerade für die Jungfrau Maria zu halten.
Ich. Du springst auf etwas Neues?
Berganza. Im Gegenteil! – ich bleibe bei dem Alten. Johannes Kreisler erzählte einmal in meiner Gegenwart einem Freunde, wie einst der Wahnsinn der Mutter den Sohn zum Dichter in der frömmsten Manier gebildet habe. – Die Frau bildet sich ein, sie sei die Jungfrau Maria und ihr Sohn der verkannte Christus, der auf Erden wandle, Kaffee trinke und Billard spiele, aber bald werde die Zeit kommen, wo er seine Gemeine sammeln und sie geradesweges in den Himmel führen würde. Des Sohnes rege Phantasie fand in der Mutter Wahnsinn die Andeutung seines höheren Berufs. – Er hielt sich für einen Auserwählten Gottes, der die Geheimnisse einer neuen geläuterten Religion verkünden solle; mit innerer Kraft, die ihn das Leben an den erkannten Beruf setzen ließ, hätte er ein neuer Prophet oder was weiß ich werden können; aber bei der angebornen Schwächlichkeit, bei dem Kleben an den Alltäglichkeiten des gemeinen Lebens fand er es bequemer, jenen Beruf nur in Versen anzudeuten, ihn auch nachgerade zu verleugnen, wenn er seine bürgerliche Existenz gefährdet glaubte. – Ach, mein Freund! Ach! –
Ich. Was ist dir, lieber Berganza?
Berganza. Bedenke das Schicksal eines armen Hundes, der verdammt ist, recht was man sagt, aus der Schule zu schwatzen, wenn ihm einmal der Himmel zu sprechen erlaubt. – Doch freut es mich, daß du meinen Zorn, meine Verachtung gegen eure falschen Propheten – so will ich die nennen, die der wahren Poesie zum Hohn sich nur im Falschen, Angeeigneten bewegen – so gut aufgenommen oder vielmehr für gerecht erkannt hast. – Ich sage dir, Freund, traue nicht den Gesprenkelten! –
In diesem Augenblicke schüttelte ein frischer Morgenwind die Äste der hohen Bäume, daß die Vögel sich vom Schlafe ermunterten und in leichtem Fluge sich in dem Purpur badeten, das nun hinter den Bergen aufstieg und die Luft erfüllte.
Berganza machte seltsame Grimassen und Sprünge. Seine funkelnden Augen schienen Feuer zu sprühen; ich stand auf, und ein Grauen wandelte mich an, dem ich in der Nacht widerstanden.
»Trau – Hau – Hau – Au Au!« –
Ach! Berganza wollte reden, aber die versuchten Worte gingen unter in dem Bellen des gewöhnlichen Hundes.
Mit Blitzesschnelle sprang er fort; bald war er mir aus den Augen, aber noch aus weiter Ferne erschallte das
Trau – Hau – Hau – Hau – Hau – Hau –
und ich wußte, was ich dabei zu denken hatte.
Fußnoten
1 S. das Gespräch der beiden Hunde, Scipio und Berganza, in Cervantes' Erzählungen, übersetzt von Soltau. 3. Teil, pag. 208.
Der Magnetiseur
Eine Familienbegebenheit (Erstdruck 1814)
Fragment von Albans Brief an Theobald