ich oft in ein hinbrütendes Träumen geriet und dann den herrlichen Gesang des Fräuleins vernahm, der meine Brust mit wunderbarem, wonnevollen Schmerz erfüllte. Aber so wie ich selbst das nachsingen oder auf dem Klavier nachspielen wollte, ging alles so deutlich Gehörte unter in ein dunkles, verworrenes Ahnen. Im kindischen, abenteuerlichen Beginnen verschloß ich oft das Instrument und horchte, ob nun nicht deutlicher und herrlicher die Gesänge heraushallen würden, denn ich wußte ja wohl, daß darin wie verzaubert die Töne wohnen müßten. Ich wurde ganz trostlos, und wenn ich nun vollends die Lieder und Übungsstücke meines Vaters spielen sollte, die mir widrig und unausstehlich geworden, wollte ich vergehen vor Ungeduld. So kam es denn, daß ich alles technische Studium der Musik vernachlässigte, und mein Vater, an meiner Fähigkeit verzweifelnd, den Unterricht ganz aufgab. In späterer Zeit, auf dem Lyzeum in der Stadt, erwachte meine Lust zur Musik auf andere Weise. Die technische Fertigkeit mehrerer Schüler trieb mich an, ihnen gleich zu werden. Ich gab mir viele Mühe, aber je mehr ich des Mechanischen Herr wurde, desto weniger wollte es mir gelingen, jene Töne, die in wunderherrlichen Melodien sonst in meinem Gemüte erklangen, wieder zu erlauschen. Der Musikdirektor des Lyzeums, ein alter Mann und, wie man sagte, großer Kontrapunktist, unterrichtete mich im Generalbaß und in der Komposition. Der wollte sogar Anleitung geben, wie man Melodien erfinden müsse, und ich tat mir recht was darauf zugute, wenn ich ein Thema ergrübelt hatte, das sich in alle kontrapunktische Wendungen fügte. So glaubte ich ein ganzer Musiker zu sein, als ich nach einigen Jahren in mein Dorf zurückkehrte. Da stand noch in meiner Zelle das alte kleine Klavier, an dem ich so manche Nacht gesessen und Tränen des Unmuts vergossen. Auch den wunderbaren Stein sah ich wieder, aber, sehr klug geworden, lachte ich über meinen kindischen Wahnwitz, aus den Moosen Melodien heraussehen zu wollen. Doch konnte ich es mir selbst nicht ableugnen, daß der einsame, geheimnisvolle Ort unter dem Baum mich mit wundervollen Ahnungen umfing. Ja! – im Grase liegend, an den Stein gelehnt, hörte ich oft, wenn der Wind durch des Baumes Blätter rauschte, es wie holde, herrliche Geisterstimmen ertönen, aber die Melodien, welche sie sangen, hatten ja längst in meiner Brust geruht und wurden nun wach und lebendig! – Wie schal, wie abgeschmackt kam mir alles vor, was ich gesetzt hatte, es schien mir gar keine Musik zu sein, mein ganzes Streben das ungereimte Wollen eines nichtigen Nichts. – Der Traum erschloß mir sein schimmerndes, herrliches Reich, und ich wurde getröstet. Ich sah den Stein – seine roten Adern gingen auf wie dunkle Nelken, deren Düfte sichtbarlich in hellen, tönenden Strahlen emporfuhren. In den langen, anschwellenden Tönen der Nachtigall verdichteten sich die Strahlen zur Gestalt eines wundervollen Weibes, aber die Gestalt war wieder himmlische, herrliche Musik!« – –
Die Geschichte unseres Chrysostomus hat, wie Du, lieber Johannes, einsiehst, in der Tat viel Belehrendes, weshalb sie in dem Lehrbrief den würdigen Platz findet. Wie trat doch so sichtbarlich aus einer fremden, fabelhaften Zeit die hohe Macht in sein Leben, die ihn erweckte! – Unser Reich ist nicht von dieser Welt, sagen die Musiker, denn wo finden wir in der Natur so wie der Maler und der Plastiker den Prototypus unserer Kunst? – Der Ton wohnt überall, die Töne, das heißt die Melodien, welche die höhere Sprache des Geisterreichs reden, ruhen nur in der Brust des Menschen. – Aber geht denn nicht, so wie der Geist des Tons, auch der Geist der Musik durch die ganze Natur? Der mechanisch affizierte tönende Körper spricht, ins Leben geweckt, sein Dasein aus, oder vielmehr sein innerer Organismus tritt im Bewußtsein hervor. Wie, wenn ebenso der Geist der Musik, angeregt von dem Geweihten, in geheimen, nur diesem vernehmbaren Anklängen sich melodisch und harmonisch ausspräche? Der Musiker, das heißt der, in dessen Innerem die Musik sich zum deutlichen, klaren Bewußtsein entwickelt, ist überall von Melodie und Harmonie umflossen. Es ist kein leeres Bild, keine Allegorie, wenn der Musiker sagt, daß ihm Farben, Düfte, Strahlen als Töne erscheinen und er in ihrer Verschlingung ein wundervolles Konzert erblickt. So wie, nach dem Ausspruch eines geistreichen Physikers, Hören ein Sehen von innen ist, so wird dem Musiker das Sehen ein Hören von innen, nämlich zum innersten Bewußtsein der Musik, die, mit seinem Geiste gleichmäßig vibrierend, aus allem ertönt, was sein Auge erfaßt. So würden die plötzlichen Anregungen des Musikers, das Entstehen der Melodien im Innern, das bewußtlose oder vielmehr das in Worten nicht darzulegende Erkennen und Auffassen der geheimen Musik der Natur als Prinzip des Lebens oder alles Wirkens in demselben sein. Die hörbaren Laute der Natur, das Säuseln des Windes, das Geräusch der Quellen u. a. m. sind dem Musiker erst einzelne ausgehaltene Akkorde, dann Melodien mit harmonischer Begleitung. Mit der Erkenntnis steigt der innere Wille, und mag der Musiker sich dann nicht zu der ihn umgebenden Natur verhalten wie der Magnetiseur zur Somnambule, indem sein lebhaftes Wollen die Frage ist, welche die Natur nie unbeantwortet läßt? – Je lebhafter, je durchdringender die Erkenntnis wird, desto höher steht der Musiker als Komponist, und die Fähigkeit, jene Anregungen wie mit einer besonderen geistigen Kraft festzuhalten und festzubannen in Zeichen und Schrift, ist die Kunst des Komponierens. Diese Macht ist das Erzeugnis der musikalischen künstlichen Ausbildung, die auf das ungezwungene, geläufige Vorstellen der Zeichen (Noten) hinarbeitet. Bei der individualisierten Sprache waltet solch innige Verbindung zwischen Ton und Wort, daß kein Gedanke in uns sich ohne seine Hieroglyphe (den Buchstaben der Schrift) erzeugt, die Musik bleibt allgemeine Sprache der Natur, in wunderbaren, geheimnisvollen Anklängen spricht sie zu uns, vergeblich ringen wir danach, diese in Zeichen festzubannen, und jenes künstliche Anreihen der Hieroglyphe erhält uns nur die Andeutung dessen, was wir erlauscht. – Mit diesen wenigen Sprüchen stelle ich Dich nunmehr, lieber Johannes, an die Pforten des Isistempels, damit Du fleißig forschen mögest, und Du wirst nun wohl recht lebhaft einsehen, worin ich Dich für fähig halte, wirklich einen musikalischen Kursus zu beginnen. Zeige diesen Lehrbrief denen vor, die, ohne es vielleicht deutlich zu wissen, mit Dir an jenen Pforten stehen, und erläutere ebenfalls denen, die mit der Geschichte vom bösen Fremden und dem Burgfräulein nichts Rechtes anzufangen wissen, die Sache dahin, daß das wunderliche Abenteuer, das so in das Leben des Chrysostomus einwirkte, ein treffendes Bild sei des irdischen Unterganges durch böses Wollen einer feindlichen Macht, dämonischer Mißbrauch der Musik, aber dann Aufschwung zum Höheren, Verklärung in Ton und Gesang!
Und nun, Ihr guten Meister und Gesellen, die Ihr Euch an den Toren der großen Werkstatt versammelt habt, nehmt den Johannes freundlich in Eure Mitte auf und verargt es ihm nicht, daß, indem Ihr nur lauschen möget, er vielleicht dann und wann an das Tor mit leisen Schlägen zu pochen waget. Nehmt es auch nicht übel, daß, wenn Ihr sauber und nett Eure Hieroglyphen schreibst, er einige Krakelfüße mit einmischet, im Schönschreiben will er ja eben noch von Euch profitieren. –
Gehab’ Dich wohl, lieber Johannes Kreisler! – es ist mir so, als würde ich Dich nicht wiedersehen! – Setze mir, wenn Du mich gar nicht mehr finden solltest, nachdem Du um mich, so wie Hamlet um den seligen Yorik, gehörig lamentiert hast, ein friedliches »Hic jacet« und ein
Dieses Kreuz dient zugleich zum großen Insiegel meines Lehrbriefes, und so unterschreibe ich mich denn
– Ich wie Du
Johannes Kreisler, cidevant Kapellmeister
Prinzessin Brambilla