Pucki. Wenn ich nachher in den Garten gehe, darfst du mir beim Pflücken der Stachelbeeren helfen.«
»Ach ja!«
Das war eine Arbeit, die Pucki so recht behagte. Minna hatte dem Kinde gesagt, daß es nur die reifen nehmen dürfe. Doch die grünen schienen die Kleine viel mehr zu locken als die reifen. Pucki pflückte gewissenhaft die reifen Früchte in das Körbchen, die unreifen schob es in den Mund.
»Minna – sie kitzeln mich im Magen!«
»Aber Pucki, du darfst doch keine unreifen Beeren auf nüchternen Magen essen!«
»Ich hab' keinen nüchternen Magen!«
»Natürlich, du hast seit dem Frühstück nichts gegessen. Vor Tisch ist es ungesund, das unreife Zeug herunterzuschlucken.«
»Hahaha«, lachte die Kleine, »ich hab' keinen nüchternen Magen! In dem nüchternen Magen sind schon so viele unreifen Johannisbeeren drin.«
»Wenn du noch weiter unreifes Obst ißt, sage ich es der Mutti. Dann wird sie noch kränker, denn sie ärgert sich über dich.«
Dieser Hinweis nützte sofort. Pucki pflückte artig das Körbchen voll Stachelbeeren und erhielt zum Schluß ein Lob von Minna.
In den nächsten Tagen bemühte sich die Kleine, sehr brav zu sein. Sie gab acht auf das Schwesterchen, scheuchte ihm die Fliegen fort, half Minna, so gut es in ihren schwachen Kräften stand, und betreute Männe, dem es tatsächlich wieder etwas besser zu gehen schien. An einem sonnigen Nachmittag erhob er sich sogar vom Lager und legte sich zu Hedis Füßen nieder, die im Garten neben dem Kinderwagen saß.
»Nu biste nicht mehr elend, lieber Männe«, sagte Pucki, indem sie das braune Fell des Tieres streichelte. »Nu wirst du gesund, dann laufen wir wieder durch den Wald.«
Männe wedelte mit dem Schwänzchen, schaute Pucki mit seinen treuen Augen liebevoll an, legte sich auf dem Kies nieder, schnappte einige Male und blieb dann ganz still.
»Er schläft«, sagte Pucki und schlich ganz leise um den Hund herum, um ihn ja nicht zu wecken. Als dann das Schwesterchen zu schreien begann, drohte ihm Pucki mit dem Fingerchen. »Bist du still, der Männe will schlafen.«
Doch die Kleine schrie weiter. Schon hatte Pucki die Hand erhoben, um dem Säugling einen Klaps zu geben, da dachte sie an ihr Versprechen.
»Du gräßlicher Schreihals, ich darf dich nicht hauen, ich muß artig sein, aber verdient hättest du Prügel. – Na, nu sei mal lieb, Mutti ist krank, und wir sollen die Mutti nicht ärgern.«
Endlich kam Minna, holte das Baby aus dem Wagen und trug es ins Haus.
»Nu komm, Männe, jetzt gehen wir auch hinein. – Männe – – Männe – – so wach doch auf, du Schlafmütze – oder – bist du wieder elend geworden, Männe? – Komm, du sollst nicht auf den kleinen Steinen liegen. – Na – hopp – so steh doch auf, Männe!«
Pucki stieß den Hund vorsichtig an, kraute ihn hinter den Ohren, strich über den Kopf – das Tier blieb regungslos liegen.
»Männe – Männe – –« Immer lauter wurde Puckis Rufen, der Hund rührte sich nicht. Hedi wurde es unheimlich. Sie lief in die Küche und rief Minna, die noch immer mit dem Säugling beschäftigt war. Da stürmte die Kleine ins Schlafzimmer der Mutti, die heute einen so roten Kopf hatte. »Mutti, der Männe sagt nichts mehr, er schläft immerzu!«
Mutti war heute zu komisch. Sie sprach nur wenige leise Worte, dann schloß sie wieder die Augen.
Die Kleine lief erneut hinaus in den Garten, doch noch immer lag der Hund unbeweglich da. Als Minna endlich kam und den Hund anrührte, sagte sie betrübt:
»Da ist ja unser guter Männe ganz plötzlich gestorben. – Der Männe ist tot.«
Erst konnte Hedi das Schreckliche nicht fassen. Immer wieder streichelte sie das Fell des Hundes, dann fragte sie leise:
»Wenn der Onkel Doktor wiederkommt, kann er den Männe nicht mehr lebendig machen?«
»Nein, Pucki, Männe hat wahrscheinlich einen Herzschlag bekommen und ist ganz schnell gestorben.«
»Ganz schnell ist er gestorben, mein lieber Männe. – Nu ist er tot und bleibt immer tot?«
»Ja.«
»Oh, du armer, lieber Männe, nun habe ich keinen kleinen Männe mehr!«
Pucki setzte sich neben den Hund und schluchzte bitterlich.
»Du lieber, kleiner Männe, nun bist du tot, und ich hab' dich nicht mehr zum Spielen. Ach, Minna, dabei hat er mich doch noch angelacht und ist zu mir gekommen. – Dann war er tot.«
»Er hat sich nicht quälen brauchen. Nun steht sein kleines Hundeherz still, und er braucht nicht mehr zu leiden. – Weine nicht, Pucki, das Hündchen war alt, es wollte nicht länger leben.«
Pucki vermochte sich jedoch nicht so rasch zu trösten. Es holte ein Stückchen Zucker und legte es vor Männe hin.
»Wenn er noch einmal zu allerletzt die Augen aufmacht, soll er noch was Schönes sehen.«
Auch einige Blumen brach die Kleine ab, um sie neben den Hund zu legen. Männe war doch immer ihr lieber Spielkamerad gewesen, nun würde er nie mehr mit Hedi umhertollen.
Da kam der Vater nach Hause.
»Männe hat einen schönen und schnellen Tod gehabt, ein Herzschlag, da war er gleich weg. Wir werden ihn im Garten begraben und ihm einen Gedenkstein setzen, damit du immer an deinen lieben Spielgefährten erinnert wirst.«
Viel mehr Sorgen machte dem Förster seine kranke Frau. Der Arzt hatte längst festgestellt, daß es sich hier um eine Lungenentzündung handelte. Man war daher im Forsthause in größter Sorge um die Kranke. Sandler erwartete jeden Tag seine Schwiegermutter, denn er brauchte Hilfe im Hause.
»Immer recht artig sein«, mahnte Minna, »Mutti ist sehr elend, und du willst doch nicht, daß sie noch kränker wird.«
Die Worte des treuen Mädchens lösten in dem Kinde eine fieberhafte Angst aus.
Just in diesem Augenblick kam Herr Sandler, die Flinte über den Rücken gehängt, ins Haus.
»Vati –« rief Pucki in größter Erregung, »die Mutti soll nicht sterben wie der Männe!«
»Klein-Hedi, wo denkst du hin, was sind das für törichte Worte! Wir wollen doch alle, daß die Mutti bald wieder gesund wird. Ich denke, morgen kommt die Großmama; sie wird die Mutti gesund pflegen.«
»Dann soll die Großmama lieber schon heute kommen.«
»Das geht nicht, mein Kind. Aber sei recht still und artig, damit die gute Mutti nicht noch kränker wird.«
Der Arzt kam. Auf Zehenspitzen schlich das Kind hinter ihm ins Krankenzimmer. Die Mutti hatte noch immer so einen roten Kopf, sie sprach mitunter so komische Worte, die Pucki nicht verstand.
»Das ist das Fieber«, sagte Minna erklärend.
»Geht das Fieber mal wieder weg, wenn die Großmama kommt?«
»Wir wollen es wünschen, Pucki.«
Man duldete nicht, daß das Kind im Krankenzimmer verblieb. Nur von Zeit zu Zeit steckte das kleine Mädchen in großer Besorgnis den Blondkopf durch die Türspalte und warf der kranken Mutti Kußhändchen zu. Der Höhepunkt der Krankheit war erreicht, das Leben der Förstersfrau war in Gefahr.
»Wir wollen den lieben Herrgott bitten«, sagte der Vater, und seine Stimme klang ganz anders als sonst, »daß er dir die Mutti läßt, daß sie nicht stirbt.«
Es war Pucki recht angst ums Herz. Sie lief aus dem Garten, hinein in den Wald, lehnte sich an den Stamm einer Tanne, faltete die Händchen und unter heißem Weinen bat sie den lieben Gott, er möge die liebe Mutti nicht sterben lassen wie den Männe.
»Lieber Gott, ich versprech' dir wirklich, ganz toll