Alfred Wegener
Die Entstehung der Kontinente und Ozeane (Illustriert)
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2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-875-9
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel. Landbrücken, Permanenz der Ozeane und Isostasie
Zweites Kapitel. Die Natur der Tiefseeböden
Drittes Kapitel. Geophysikalische Erläuterungen
Erscheinungen der Kontinentaltafeln
Erscheinungen des Kontinentalrandes
Erscheinungen der Tiefseeböden
Viertes Kapitel. Die Verschiebungen der Kontinentalschollen
Fünftes Kapitel. Polwanderungen
Sechstes Kapitel. System, Ursachen und Wirkungen der Kontinentalverschiebungen
Siebentes Kapitel. Nachweis der Kontinentalverschiebungen durch astronomische Ortsbestimmung
Erstes Kapitel.
Landbrücken, Permanenz der Ozeane und Isostasie
Die heutige Geologie steht im Zeichen eines Wechsels ihrer zusammenfassenden Grundanschauungen. Bis heute herrscht noch, wenn auch nicht mehr unbestritten, die von Dana, Albert Heim und Eduard Suess vertretene Theorie einer Schrumpfung der Erde. Wie ein trocknender Apfel durch den Wasserverlust des Innern faltige Runzeln an der Oberfläche bekommt, so sollten sich durch die Abkühlung und damit verbundene Schrumpfung des Erdinnern die Gebirgsfalten an der Oberfläche bilden. Suess fand den kürzesten Ausdruck: „Der Zusammenbruch des Erdballes ist es, dem wir beiwohnen“ 1. Noch in der 1918 erschienenen 5. Auflage von E. Kaysers Lehrbuch der Allgemeinen Geologie wird diese Lehre vorbehaltlos angenommen. Man wird gewiß gern einräumen, daß diese Theorie das historische Verdienst hat, lange Zeit hindurch eine ausreichende Zusammenfassung unseres geologischen Wissens darzustellen. Heute ist sie aber bereits weit entfernt davon, dieser Aufgabe zu genügen, worin wohl die meisten Geologen und jedenfalls alle Geophysiker einig sind. Man hat sich aber bisher meist damit beschieden, daß „die Kontraktionstheorie längst nicht mehr voll anerkannt wird, und einstweilen keinerlei Theorie gefunden ist, die sie vollständig ersetzen und alle Umstände erklären kann“ 2.
Von geophysikalischer Seite wird abgestritten, daß die Erde sich merklich abkühlt, weil durch den Zerfall der radioaktiven Stoffe in der Erdrinde so viel Wärme frei werde, daß die Temperatur sogar umgekehrt im Steigen sein könnte 3. Und die Geologen müssen zugeben, daß schon im Algonkium große Inlandeismassen die damaligen Polargebiete bedeckten, die Bodentemperatur also nicht viel anders gewesen sein kann als heute. Aber noch viel schlimmer steht es mit der eigentlichen Beobachtungsgrundlage der Schrumpfungshypothese, nämlich dem Gebirgszusammenschub. Denn es stellt sich als immer unmöglicher heraus, diese riesenhaften Zusammenschübe auf Rechnung einer Abkühlung der Erde zu setzen. Die Arbeiten von Bertrand, Schardt, Lugeon u. a. haben zu einer ganz neuen und eigenartigen Auffassung eines großen Teiles der Alpenfaltung geführt, indem hier statt eigentlicher Falten schuppenartige „Deckfalten“ oder Überschiebungen angenommen werden. Hierdurch wird der Betrag des Zusammenschubes noch wesentlich größer, als früher angenommen wurde. Heim hat nach der älteren Auffassung für den Schweizer Jura eine Verkürzung auf 4⁄5, für die Alpen auf ½ berechnet, dagegen nach den neuen Anschauungen für letztere ¼ bis ⅛ 4. Da die heutige Breite etwa 150 km beträgt, so wäre also hier ein Rindenstück von 600 bis 1200 km Breite (5 bis 10 Breitengraden) zusammengeschoben. Jeder Versuch, solche Größen auf eine Temperaturerniedrigung des Erdinnern zurückzuführen, muß scheitern. Kayser bemerkt zwar, daß ein Zusammenschub um 1200 km nur 3 Proz. des Erdumfanges ausmacht, so daß sich auch der Radius um 3 Proz. verringert haben müßte, allein anschaulich werden diese Zahlen erst, wenn man die Temperaturen berechnet, die ihnen entsprechen. Legt man einen Mittelwert aus den vier linearen Ausdehnungskoeffizienten von Nickel (0,000013), Eisen (0,000012), Kalkspat (0,000015) und Quarz (0,000010) zugrunde [0,0000125], so kommt man — allein um die tertiäre Faltung zu erzielen — auf einen Temperaturverlust der Erde von etwa 2400°. Es bedarf keiner Erläuterung, daß man damit namentlich für die älteren Zeiten, in denen die Faltung viel universeller wirksam war, zu ganz absurden Temperaturen käme. Es ist auch nicht einzusehen, wie es physikalisch möglich sein soll, wie Heim will, daß die Schrumpfung eines ganzen größten Kreises gerade an einer Stelle zum Austrag kommt. Wie Ampferer 5, Reyer 6, Rudzki 7, Andrée 8 u. a. gefordert haben, müßte vielmehr die ganze Erdoberfläche gleichmäßig von der Runzelung betroffen werden, was ja auch der trocknende Apfel zeigt.
Noch weit größere Bedenken stehen der Auffassung der Kontinente als stehengebliebene, der Ozeane als abgesunkene Schollen beim „Zusammenbruch“ nach der Schrumpfungshypothese entgegen. Nach Lyells Vorgang nahm man einen schrankenlosen Wechsel zwischen dem Auftauchen von Tiefseeböden über Wasser und dem Versinken von Kontinenten bis zum Tiefseeboden an, gestützt einerseits auf die marinen Ablagerungen auf den heutigen Kontinenten und andererseits auf die Verwandtschaft der fossilen Fauna und Flora heute getrennter Kontinente, welche einen Brückenkontinent an Stelle des Ozeans zwischen ihnen zu erfordern schien. Doch muß man gerechterweise anerkennen, daß die Vertreter der Schrumpfungshypothese das besondere Problem, welches in den Kontinentalschollen steckt, als solches anerkannt haben. 1878 mußte A. Heim bekennen, „daß, bevor genauere Beobachtungen über die kontinentalen Schwankungen der Vorzeit gemacht sind,... und bevor wir vollständigere Messungen über die Beträge des ausgeglichenen Zusammenschubes der meisten Gebirge haben, kaum ein wesentlich sicherer Fortschritt in der Erkenntnis des ursächlichen Zusammenhangs von Gebirgen und Kontinenten und der Form der letzteren untereinander zu erwarten sein wird“ 9. Und 1918 schreibt E. Kayser: „Gegenüber dem Rauminhalt dieser Steinkolosse erscheinen alle festländischen Erhebungen unbedeutend und geringfügig. Selbst Hochgebirge wie der Himalaya sind nur verschwindende Runzeln auf der Oberfläche jener Sockel. Schon diese Tatsache