annehmen, daß die Kontinente das Ältere und Bestimmende, die Gebirge aber nur nebensächliche jüngere Gebilde darstellen“ 10. Man kann in diesen beiden Zitaten wohl das Zugeständnis erblicken, daß die Kontinentalschollen der Schrumpfungshypothese Schwierigkeiten machen. Es dürfte in der Tat schwer sein, vom Boden dieser Hypothese aus zu irgendwelchen bestimmten Vorstellungen über die Entstehung der Kontinente zu kommen. Davon, daß einzelne Schollen beim Zusammenbruch bis zum Tiefseeboden absinken, andere unter Wirkung des Gewölbedruckes als Stufen stehenbleiben, kann doch bei den ungeheuren, hier in Betracht kommenden Flächen nicht die Rede sein. Die marinen Ablagerungen auf dem Lande haben sich überdies mit verschwindend wenigen Ausnahmen als Flachseeerzeugnisse erwiesen, wie sie sich heute auf den randlichen Überflutungen der Kontinentalschollen, den Schelfen, bilden. Früher für Tiefseeablagerungen gehaltene Sedimente haben sich durch neuere Forschungen als Flachseesedimente erwiesen, wie es z. B. für die Schreibkreide von Cayeux nachgewiesen ist. Bei einer kleinen Anzahl, wie den kalkarmen Radiolariten der Alpen und gewissen roten Tonen, die an den roten Tiefseeton erinnern, nimmt man zwar auch heute noch große Entstehungstiefen an, vor allem, weil das Seewasser erst in großer Tiefe auflösend auf den Kalk wirkt. Aber die Deutung dieser Funde ist noch umstritten, meist kommt man mit Tiefen von 1000 bis 2000 m aus, die also noch immer zu der Kontinentalstufe gerechnet werden können, und jedenfalls ist die räumliche Erstreckung dieser Sedimente eine ganz verschwindende 11.
Es ist deshalb auch heute ein allgemein anerkannter Satz, daß die auf den Kontinenten abgelagerten Sedimente grundsätzlich nicht der Tiefsee, sondern seichten Überflutungen durch Epikontinentalmeere entstammen. Die heutigen Kontinente haben also zu keiner Zeit der Erdgeschichte den Boden der Tiefsee gebildet, sondern waren stets Kontinentalschollen, und Lyells Vorstellung von einem wiederholten Absinken und Auftauchen ist also jedenfalls dahin einzuschränken, daß es sich nur um wechselnde Überflutungen von permanenten Kontinentalschollen handelt.
Ganz und gar unbrauchbar aber erweist sich die Schrumpfungshypothese, um die neueren Ergebnisse der Geophysik aufzunehmen, die uns ein ganz anders geartetes Bild von der Natur der Erdrinde entrollen. Diese Ergebnisse werden zusammengefaßt in der Lehre von der Isostasie, d. h. dem Druckgleichgewicht oder dem Schwimmen der Erdrinde (Lithosphäre) auf einer magmatischen, schwereren Unterlage (Barysphäre). Wie ein Stück Holz bei Belastung tiefer in das Wasser eintaucht, so taucht auch die Lithosphäre der Erde an der Stelle, wo die z. B. mit einer Inlandeiskappe belastet wird, nach dem Archimedischen Gesetz tiefer in das schwere Magma der Barysphäre ein, um nach dem Abschmelzen des Eises die während der Depression gebildeten Strandlinien mit emporzuheben. So zeigen die aus den Strandlinien abgeleiteten Isobarenkarten de Geers für die letzte Vereisung Skandinaviens eine Depression des zentralen Teiles um mindestens 250 m, die nach außen allmählich geringer wird 12, und für die „große“ Eiszeit sind noch höhere Werte anzunehmen. Dieselbe Erscheinung hat de Geer auch für das nordamerikanische Vereisungsgebiet nachgewiesen. Rudzki hat gezeigt, daß man unter Annahme der Isostasie hieraus plausible Werte für die Dicke der Inlandeisschicht berechnen kann, nämlich 930 m für Skandinavien und 1670 m für Nordamerika, wo die Senkung 500 m betrug 13. Da die Barysphäre nicht leichtflüssig wie Wasser, sondern sehr zähflüssig ist, so hinken alle solche isostatischen Ausgleichsbewegungen stark nach; die Strandlinien haben sich meist erst nach Abschmelzen des Eises, aber vor der Hebung gebildet, und auch heute steigt Skandinavien, wie die Nivellements zeigen, noch um etwa 1 m im Jahrhundert 14. Auch sedimentäre Ablagerungen haben, wie wohl Osmond Fisher zuerst erkannte, eine Senkung der Scholle zur Folge. Jede Aufschüttung von oben führt zu einer freilich etwas nachhinkenden Senkung der Scholle, so daß die neue Oberfläche wieder fast in der alten Höhe liegt. Vom spezifischen Gewicht der Ablagerung hängt es ab, ob die alte Höhe überschritten wird oder nicht. Da Sedimente wohl stets leichter sind als das Urgestein, welches das eigentliche Material der Lithosphäre darstellt, so läßt sich eine Mulde (Geosynklinale) trotz Nachgebens der Unterlage allmählich ausfüllen, aber die Mächtigkeit der hierzu nötigen Ablagerungen wird erheblich größer sein müssen als die ursprüngliche Tiefe der Mulde, weil sich diese während des Prozesses weiter vertieft. Auf diese Weise können viele Kilometer mächtige Ablagerungen entstehen, die alle gleichwohl in flachem Wasser gebildet sind.
Ihre physikalische Begründung fand diese von Pratt herrührende Lehre von der Isostasie (das Wort wurde erst 1892 von Dutton geprägt) durch die Schweremessungen. Pratt hatte schon 1855 festgestellt, daß der Himalaja nicht die erwartete Anziehung auf das Lot ausübt, und dem entsprach die später überall bestätigte Tatsache, daß die Schwerkraft bei großen Gebirgen nicht wesentlich von ihrem gewöhnlichen Werte abweicht, so daß die Gebirgsmassive durch unterirdische Massendefekte irgendwelcher Art kompensiert erscheinen, wie die Arbeiten von Airy, Faye, Helmert u. a. zeigten. Nachdem der Gedanke an unterirdische Hohlräume hatte aufgegeben werden müssen, blieb nur die von Heim wohl zuerst ausgesprochene Annahme, daß die leichte Lithosphäre unter den Gebirgen verdickt sei und das schwere Magma hier in größere Tiefe dränge. Auch auf den Ozeanen hat sich gezeigt, daß die Schwerkraft ungefähr ihren Normalwert besitzt, trotz des sichtbaren Massendefekts, den die großen Ozeanbecken darstellen. Die früheren Messungen auf Inseln ließen zwar noch verschiedenartige Deutungen zu; nachdem es aber Hecker gelungen war, statt der an Bord nicht verwendbaren Pendel nach einem Vorschlage von Mohn die Schwere durch gleichzeitige Ablesungen am Quecksilberbarometer und am Siedethermometer zu bestimmen, konnte er diese Messungen auch an Bord eines Dampfers ausführen und so eindeutige Resultate erhalten 15. Aus diesem Ergebnis muß also, umgekehrt wie bei den Gebirgen, geschlossen werden, daß der sichtbare Massendefekt der Ozeanmulde durch einen unterirdischen Massenüberschuß kompensiert wird, was zu der Annahme führte, daß die Lithosphäre unter den Ozeanen sehr viel dünner sei als unter den Kontinenten, so daß hier das schwere Magma dem Beobachter um so viel näher läge. (Eine ebenso gute Lösung ist aber die später zu begründende neue Annahme, daß die Lithosphäre hier ganz fehlt.) Eine schematische Darstellung dieser durch die Isostasielehre begründeten Vorstellung von der Natur der Lithosphäre, die schon 1855 von Airy entwickelt und später von Stokes ausgebaut wurde, gibt Fig. 1. Die neuere Entwickelung dieser Isostasielehre betrifft vor allem die Frage ihres Gültigkeitsbereiches. Für größere Schollen, wie z. B. einen ganzen Kontinent oder einen ganzen Tiefseeboden, muß ohne weiteres Isostasie angenommen werden. Aber im kleinen, bei einzelnen Bergen, verliert dies Gesetz seine Gültigkeit. Solche kleineren Teile können durch die Elastizität der ganzen Scholle getragen werden, genau wie ein Stein, den man auf eine schwimmende Eisscholle legt. Die Isostasie vollzieht sich dann zwischen Scholle plus Stein als Ganzem und dem Wasser. So zeigen die Schweremessungen auf den Kontinenten bei Gebilden, deren Durchmesser nach Hunderten von Kilometern mißt, sehr selten eine Abweichung von der Isostasie; beträgt der Durchmesser nur Zehner des Kilometers, so herrscht meist nur eine teilweise Kompensation, und beträgt er nur einige Kilometer, so fehlt die Kompensation meist ganz 16.
Fig. 1.
Schnitt durch die Lithosphäre nach der Isostasielehre.
Es leuchtet unmittelbar ein, daß sich diese Lehre von der Isostasie in keiner Weise mit der Schrumpfungshypothese und ihrer Vorstellung vom „Gewölbedruck“ und dem „Zusammenbruch des Erdballes“ vereinigen läßt. Die geologische Wissenschaft ist damit vor die Aufgabe gestellt, eine neue Grundhypothese zu schaffen, welche die Schrumpfungshypothese ersetzen und das gesamte Tatsachenmaterial unter Einschluß des geophysikalischen zu einem Gesamtbilde vereinigen kann.
Aber statt dessen sehen wir heute nur zwei Teillösungen des Problems in einem für beide gleich hoffnungslosen Kampf gegeneinander verstrickt, nämlich die Hypothese der Brückenkontinente und die Hypothese der Permanenz der Ozeane und Kontinente.
Die Verfechter der Brückenkontinente halten sich an die heute wohl als gesichert zu betrachtende Tatsache, daß die enge Verwandtschaft der Fauna und Flora heute weit getrennter Kontinente durchaus breite Landverbindungen für die Vorzeit erfordert 17. Die immer reichlicher zuströmenden Einzelfunde lassen das Bild dieser Zusammenhänge