denn los?« hörte er seinen Vater stammeln.
Klaudia schluckte, aber sie sah jetzt nur noch Sandro an. »Erschrick nicht, Sandro. Ich weine nur aus Freude über deine herrlichen Blumen. Die Rosen hast du gekauft, nicht wahr? So langstielige wachsen nicht auf meinem Anwesen. Aber die Kuschellen und Margariten, den Löwenzahn und die zarten Butterblümchen… die sind aus dem Garten meines Hauses, nicht wahr?«
Sandro schluckte. »Ja. Mir… mir ist eingefallen, daß die Mieter, also die beiden alten Damen, verreist sind und den Rasen nie mähen. Da hab ich gedacht, vielleicht freust du dich. Die Blumen wachsen doch da, wo du früher gewohnt hast… Ich wollte aber nicht, daß du weinst, Klaudia«, fügte er hastig hinzu.
Sie umfaßte ihn und zog ihn an sich. »Es war doch nur die Freude und Rührung über deine Überraschung.«
»Dann bist du mir nicht mehr bös?«
Sie lächelte unter Tränen und schüttelte den Kopf. Erst jetzt konnte er wahrnehmen, wie Kummer und Leid sich auf ihrem Gesicht abzeichneten. Und doch empfand er diesen Augenblick, als sich ihre Blicke trafen, wie eine Wohltat, die sein Herz auf geheimnisvolle Weise mit Wärme und Erleichterung erfüllte. Klaudia hatte ihr Baby verloren, und doch war es ihm gelungen, ihr eine kleine Freude zu bereiten!
»Geh jetzt und wasch dir die Hände. In drei Minuten will ich dich unten im Eßzimmer sehen«, befahl Reinhard.
Sandro gehorchte auf der Stelle. Er verließ das Zimmer auf Zehenspitzen, als dürfte kein noch so sanfter Tritt Klaudias kurze Glückseligkeit stören.
Sie hielt den Strauß in Händen. An ihren Fingern wurden dunkle Flekken vom Pflanzensaft des Löwenzahns sichtbar. Reinhard bemerkte es mit bitterem Lächeln.
»Meine Rosen bedeuten dir nichts, die schönen Stiefel willst du erst im Winter tragen und meinen Vorschlag, mich in einem Monat nach Asien zu begleiten, lehnst du ab. Sandro dagegen muß nur etwas Unkraut rupfen, und schon schmilzst du dahin.«
»Es kommt bei ihm vom Herzen, Reinhard.«
»Bei mir auch, mein Liebes.«
Sie blickte ihn mit großen Augen an. Warum konnte sie ihm nicht glauben? Seit wann empfand sie Regungen, die ihr früher unbekannt waren? Hatte diese Wandlung mit dem ersten Verlust ihres Kindes in Paris begonnen? Oder hatte sie gerade in den letzten Tagen begriffen, daß sie ihre inneren Stimmen nicht mehr überhören und ihren Herzenswunsch nicht mehr verdrängen durfte?
»Mag sein, Reinhard. Dafür und für deine Geschenke danke ich dir. Aber… ich kann dein Angebot nicht annehmen. Ich werde hierbleiben.«
Kaum merklich atmete er auf. »Gut. Ich verstehe. Du bist im Verlag unentbehrlich, nicht wahr?«
»Im Gegenteil. Eine Kollegin wäre sogar froh, wenn ich den ganzen Kram hinschmeiße. Nein, ich möchte mich gründlich erholen. Noch besteht Hoffnung. Ich bin erst wenig über dreißig. Der Arzt sagt, viel Ruhe und ein erfülltes, harmonisches Leben und…«, sie lächelte, »es besteht die Möglichkeit, daß ich doch noch Mutter werde.«
»Du willst also immer noch ein Kind?« Seine Lippen preßten sich aufeinander, die Kiefer bewegten sich dabei, als unterdrücke er einen heftigen Zorn.
Klaudia erschrak so, daß sie kurz nach Atem rang. »Du… denn nicht?« fragte sie mit bebender Stimme.
Da geschah etwas Unerwartetes. Reinhard rutschte von ihrer Bettkante und kniete sich auf den Boden. Er stützte die Ellenbogen aufs Bett und faltete die Hände.
»Biete ich dir nicht alles, was eine Frau sich nur wünschen kann, mein Liebes? Jeden Wunsch erfülle ich dir. Du wirst von meinen Bekannten und meinen Geschäftsfreunden bewundert, ja, sogar angebetet. Du kannst dich als vorbildliche Gastgeberin beweisen und in der Redaktion spielst du eine bedeutende Rolle. Nichts fehlt dir.« Ihr Blick ließ ihn für einen winzigen Moment verstummen, dann holte er erneut Atem. »Ja, ein Kind willst du, aber warum? Wir haben unseren Sandro. Genügt dir seine und meine Liebe nicht?«
Klaudia schloß die Augen und lehnte sich zurück. Sie fragte sich, was sie an seinen Worten so kränkte. Erinnerte sein Benehmen nicht an eine drittklassige Theatervorstellung? Oder meinte er es gut und ehrlich? Aber er hatte gerade etwas gesagt, das sie zutiefst traf. Ja, er stellte sie als eine Frau hin, die den Hals nicht vollbekam, so, als wäre sie ein nimmersattes Ungeheuer, das Luxus, Dienstleistungen, Anbetung, dazu noch grenzenlose Liebe, Hingabe und zu allem Übel auch noch das Recht aufs Mutterglück forderte.
Erwartete sie wirklich zuviel? War sie unersättlich und dachte nur an sich? Versuchte sie nicht gerade in letzter Zeit, auch auf Sandros Gefühle einzugehen? Ohne die Augen zu öffnen, entgegnete sie nach einer Weile: »Warum fragst du nicht, ob Sandro von uns beiden genug Liebe bekommt? Wenn er schon unser einziges Kind bleibt, dann soll er auch spüren, daß wir immer für ihn da sind. Gewiß kann ich mich mit meinem Schicksal abfinden, aber dann will ich wenigstens für Sandro eine wirklich gute Mutter sein. Darum kann ich ihn nicht für Wochen allein lassen. Ich fürchte auch, daß es ihn wieder zu Beate zieht, wenn er sich einsam fühlt.«
»Das ist nicht gut für ihn!«
»Siehst du!« Sie schlug die Augen auf und berührte seine gefalteten Hände. »Ich habe mich daran gewöhnt, mit ihm allein zu sein. Sandro und ich verstehen uns prächtig. Damit hatte ich nie gerechnet. Gönne mir wenigstens dieses kleine Glück.«
Wie erleichtert er war, ließ Reinhard sich nicht anmerken. Er beugte sich über ihre Hand, hauchte einen Kuß darauf und erhob sich.
»Ich danke dir für deine Vernunft. Denn mehr, als dir meine Liebe zu Füßen zu legen und dir immer wieder zu beteuern, wie stolz ich auf meine wunderschöne und erfolgreiche Frau bin, kann ich doch wirklich nicht tun, Liebes.«
»Ich weiß, Reinhard.« Ein seltsames Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Das ist sehr viel.« Dabei wußte sie doch, es war sehr wenig. Wenn er sie wirklich liebte, würde er ihren Wunsch nach einem eigenen Kind verstehen.
»Anfang nächster Woche muß ich nach Kasachstan. Wir haben noch drei Tage für uns Zeit.«
Sie nickte. Was waren drei Tage, in denen sie Schonung, Bewunderung und Mitgefühl erfuhr? Ein einziger Tag voller Verständnis, eine einzige Stunde voller Leidenschaft, eine Sekunde des Einsseins mit dem geliebten Menschen hätten ihr mehr, ja alles, auf der Welt bedeutet.
»Sandro wartet unten auf mich. Karla wird dir eine Vase für seine Blumen bringen müssen. Ich sage ihr Bescheid.«
»Danke, Reinhard.«
Bevor Karla mit der Vase eintrat, hatte Klaudia einige Minuten Zeit, um sich mit der ganzen Kraft ihres Bewußtseins gegen die Wahrnehmung einer gähnenden, inneren Leere zu wehren. Ihre rechte Hand umkrampfte dabei das »gerupfte Unkraut« mit den beiden langstieligen Rosen darin wie den bekannten rettenden Strohhalm in einem reißenden Fluß.
Karla schüttelte den Kopf, als sie ihr den Strauß entwand.
»Sandro hat es gutgemeint, gnädige Frau. Aber diesen beiden Damen, die Ihr Haus gemietet haben, sollten Sie einmal die Leviten lesen. Die lassen den herrlichen Garten ja ganz verkommen. Stimmt es, daß die beiden den Sommer über in den Alpen verbringen? Das ist doch nicht recht!«
»Solange sie die Miete bezahlen, kann ich mich nicht beschweren«, sagte Klaudia mit einem müden Lächeln.
»Aber das ganze Anwesen verkommt doch. Sie sollten es verkaufen, gnädige Frau!«
»Verkaufen?« wiederholte Klaudia fassungslos.
Karla merkte, daß sie zuweit gegangen war. Als sie mit dem Strauß in der Vase zurückkehrte, entschuldigte sie sich. »Ich habe außer acht gelassen, wie viele Erinnerungen Sie mit diesem Haus verbinden. Ihre Kindheit und Jugend haben Sie dort verbracht, nicht wahr?«
Klaudia nickte flüchtig, dann schloß sie die Augen. Sekunden später war sie allein. Erinnerungen an ihre Kindheit und Jugend? Ja, sicherlich. Aber noch inniger verbanden sie einige Bilder aus ihrer jüngeren Vergangenheit mit der kleinen Villa in dem großen verwunschenem Garten.
Sie