von Redwitz. Ja, so soll der Kuchen sein. Er ist vollkommen.«
Beate betrachtete ihn schweigend. Er war kein schöner Mann, dazu wirkte er zu behäbig. Aber er hatte flinke und doch gütige Augen, eine tiefe, warme Stimme und volles, graues Haar. Sie fragte sich, warum er wohl nie geheiratet hatte. Aber sie behielt diese Frage für sich, denn noch mehr beschäftigte sie ein anderes Problem: Wie konnte sie ihn endlich dazu bringen, sie einfach beim Vornamen zu nennen? Es fiel ihr dann leichter, ihn nach seinem Privatleben auszuhorchen.
»Detlef«, begann sie zögernd. »Wir verstehen uns doch gut. Und ich freue mich jedesmal über Ihren Besuch. Aber…«
»Sie finden mein Gemüse zu teuer.«
Ach, was war er nur für ein Döskopp! Sie schüttelte in komischer Verzweiflung den Kopf. In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Sie murmelte eine Entschuldigung und eilte ins Haus.
Es war ihre Schwägerin Klaudia, die sich mit leiser Stimme meldete.
»Ist etwas mit Sandro?« fragte Beate atemlos.
»Nein, Bea. Ich liege in der Klinik.«
Der Schrecken fuhr in die Glieder. »Klaudia… doch nicht etwa? Schon wieder?«
»Doch, Bea. Ich habe wieder eine Fehlgeburt erlitten.« Die folgenden Worte erstickten in Tränen. Beate hörte ihr verzweifeltes Schluchzen und wußte sofort, was nun zu tun war.
»Detlef, ich bitte Sie um Verständnis. Ich muß sofort in die Klinik. Meine Schwägerin…«
So schnell er konnte, erhob er sich aus dem Gartenstuhl.
»Selbstverständlich bringe ich Sie hin, Beate.«
Erst, als sie schon neben ihm im Auto saß, begriff sie, daß er sie beim Vornamen genannt hatte. Sie legte die Hand auf seinen Arm und sah ihn liebevoll an.
»Danke, Detlef. Wie gut Sie zu mir sind. Es tut mir leid um unseren Nachmittag, aber Klaudia…«
»Sie ist die Frau Ihres Bruders Reinhard von Redwitz. Ich weiß. Ich habe großen Respekt vor diesem Mann.«
»Sie kennen ihn doch gar nicht«, erwiderte sie aufgebracht. »Wissen Sie, es ist bereits das zweite Mal, daß seine Frau eine Fehlgeburt erlitt und wieder hält er sich im Ausland auf. Und das, obwohl die Ärzte ihn gewarnt haben. Sie tut mir so leid, so schrecklich leid!«
»Seine Gegenwart hätte das nicht verhindern können, Beate. Erzählten Sie nicht, Ihre Schwägerin ist eine vielbeschäftigte Frau, die sich kaum Ruhe gönnt?«
»Ja«, gab sie kleinlaut zu.
Im Winter vor einem Jahr hatte Klaudia sich zu den Vorführungen der Sommerkollektionen in Paris aufgehalten. Dort hatte man sie nach Stunden voller Schmerzen in eine Klinik gebracht. Zu spät. Klaudias ungeborenem Baby hatte man nicht mehr helfen können. Und obwohl Reinhard sofort aus Oslo herbeigeeilt war und sie nach Hamburg zurückbrachte, war die Ehe danach in eine Krise geraten. Klaudia wurde mit dem Verlust ihres Babys nicht fertig, und Reinhard fand kaum Zeit, sie wieder aufzurichten. Es war überflüssig, nach dem Warum und Wie zu fragen.
Beate dachte an Sandro. Für den Kleinen, der damals gerade in die Schule gekommen war, bedeutete das Unglück eine besonders schmerzliche Erfahrung. Die Freude auf ein eigenes Kind hatte Klaudia zunächst weicher und verständnisvoller werden lassen. Sandro hatte ihre Zuneigung gespürt und erwidert. Aber damit war es mit einem Mal vorbei. Es war, als habe Klaudias Kummer, der sie unter extremen Stimmungsschwankungen leiden ließ, den Jungen völlig verstört. Sandro empfand ihr Verhalten als ungerecht und fühlte sich, als habe man ihn ohne Grund in den dunklen Keller gestoßen.
Nein, dachte Bea, nicht ins Dunkle eines Kellers. Eher in den kalten Schatten, den das sogenannte Glück Reinhards auf Sandros Kindheit warf. Und solange der Kleine bei seinem Vater leben mußte, konnte er diesem Schatten nicht entfliehen.
»Sie denken an Ihren kleinen Neffen, nicht wahr?« fragte Detlef, als er vor der Klinik hielt.
Bea nickte bekümmert. »Dieses ständige Auf und Ab zwischen seinen Eltern verwirrt ihn. Er hat außer seinem Vater und Klaudia doch nur noch das Personal.«
»Er hat Sie, seine wunderbare Tante. Ich merke doch, daß der Kleine Ihr ein und alles ist, Beate.«
»Das war einmal. Mein Bruder hat schon vor Jahren festgestellt, daß ich nicht der richtige Umgang für Sandro bin.«
Er sah sie von der Seite an. »Das soll ich glauben? Entschied sich Ihr Bruder für eine richtige Gouvernante, die das Kind streng herannahm?«
»Ja und nein. Als Sandro in sein Elternhaus zurückgekehrt war, betreute ihn nachmittags ein nettes Kindermädchen. Sie heiratete, kurz bevor er zur Schule kam. Klaudia hatte versprochen, sich seiner mehr anzunehmen. Aber das gelang ihr erst, als sie selbst ein Kind erwartete. Und wie die beiden Schwangerschaften endeten, das wissen Sie jetzt, Detlef.«
Er nickte. »Ich teile Ihre Meinung. Der Kleine war am besten bei Ihnen aufgehoben.«
Sie lächelte verlegen. »Die Eltern von Linus und Kiki sind dieser Meinung. Darum denken Sie auch so.«
»Ist es falsch, wenn ich genauso denke? Ich kenne Sie inzwischen recht gut.«
Sie sah ihn dankbar an. Seine Worte gaben ihr Kraft. Detlef Barmfeld wurde ihr zum vertrauten Freund, weil er ihre geheimsten Gedanken teilte. Vor dem Eingang der Klinik drückte sie seine Hand innig und stieg schnell aus.
»Ich komme ohne Blumen, Klaudia«, entschuldigte sie sich kurz darauf, beugte sich über das Krankenbett und umarmte ihre Schwägerin behutsam. »Mir fehlte die Zeit. Ich wollte schnell zu dir.«
»Danke, Beate.«
Ihre Blicke trafen sich. Wie immer, wenn es Klaudia erbärmlich schlechtging, vergaßen sie, wie unüberwindbar ihre Gegensätze waren. Klaudia war leichenblaß und ungeschminkt, und doch ging in ihrem Unglück eine rührende Verletzlichkeit von ihr aus. Beate hielt ihre Hand fest und wartete auf die Schilderung dieses Unglücks.
Aber Klaudia schwieg. Tränen rannen aus ihren Augen.
»Weiß Reinhard schon Bescheid?« fragte Beate zaghaft.
Da deutete Klaudia wortlos auf einen üppigen Blumenstrauß.
»Der war eine Stunde, nachdem Karla ihn telefonisch in Buenos Aires erreicht hatte, da.«
»Angerufen hat er nicht?«
Klaudia schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Er ist bestimmt gerade sehr beschäftigt«, flüsterte Beate.
»Ja. Und außerdem…« Klaudia schloß die Augen und schluckte.
»Was meinst du?«
»Es ist ihm gleichgültig, ob wir ein Kind bekommen oder nicht. Er hat doch schon eins. Sandro ist sein ganzes Glück, weil er ein guter Schüler und begeisterter kleiner Sportler ist. Reinhard ist davon überzeugt, daß aus ihm später ein erfolgreicher Mann wird. Ein kleines Baby würde unser Leben nur komplizieren, weil ich dann nicht mehr berufstätig sein könnte.« Sie schloß kurz die Augen. »Du weißt, was Reinhard von Hausmütterchen hält.«
In Beate erstickte der Trost, den sie aussprechen wollte. Klaudia hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Mit ihr hatte Reinhard eine Frau ganz nach seinen Wünschen geheiratet. Sie war tüchtig, intelligent, elegant und charmant und schmeichelte seiner Eitelkeit. Und so sollte es bleiben! Ein weiteres Kind, ein Baby, das umsorgt werden mußte, paßte nicht in dieses Bild.
»Verstehst du es wenigstens?« Klaudia hob den Blick zu ihr. »Ich wäre gern nur noch Mutter. Auch für Sandro. Wir haben einander liebgewonnen nach den ersten schweren Jahren. Ich bin doch jetzt gern mit ihm zusammen…« Sie sprach nicht weiter, weil sie aufschluchzte.
»Sandro wird deshalb Verständnis für dich aufbringen«, hörte Beate sich sagen, als sie Klaudia liebevoll über die Wange strich. »Er hat sich ja auch auf das Baby gefreut.«
»Ja. Nur diesmal wird