Bea, sieh mich nicht so entsetzt an! Damit hättest du rechnen können. Oder mißgönnst du mir mein zweites Glück?«
»Mit Ruth warst du nie glücklich. Also ist es wohl dein erstes Glück«, meinte sie seufzend, »Aber natürlich gönne ich es dir von Herzen.«
»Gut. Dann klammere dich nicht an meinem Sohn. Du hast viel für ihn getan, aber er gehört dir nicht.«
»Das wußte ich immer.«
Sie wußte aber auch, wie eintönig ihr Leben ohne Sandro sein würde. Nein, sie konnte sich die Zukunft ohne ihn nicht mal vorstellen. Durfte sie nicht ein einziges Mal um ihr Glück bangen und kämpfen?
Reinhard setzte sich wieder. Er atmete schwer.
»Sandro hängt mit zärtlicher Liebe an dir, Bea. Aber er gehört nicht für immer in ein kleines Reihenhaus weit vor der Stadt. Hier würde er wie viele andere Kinder aufwachsen, die es später im Leben nur zum Mittelmaß bringen. Als Vater kann ich das nicht verantworten.«
Ihr Atem bebte, als sie Luft holte. Schon jetzt lähmte sie die Angst vor der Einsamkeit.
»Versteh ’s doch«, fuhr er fort. »Klaudia wird seine Stiefmutter. Wie alles, was sie beginnt, wird sie auch daraus das Beste machen. Sie hat Verständnis für mich und steht im Gegensatz zu Ruth mit beiden Beinen im Leben. Wir werden nach der Hochzeit eine lange Reise nach Südostasien unternehmen, aber Weihnachten wird Sandro bei uns verbringen. Du hast also Zeit, dich mit der Trennung von ihm abzufinden.«
Sie konnte ihn nicht ansehen, wenn sie nicht in Tränen ausbrechen wollte. »Ja, das habe ich«, schwindelte sie tapfer.
*
Nach zehn Stunden Flug setzte die Maschine über Hamburg zur Landung an. Unter den Passagieren war eine Gruppe von fünf Ärzten, die nach einem Einsatz in einem Notgebiet südlich des Äquators wieder in die Heimat zurückkehrten.
Ralf Nolte sah seinen Freund und Kollegen Kai Hoffmann an, der auf dem Sitz neben ihm eingenickt war. Ralf schmunzelte. Jetzt zeigte sich, daß der etwas jüngere Freund sich mal wieder bis zur Erschöpfung verausgabt hatte.
»He, Kai!« Minuten später mußte er ihn trotzdem wecken. »Wir landen gleich. Wach auf. Noch kannst du dich rasieren. Klaudia wird es dir danken«, grinste er.
»Was ist los?« schrak Kai hoch. Dann begriff er, sah nach links und rechts und auf seine Uhr und strich sich schließlich übers Kinn. »Sie wird es aushalten«, lächelte er und räkelte sich wohlig.
»Du meinst, sie nimmt dich auch unrasiert glücklich in die Arme, weil sie weiß, du mußt in vierzehn Tagen wieder los?«
Ralf Nolte war der schönen Klaudia Waller nur zweimal begegnet, aber sein Urteil über Kais Freundin hatte schon beim ersten Mal festgestanden. Die Sechsundzwanzigjährige war beeindruckend schön, umwerfend elegant und charmant, aber ihr überzogenes Selbstbewußtsein machte sie zu einer unerträglichen Nervensäge. Natürlich hatte er das Kai nie gesagt. Dazu wußte er mit seinen fünfunddreißig Jahren schon zu gut, daß Liebe zwar blind, aber auch stark machen kann. Denn die leidenschaftliche Liebe zu Klaudia Waller ließ Kai leichter als alle anderen Kollegen Entbehrungen, Mühen und seelische Erschütterungen verkraften. Reinhard bewunderte den Freund deshalb im stillen.
»Ich muß dir etwas anvertrauen, Ralf«, verriet Kai ihm Sekunden später mit gesenkter Stimme, damit die anderen im Team es nicht hören konnten. »Den nächsten Einsatz werde ich nicht mehr mitmachen. Ich habe schon mit dem Professor telefoniert und angekündigt, daß ich beim Hilfswerk aussteigen werde, um endlich mit der Ausbildung zum Facharzt zu beginnen.«
»Was? Bist du verrückt? Du willst uns einfach alleinlassen?«
»Ungern, aber ich nehme das Angebot vom Professor in Kiel jetzt doch an. Noch fünf Jahre Fachausbildung liegen vor mir. Die Zeit wird schon hart genug für Klaudia. Kann ich dann endlich eine Praxis im Haus ihrer Eltern eröffnen, bin ich auch nicht mehr der Jüngste«, er versuchte ein kokettes Lächeln, das ihm gründlich mißlang.
Über ihnen blinkte das Signal auf. Sie schnallten sich wieder an.
»Der nächste Einsatz in Indien ist ein Kinderspiel«, begann er kurz darauf tröstend. »Das schafft ihr auch ohne mich. Versteh’s doch, Ralf! Ich muß an Klaudia denken. Schon vor einem Jahr habe ich ihr versprochen, endlich über unsere gemeinsame Zukunft zu entscheiden. Ich liebe sie.«
»Ich weiß.«
»Klaudia hat ein Recht auf mich.«
»Wohl auch auf einen Ehemann, der als Modearzt in ihre feinen Kreise paßt.«
»Ja, das hätte sie gern.« Ohne von Ralfs beißendem Spott gekränkt zu sein, strahlte Kai. Mit einer Hand fuhr er sich durch das kurzgeschnittene blonde Haar, schloß dann die Augen und lehnte sich lächelnd zurück.
»Klaudia hat dich wohl ganz schön unter Druck gesetzt.«
»Und wenn? Du hast gut reden. Auf dich wartet keine Frau. Du vermißt nichts, wenn du irgendwo auf der Welt gegen Cholera und Hungerödeme kämpfst. Du hast dich an dieses Leben gewöhnt.«
»Das war schwer genug, aber es lohnt sich.«
»So denke ich auch. Daran ändert sich nichts. Aber jede Lebensphase geht einmal zu Ende. Wer liebt, muß auch zu Kompromissen bereit sein. Und ich weiß, Klaudia kann nicht gut allein sein.«
»Ich dachte, ihr Beruf füllt sie hinreichend aus.«
Kai lachte leise auf. »Mode macht ihr Spaß, ja. Und dann die vielen Parties, Empfänge und kulturellen Veranstaltungen! Die halten sie dazu ganz schön auf Trab. Aber täusch dich nicht in ihr! Wie alle Frauen träumt auch Klaudia von einer harmonischen Zweisamkeit. Sie wünscht sich sogar Kinder. Und bevor wir Eltern werden, möchte ich noch einige Jahre mit ihr allein verbringen, um eine Beziehung zu ihr aufzubauen, die allen möglichen Widerständen trotzen kann.«
»Und um sie auf Parties, Empfänge und ins Theater zu begleiten?« entschlüpfte es Ralf. Es klang recht bissig.
Kai sah ihn irritiert an. »Wenn es sein muß, ja.«
»Du hast recht, Kai«, entschuldigte der ältere Kollege sich. »Ich kenne sie ja nur flüchtig.«
Dr. Ralf Nolte rief sich die wenigen Begegnungen mit ihr ins Gedächtnis zurück. Zuerst war ihm ihr rötlich schimmerndes, wild gelocktes Haar, das bis auf die schmalen Schultern wallte, aufgefallen. Von dichten dunklen Wimpern beschattete grüne Augen hatten ihn aus ihrem ausdrucksvollen Gesicht angeblitzt und dabei signalisiert, zu welch wachem Köpfchen sie gehörten. Ja, Klaudia war nicht nur schön, sondern auch gewitzt. Und sie konnte ihre geheimnisvoll weibliche Ausstrahlung zudem mit auffallend teurer Garderobe betonen. Durfte er es ihr ankreiden, wenn sie sich ganz bewußt als Tochter aus gutem Haus gab? Nein, solange sie Kai liebte und ihn glücklich machte, war das ganz bedeutungslos.
Als die beiden Ärzte eine halbe Stunde später durch die Paßkontrolle in die Flughafenhalle traten, sahen sie sich suchend um. Keiner konnte Klaudia unter den Wartenden entdecken.
»Vielleicht konnte sie sich nicht rechtzeitig aus der Redaktion freimachen«, wollte Ralf seinen Freund trösten. »Oder hast du vergessen, unsere Ankunftzeit genau zu nennen?«
»Nein!« murrte Kai gereizt. Er wandte sich dem Rest des Teams zu, um sich zu verabschieden und schulterte dann seine zwei Taschen. »Sie wird mich zu Hause erwarten.« Er lächelte zuversichtlich. »Der Champagner ist kaltgestellt, dazu gibt’s Lachs und Kaviar. Das macht sie immer so. Sie ist wunderbar.«
Ralf umarmte ihn. »Ich fahr mit den anderen. Ruf mich an, wenn du mit dem Professor verhandelt hast. Wir bleiben doch in Verbindung?«
»Selbstverständlich.«
Ihre Blicke trafen sich wie die zweier Kumpels, deren gegenseitiges Vertrauen durch nichts zu erschüttern war.
»Kai!«
Die beiden Männer fuhren herum. Da stand Klaudia. Sie mußten zweimal hinsehen, denn auf den ersten