Vorgesetzte durfte es nicht in den falschen Hals bekommen.
»Sie arbeiten noch?« fragte die aber nur und lächelte sogar anerkennend.
»Ja, Frau von Redwitz. Damit morgen früh alles gleich zur Hand ist.«
»Es ist gleich sieben Uhr, Rena. Machen Sie Feierabend. Haben Sie nichts vor?«
»Nein. Nein, wirklich nicht.«
Rena hatte ganz kurze Haare,
die von erdbeerfarbenen Strähnen durchzogen waren und sie wie ein Punkmädchen aussehen ließen. In ihrer Verwirrung fuhr sie sich durch die Frisur.
Klaudia entging die Verwirrung der jungen Frau nicht. Wahrscheinlich fragte Rena sich, warum sie ihr so überflüssige Fragen stellte. Sollte sie der Praktikantin einfach gestehen, wie ungern sie abends das Büro verließ, um allein in die riesige Villa ihres Mannes zu fahren? Nein, das paßte nicht zu einer Chefin.
»Gut. Dann kommen Sie mit. Wir gehen unten ins Bistro. Ich lade Sie zu einem Glas Wein ein.«
»Das… wollen Sie?« Rena schnappte nach Luft. »Natürlich, danke. Ich komme sehr gern mit.«
Klaudia von Redwitz trug ein sündteures, sehr schlichtes Kostüm. Um ihren leichtgebräunten Hals lag ein dreireihiges Perlencollier, daß vorn mit einer Brillantschließe zusammengehalten wurde. Wie man im Kollegenkreis munkelte, war sie schon immer sehr elegant und damenhaft aufgetreten. Sie galt als Dame von Welt. Und daß sie nur noch zu ihrem Vergnügen arbeitete, weil sie als Frau von Reinhard von Redwitz auf keinerlei Einkommen angewiesen war, tuschelte man auch.
In Windeseile sorgte Rena für Ordnung auf ihrem Tisch. Ob die Redwitz ihr beim Wein eine Standpauke halten wollte? Hatte sie etwas falsch gemacht?
»Hetzen Sie sich nicht«, lächelte die gnädig. »Das Bistro unten läuft uns ja nicht weg.«
Das Bistro im Parterre des Bürohauses galt allen Redaktionsmitgliedern als Luxus-Kantine oder Zufluchtsort. Hier war es angenehm ruhig, nichts störte die Atmosphäre zwischen Kerzenlicht und Espresso-Duft. Klaudia steuerte einen Ecktisch an, der Ober kam und nahm ihr den nerzgefütterten Mantel ab.
»Ich hoffe, Sie haben nichts an meiner Arbeit auszusetzen, Frau von Redwitz«, begann Rena schüchtern, nachdem sie sich mit einem Glas Weißwein zugeprostet hatten. »Das würde mich sehr unglücklich machen.«
»Unglücklich?« Klaudia lachte leise auf. »Was weiß ein junges Ding wie Sie schon vom Unglück!?« Sie kramte Zigaretten aus ihrer Tasche und wartete, bis der Ober ihr Feuer reichte. »Ich bin sogar sehr zufrieden mit Ihnen«, verriet sie nach dem ersten Zug. »Sie haben Ehrgeiz, nicht wahr? Wie lange noch und Sie nehmen auf meinem Sessel Platz?« Sie lachte auf, und strahlte dabei aber eine sympathische Wärme aus.
»Auf Ihrem Sessel? Niemals. Ich bin doch viel zu jung.«
»Die Zeit vergeht schnell, Rena. Und Sie haben das Zeug dazu, einmal meine Nachfolgerin zu werden. Es schadet nie, länger als andere zu arbeiten. Das haben Sie auch schon kapiert.« Sie zwinkerte ihr kumpelhaft zu und stieß Rena in noch größere Verwirrung.
»An einem Novemberabend wie diesem arbeitet es sich gut.«
Wieder lachte Klaudia. »So? Mich stimmt der November oft melancholisch. Außerdem ist heute mein Hochzeitstag.«
»Oh! Ich beglückwünsche Sie. Der wievielte denn?«
»Der zweite.«
»Ihr Mann wird Sie mit einer Überraschung erwarten, Frau von Redwitz«, es klang tröstlich, wenn auch unsicher.
»Mein Mann ist in Washington.«
»Es tut mir leid.«
»Ich bin es gewöhnt. Letztes Jahr um diese Zeit war er in Kuala Lumpur, das ist in Malaysia, Südostasien.«
Rena war beeindruckt. Sie hob das Glas an die Lippen und nippte am Wein. »Ich kenne Ihren Mann aus dem Fernsehen. Ich find’ ihn toll.«
»Danke.« Das Danke entschlüpfte Klaudia wie ein Seufzer. »Heute ist es nicht mal kalt. Petrus hat uns zum nebligen Trübsinn wenigstens noch einige milde Tage geschenkt. Ich könnte sogar das Verdeck meines Cabrios herunterlassen und die Fahrt nach Blankenese genießen«, fuhr sie munterer fort.
»Sie haben ein Cabrio?«
»Ja, wußten Sie das nicht? Alle Kollegen beneiden mich doch darum. Mein Mann schenkte es mir zum Geburtstag. Es ist das neuste Modell. Die Automatik des Verdecks reagiert auf meine Stimme.«
»Wahnsinn!« staunte Rena.
»Wollen Sie mich begleiten?«
»Wohin? Nach Blankenese?«
»Ja. Sie können dort in die S-Bahn steigen und zurückfahren. Wo wohnen Sie?«
»In…«
»Lassen Sie nur. Wahrscheinlich reicht’s nicht für eine bessere Gegend, wie?«
Rena lächelte verlegen. »Aber ich komme gern mit. Im Cabrio über die Elbchaussee, und das im November! Wahnsinn!«
»Ich habe eine Mütze für Sie im Wagen, damit Sie sich nicht erkälten.« Klaudia winkte den Ober heran, zahlte, ließ sich in ihren Mantel helfen und steuerte schon auf den Ausgang zu.
Rena klemmte sich ihre Jacke unter den Arm und folgte ihr eilig. Dabei fragte sie sich, womit sie diese Gnade verdient hatte. War es ihr Ehrgeiz, auf den Klaudia von Redwitz aufmerksam geworden war und vor dem sie sich fürchtete? Nein, das konnte nicht sein. Ob die elegante Chefin sich womöglich einsam fühlte?
Ach, Unsinn! So eine Frau ist doch nie einsam. Die ist doch mit einem prominenten Mann verheiratet. Seit zwei Jahren sitzt sie auf dem Chefsessel und macht ihre Arbeit gut. Heute will sie den Spaß an der Fahrt im Cabrio einfach nicht allein genießen. Auch eine große Dame wie Klaudia von Redwitz ist eben nur ein Mensch.
Es wurde wirklich eine herrliche Fahrt aus der Stadt hinaus und über die Elbchaussee. Die Luft war milde, das Tempo hielt sich in Grenzen. Mit der Wollmütze auf dem Kopf spürte Rena kaum den Fahrtwind. Dafür begeisterten sie die Lichter unten am Fluß und das silbrige Geglitzer des Mondlichts auf dem Wasser.
»Wahnsinn!« lachte sie immer wieder und weil Klaudia in ihr Gelächter einstimmte, verlor sich allmählich die Scheu vor der eleganten Chefin.
»Wer erwartet Sie zu Hause, Rena?« erkundigte die sich.
»Keiner. Ich hab’ nur ein Appartement in der Nähe vom Hauptbahnhof. Das bewohn ich allein. Ich bin doch erst seit zwei Monaten in Hamburg, und die Arbeit füllt mich aus. Freunde zu finden, dazu hatte ich noch keine Zeit.«
»Mode begeistert Sie, wie?«
»Klar. Ich bin ganz verrückt nach Klamotten.« Sie sah ihre Chefin verlegen an. »Die tollsten Sachen tragen Sie aber. Sie sehen immer noch besser aus als die Models im Journal.«
Klaudia lachte herzlich. »Wollen Sie mein Hochzeitskleid sehen?«
»Ihr… Hochzeitskleid?«
»Ja, ein Modell aus Paris. Ich habe richtig in Weiß geheiratet. Das ist ja schon eine Zeit her. Das Hochzeits-Foto erschien in der Tagespresse und hing sogar einige Wochen in der Empfangshalle des Verlages aus. Der oberste Boß wollte es so, und mein Mann war sehr stolz.«
»Uii! Das kann ich mir denken. Schade, das habe ich verpaßt.«
»Na, sehen Sie! Es gibt also etwas nachzuholen. Und wenn Sie mögen, können Sie auch eine Kleinigkeit mit mir essen.«
»Sie… Sie sollen sich keine Umstände meinetwegen machen.«
»Umstände? Keinesfalls. Dafür haben wir genug Personal.«
Von nun an schwieg Rena Liebold. Ihr wurde bewußt, wie wenig sie über den Alltag der feinen Gesellschaft wußte. Natürlich hatte eine Dame wie Klaudia keine Hausfrauenpflichten. Und den schnellen Pizza-Service nahm die bestimmt nie in Anspruch. Ob es bei ihr einen richtigen