du hoffst natürlich, er kann wieder bei dir leben, während wir auf Reisen sind?« Er sah sie mit kaltem Blick an, stützte die Hände auf den Tisch und beugte sich zu ihr. »Jetzt verstehe ich! Du denkst nur an dich, Bea. Und du erträgst den Gedanken nicht, daß er und Klaudia doch noch Freunde geworden sind.«
Ihr heftiges Kopfschütteln beeindruckte ihn wenig. Ungerührt betrachtete er sie, und dabei legte sich ein spöttisches Lächeln auf seine Züge. »Du siehst heute sehr gut aus, das muß ich anerkennen. Ja, du hast dir heute mit deinem Äußeren viel Mühe gegeben. Ich weiß warum. Du willst mich freundlich stimmen und mir keinen Anlaß zu Sticheleien geben. Und das alles nur, damit ich dir Sandro wieder anvertraue. Aber da irrst du dich. Selbst, wenn ich wochenlang mit Klaudia verreise – Sandro wird in meinem Haus bleiben. Er ist ein guter Schüler und hat zu Karla und Günther ein nettes Verhältnis. Da er sich von ihnen verpflegen und betreuen läßt, mußte er lernen, wie man mit Angestellten umgeht. Das wird ihm für seine Zukunft nützlicher sein, als in deinem Reihenhausgarten mit Kindern aus mittelmäßigen Verhältnissen zu spielen.«
Bea brauchte Sekunden, um darauf antworten zu können, so trafen sie seine Worte. »Sandro hat nicht nur eine Zukunft, Reinhard. Noch ist er ein achtjähriger Junge, der ein Recht auf eine unbeschwerte Kindheit hat.«
»Die hat er, liebe Schwester.«
»Nein. Nur, wenn Klaudia glücklich ist, wird dieses Glück auch auf ihn zurückstrahlen. Nein, ich erwarte nicht, daß ihr mir Sandro während dieser Zeit anvertraut. Ich wünsche nur, daß er seine Kindheit unbeschwert verleben und genießen kann und nicht unter Schuldgefühlen leidet.«
»Du redest wie der Pastor auf der Kanzel«, lachte er und brachte sie zur Tür. »Aber ich grolle dir nicht. Ich werde über deinen Rat nachdenken. Aber bitte, rechne in Zukunft nicht mehr mit Sandros Besuchen. Die Zeit ist vorbei. Nach Ruths Tod warst du mir eine große Hilfe. Ich danke dir dafür. Damals habe ich sogar mein Testament verfaßt und dich im Falle meines Todes als Vormund bestimmt. Ich bin froh, daß ich mir jetzt keine Sorgen mehr um Sandro machen muß. Er gehört zu uns.« Er machte eine Pause und setzte selbstbewußt hinzu: »Ich habe die Situation meiner Familie immer richtig beurteilt. Es ist für Klaudia bitter, aber wir müssen damit rechnen, daß Sandro unser einziges Kind bleibt. Und davon wird er nur profitieren.«
Als Beate im Auto saß, dachte sie über Reinhard nach. Was hatte er eingeräumt? Daß es für Klaudia bitter sei, wenn sie kein Baby bekäme. Ob er auch wußte, wie egoistisch er sich verhielt? Nur deshalb fiel es ihm doch so leicht, Klaudias zweites Unglück wie eine geringfügige Störung im Alltag abzuhaken.
*
»Na, Junge?« polterte der Blumenhändler los, als ein kleiner Bursche schnell noch in den Laden schlüpfte, bevor die Tür zur Mittagspause ins Schloß fiel. »Du hast es aber eilig! Muttertag ist doch vorüber.« Er schmunzelte. »Was soll’s denn in aller Welt noch sein?«
»Rosen!« Sandro deutete auf einen Kübel voller tiefdunkler Blüten.
»Wieviel davon? Kosten drei Mark das Stück.«
»Drei Mark?« Sandro blickte fassungslos auf den blanken Fünfer in seiner Hand. »Mehr hab’ ich nicht.«
»Und für wen soll das üppige Bukett sein?« neckte ihn der dicke Mann.
»Für meine Mutter, also Stiefmutter. Sie kommt heute aus der Klinik.«
»Na, gut. Dann kriegst du zwei schöne Langstielige. Eine Mark erlaß ich dir. Aber sag ’s nicht weiter. Bist wohl gerade aus der Schule gekommen?«
Sandro nickte und sah zufrieden zu, wie der Mann zwei wirklich schöne Rosen auswählte und Papier drumwickelte. Er legte den Fünfer auf den Ladentisch, nahm das Bündel und verließ den Laden mit einem freundlichen Dankeschön.
Aber kaum war er draußen, riß er das Papier fort und betrachtete die beiden herrlichen Exemplare ziemlich skeptisch. Ziemlich dürftig sah der Strauß aus. Ob Klaudia ihn auslachte? Kam sie aus der Klinik, war sie unberechenbar. Bei ihr wußte man dann nie so sicher, woran man war.
Lange stand er am Straßenrand und überlegte. Dann machte er kehrt, ging an einigen Häusern vorbei bis zur nächsten Kreuzung und bog in eine Seitenstraße ein. Ihm war eingefallen, wie er doch noch zu einem üppigen Strauß kam.
Anderthalb Stunden später betrat er sein Elternhaus. Davor parkte der Wagen seines Vaters, der Chauffeur lehnte dagegen und nickte ihm höflich zu. Sandro erwiderte den Gruß und rannte die Stufen zum Eingang hoch.
»Sandro!« rief Karla, die gerade aus der Küche in die Halle kam und ihn auf der Treppe entdeckte. »Wo warst du nur so lange? Du hast um zwölf Schulschluß gehabt! Dein Vater wartet schon. Er will mit dir Mittag essen. Der Tisch ist gedeckt, die Suppe muß ich nun aufwärmen.« Sie schüttelte den Kopf.
»Macht nichts, Karla. Sieh mal, ist das ein schöner Strauß?«
»Der? Oje! Hab schon schönere gesehen. Das Unkrautzeugs paßt nicht zu den Rosen. Die gnädige Frau hat doch Geschmack!«
Er blieb enttäuscht stehen, bis er auf Karlas Gesicht ein verschmitztes Lächeln bemerkte.
»Geh nur hoch zu ihr, Sandro. Ihr geht’s nicht gut. Da freut sie sich über jeden Besenstiel. Hauptsache, er kommt von dir.«
Das ließ er sich nicht zweimal sagen. Er nahm drei Stufen auf einmal, schmiß oben seinen Ranzen in die Ecke und klopfte gleich darauf an die Tür zu Klaudias Boudoir.
Klaudia trug ein lavendelfarbenes Nachthemd, das sie leichenblaß aussehen ließ. Aber weil Reinhard bei ihr saß und sie bei seinem Eintritt sofort lächelte, fiel Sandro das nicht auf.
»Tag, Papi«, begrüßte er seinen Vater mit einem flüchtigen Kuß, um gleich danach den Strauß zwischen Klaudias Hände zu legen und geduldig auf ihre dankbare Freude zu warten. Aber Klaudia beugte sich still über den Strauß. Keinen Mucks tat sie.
Sandros Kehle war wie zugeschnürt.
»Warum kommst du so spät, Sandro?« fragte sein Vater dafür.
»Ich hab… für Klaudia Blumen besorgt, Papi«, erwiderte er stokkend. Sein Vater war doch nicht blöd und konnte sich denken, daß so ein Blumenstrauß nicht vom Himmel fiel.
»Zwei Rosen nur. Hast du nicht mehr dafür ausgeben können?«
»Doch, Papi. Aber ich hatte nur noch einen Fünfer.«
»Du bekommst wahrhaftig genug Taschengeld.«
Sandro trat von einem Fuß auf den anderen. Der unangenehme Verlauf des Gesprächs beschämte ihn.
»Ich war doch bis heute früh bei Tante Bea. Ganz in ihrer Nähe war Jahrmarkt. Ich hab Kiki und Linus dazu eingeladen.«
»So, so. Deine alten Freunde aus der Nachbarschaft. Die hatten wohl kein Geld?«
»Ziemlich wenig.« Sandro sah hilfesuchend zu Klaudia herab. Aber sie beugte sich noch immer über seinen Strauß. Er bemerkte, daß ihre Schultern zuckten. Warum nur? Mißfiel ihr der Strauß, war er doch nichts weiter als ein blühender Besenstiel? Er wollte sie berühren, aber schon sprach sein Vater weiter. Sandro wußte, daß er ihn beim Sprechen ansehen mußte. Also zog er seine Hand zurück und wandte sich ihm zu.
»Du bist noch zu unerfahren, um zu begreifen, wie man mit Menschen umgeht, die weniger Geld haben als wir, Sandro. Es kann für diese Menschen beschämend sein, wenn wir zu großzügig sind. Linus und Kiki werden sich nicht revanchieren können. Sind ihre Eltern nicht Lehrer?« Sandro nickte und Reinhard meinte darauf: »Denen geht es nicht besonders gut. Also, bitte überlege dir in Zukunft, wen du einlädst. Ich möchte nicht, daß du als großsprecherischer Angeber giltst. Du bist schon bald neun und mußt lernen, dich wie ein kleiner Gentleman zu benehmen.«
»Ja, Papi.«
»Dann hättest du Klaudia auch mit einem richtigen Rosenstrauß erfreuen können. Nicht mit einer Mixtur aus Baccara und Unkraut…!«
In diesem Augenblick fuhr Klaudia hoch. »Hör auf, Reinhard!« rief sie, und nun