Roland Zingerle

Starmord am Wörthersee


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dazu besteht auch kein Anlass.“ Heinz zwang sich zu einem Lächeln.

      Mit einer gehörigen Portion Misstrauen reichte Frau Anderwald den Klebezettel an Heinz und riet ihm, als dieser die Zeilen überflog: „Am besten beginnen Sie mit Frau Pachoinig. Sie arbeitet an der Rezeption und kann Ihnen auch sagen, wo Sie die beiden anderen finden.“

      Evelyn Pachoinig war eine schlanke, attraktive Frau, deren Alter Heinz zwischen Anfang und Mitte zwanzig einordnete. Ihr Auftreten war korrekt, und ihre Freundlichkeit wirkte, als käme sie von Herzen. Sie war genau die Art Angestellte, die Heinz sich als Gast an einer Rezeption wünschen würde. Als er ihr sein Anliegen eröffnete, bat sie ihn in den Backoffice-Bereich; eine professionelle Geste, wie Heinz fand. In dem hier befindlichen Büro stapelten sich Kartons mit Kopierpapier und Werbematerialien am Boden, ein paar Schreibtische waren von Papieren schier überflutet. Frau Pachoinig bot Heinz einen der Bürosessel an und setzte sich selbst auf einen zweiten.

      Heinz begann ohne Umschweife. „Frau Anderwald hat mir erzählt, Sie hätten im vergangenen Jahr ein einschlägiges Erlebnis mit Frau Frenzen gehabt. Bitte erzählen Sie mir davon.“

      „Ein einschlägiges Erlebnis wäre zu wenig gesagt.“ Frau Pachoinig lächelte. „Es war eher so, dass Frau Frenzen rundum unzufrieden war. Beim Einchecken war sie nett und freundlich, aber kaum hatte sie ihr Zimmer bezogen, war sie wie ausgewechselt. Sie hat die Größe und den Zustand ihrer Unterkunft bemängelt, gemeint, das Personal unhöflich zu ihr und so weiter. Und am nächsten Tag hat sie mir meine Kompetenz abgesprochen, weil ich in ihren Augen unfähig war, all die Probleme zu beseitigen.“

      „War einer der Vorwürfe aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?“

      Evelyn Pachoinig schnaubte kurz, lächelte und meinte: „Wissen Sie, ich glaube, das ist eine Frage der Perspektive. Wenn ich mir familiäre Herzlichkeit wünsche, ist die distanzierte Höflichkeit in einem Vier-Sterne-Hotel wahrscheinlich zu wenig für mich. Wenn ich Staub suche, werde ich immer irgendwo ein paar Reste finden. Und was meine Kompetenz anbelangt ... Ich habe jede ihrer Beschwerden an die Geschäftsführung weitergleitet, und nur das ist meine Aufgabe. Frau Anderwald hat eh gleich reagiert und das persönliche Gespräch mit Frau Frenzen gesucht. Aber keine Stunde später ist ihr Personal-Trainer schon wieder bei mir an der Rezeption gestanden und hat mir ihren Unmut über dies und jenes mitgeteilt. Besonders kurios war, dass er mir ständig damit gedroht hat, Frau Frenzen werde sich bei der Geschäftsleitung über mich beschweren – was sie aber nie getan hat, im Gegenteil: Sowohl bei ihrer Unterredung mit Frau Anderwald als auch beim Auschecken hat sie unseren Service in den höchsten Tönen gelobt und uns sogar noch ein fettes Trinkgeld gegeben.“

      Heinz wusste nicht recht, was er davon halten sollte. War Saskia Frenzen schizophren? „Hat Sie dieses Verhalten persönlich gekränkt?“

      Die Rezeptionistin dachte kurz nach, dann meinte sie: „Nein, gekränkt nicht. Es ist halt unangenehm, wenn so etwas länger anhält. Wissen Sie, ich versuche immer herauszufinden, was der Gast will und was ihn stört – und das ist nicht immer leicht. Manche Menschen sind eben schwieriger als andere, aber das muss man in meinem Beruf in Kauf nehmen. Die Schwierigen sind sowieso in der Minderheit.“ Sie schenkte Heinz ein charmantes und gleichzeitig so unschuldiges Lächeln, dass er gar nicht anders konnte, als mitzulächeln.

      Während er mit dem Lift in den dritten Stock fuhr, dachte Heinz über das Gespräch nach. Evelyn Pachoinig schien ihm eine Top-Kraft zu sein. Sie hatte einen starken und bestimmten Eindruck auf ihn gemacht und war sicherlich kein Mensch, der ein erlittenes Unrecht durch Kritzeleien in irgendeinem Rausch ausglich. Wenn sie ein Problem mit der Frenzen gehabt hätte, hätte sie es konkret angesprochen.

      Der Lift hielt an, und eine mechanische Frauenstimme verkündete die Ankunft im dritten Stock, ehe sich die Türen mit einem wohlklingenden Ping öffneten. Frau Pachoinig hatte mit einem kurzen Telefonat herausgefunden, dass Ljubica Konic, Heinz’ nächste Gesprächspartnerin, derzeit hier arbeitete. Es bedurfte nur eines Blicks links und rechts den Gang entlang, bis Heinz den Wagen der Zimmerreinigung sah. Dort fand er die Putzfrau gemeinsam mit einer Kollegin bei der Arbeit.

      Ljubica Konic war Anfang fünfzig, um einen Kopf kleiner als Heinz und sehr rundlich. Schon beim ersten Wortwechsel hörte Heinz, dass sie schlecht deutsch sprach, ihn aber dennoch zu verstehen schien, obwohl er im Dialekt redete. Er stellte sich vor und erklärte, mit ihr reden zu wollen, wobei er darauf hinwies, dass dieses Gespräch von der Geschäftsführung genehmigt sei. Er fragte sie nach einem ruhigen Ort für ein vertrauliches Gespräch, und Frau Konic sperrte eines der Gästezimmer auf, das sie und ihre Kollegin offenbar gerade gereinigt hatten. Der hier eingemietete Gast mochte ein Mann sein, zumindest deuteten ein lässig über eine Sessellehne geworfenes Sport-Sakko und eine etwas weniger lässig auf der Sitzfläche zerknüllt liegende Leinenhose darauf hin.

      Heinz’ einleitende Worte endeten, als er den Namen Saskia Frenzen aussprach. Ab da zerfloss Frau Konic in Tränen, und es schien kein Ende nehmen zu wollen. Heinz trat von einem Fuß auf den anderen und wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Dieses Gefühl steigerte sich noch, als Ljubica Konic begann, über ihr schweres Schicksal zu lamentieren. Sie erzählte, noch immer unter Tränen, wie sie in jungen Jahren mit ihrem Mann und ihren zwei kleinen Kindern vor dem Jugoslawienkrieg geflohen sei, wo ihnen als bosnische Kroaten der Tod durch die anrückenden Serben gedroht habe. Mit viel Glück, über Umwege und nach schier unglaublichen Schicksalswendungen sei die Familie nach Österreich gelangt, wo sie Asyl bekommen habe. Sie erzählte, wie schwer es gewesen sei, in einem Land zu leben, dessen Sprache sie nicht beherrschte und wie stolz sie bis heute sei, dass sie seit ihrer Einbürgerung nicht einen einzigen Tag lang auf Arbeitslosengeld angewiesen war. Zuhause in Bosnien sei sie Buchhalterin gewesen, hier verdinge sie sich als Reinigungskraft, aber sie wolle sich nicht beklagen, sie sei froh, ihre Familie in Sicherheit zu wissen. Vor ein paar Jahren dann habe ihr Mann einen schweren Arbeitsunfall gehabt, der ihn für längere Zeit in den Krankenstand versetzte. Sein Arbeitgeber, der Chef eines Hochbauunternehmens, habe ihm mit Kündigung gedroht, obwohl ihr Mann die fünfzehn Jahre davor nicht einen einzigen Tag im Krankenstand gewesen sei. Als Ljubica Konic dann noch begann, über die jüngsten Probleme mit ihrer spät pubertierenden Tochter zu klagen, fiel Heinz ihr endlich ins Wort.

      „Frau Konic, Ihr Schicksal berührt mich durchaus, aber was hat das mit Saskia Frenzen zu tun?“

      „Frau Frenzen!“ Sie heulte erneut auf. „Dieses schwere Schicksal! Zuerst Krieg, dann Unfall, dann Pubertät, dann Frau Frenzen. Die hat mich gedemütigt – wegen nix!“

      „Was ist denn passiert?“

      Ljubica Konic beruhigte sich etwas, dann erzählte sie: „Sie war drei Tage da, drei Tage Hölle. Immer ist gekommen Mann, immer hat er gesagt: Sauberkeit passt nit, Ordnung passt nit, Hygiene passt nit. Immer hat gesagt: Werde melden Chefin, wirst entlassen. Ich aber habe gesagt: Warum? Ich putze immer gleich, schon seit Jahren. Noch nie jemand ist gekommen und hat gesagt: passt nit.“

      „Wer war dieser Mann?“

      „Weiß nit. Freund von Frau Frenzen oder Kollege. Aber sie hat ihn geschickt.“

      „Hat sie die Beschwerde an Frau Anderwald weitergetragen?“

      Ljubica Konic zuckte mit den Achseln und schniefte. „Ich weiß nit. Vielleicht. Einmal ist gekommen Frau Anderwald und hat gefragt, was ist, und ich hab ihr erzählt, was war. Auch Kolleginnen von mir haben erzählt. Frau Anderwald hat nix weiter getan, nur hat gesagt: Machen Sie sich nix Sorgen, Sie sind gute Reinigungskraft.“

      „Na, sehen Sie, da kann Frau Frenzen reden, was sie will, wichtig ist doch nur, was Ihre Chefin von Ihnen denkt.“

      „Ja, aber wissen Sie, wie mir zu Herzen geht?“, fuhr Frau Konic empört hoch. „Ich mache Arbeit und Gast kommt und sagt: Ist alles nix wert! Noch dazu so ein Star wie die ... die Frau Frenzen. Wissen Sie, das tut mir weh.“

      Für den Rückweg zur Rezeption nahm Heinz die Treppe. Frau Konics Temperament empfand er als durchaus unberechenbar, doch glaubte er nicht, dass es sich in einem Drohbrief kanalisieren würde. Ein solch aggressives Vorgehen passte nicht zu ihr, sie schien sich eher in der Opferrolle zu sehen,