Die Revolution ist unmöglich ohne eine gesamtnationale … Krise. Folglich ist zur Revolution notwendig: erstens, dass die Mehrheit der Arbeiter (oder jedenfalls die Mehrheit der klassenbewussten, denkenden, politisch aktiven Arbeiter) die Notwendigkeit des Umsturzes völlig begreift und bereit ist, seinetwegen in den Tod zu gehen; zweitens, dass die herrschenden Klassen eine Regierungskrise durchmachen, die sogar die rückständigsten Massen in die Politik hineinzieht …, die Regierung kraftlos macht und den Revolutionären den schnellen Sturz dieser Regierung ermöglicht.«
Auch (erfolgreiche) nationale Unabhängigkeitsbewegungen und Freiheitskriege werden als Revolution bezeichnet. Zum Beispiel der Unabhängigkeitskrieg der englischen Kolonien in Nordamerika gegen England (1775 - 1783) oder die Befreiungskämpfe der spanischen Kolonien und zuletzt die erfolgreiche Loslösung der baltischen Staaten Lettland, Litauen und Estland von Moskau. Mit der Gewinnung der Unabhängigkeit ging dabei jeweils auch die Veränderung des politischen Systems einhehr.
Revolutionen können sich in Verlauf und Erscheinung unterscheiden. So werden wir im Folgenden sowohl von blutigen Bürgerkriegen als auch von friedlichen, kompromisshaften Verläufen (Portugal) lesen. Ferner kennen wir die »Revolutionen von oben«, die mit einem Staatsstreich oder einer Palastrevolution beginnen, ebenso wie Massenaktionen, die »Volksrevolutionen«. Die Revolution wird im Gegensatz zur »Evolution«, einer langsamen, kontinuierlich fortschreitenden Entwicklung und zur »Reform«, der planmäßigen, schrittweisen Veränderung oder Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse, verstanden. Der Umstand, dass eine Revolution eine scharfe Zäsur schafft, eröffnet die Chance, die nachrevolutionäre Zeit klar und vorteilhaft gegenüber der vorrevolutionären Zeit darzustellen: das selbstbestimmte Individuum gegenüber der Leibeigenschaft, das rechtsstaatliche, republikanisch-demokratische oder monarchisch-konstitutionelle Gemeinwesen gegenüber dem absolutistischen Despotismus – sei es der Despotismus von Monarchen oder in späterer Zeit derjenige von Diktatoren oder Juntas – und die Meinungs- und Pressefreiheit gegenüber der Zensur. Mit einer Revolution und deren Zielen werden jeweils die neuen Verhältnisse legitimiert. Die so entwickelte Sicht auf die Vergangenheit beeinflusst auf diesem Wege nachhaltig das kollektive Geschichtsbild, welches viel stärker auf das Bewusstsein wirkt als die Prozesse und Ereignisse selbst, ob diese in ihrer Gesamtheit nun eine Revolution ausmachen oder nicht. Dessen müssen sich Verfasser und Leser eines Buches über Revolutionen bewusst sein, zumal wenn dieses »Die großen Revolutionen der Welt« heißt. Zuerst ist daher die Rechenschaft darüber notwendig, was man unter »Revolution« versteht. Hier sollen jene Vorgänge, die von den betroffenen Völkern im Nachhinein als Revolution empfunden werden, darunter verstanden werden. Aber was ist eine »große« Revolution? Nur jene, die – wie auch immer – »gesiegt« hat?
Gewiss, es gab politische Prozesse, die die Welt nachhaltig verändert haben. Dazu gehören die Amerikanische und die Französische Revolution und sicher auch die Oktoberrevolution in Russland sowie die Revolution in China. Aber es können sich durchaus regionale, nationale Wahrnehmungen völlig von jener außerhalb des betroffenen Volkes oder Landes unterscheiden. So mag der Serbenaufstand von 1848 in der Woiwodina als wichtiges Ereignis in der serbischen Geschichtsschreibung erscheinen, kann zugleich aber in einer Gesamtdarstellung gegenüber den Aufständen der Griechen gegen die osmanische Herrschaft zurücktreten. Ist der Mailänder »Zigarrenrummel« vom 1. und 2. Januar 1848, als dort die Raucher Enthaltsamkeit übten, um den österreichischen Fiskus zu schädigen, ein großes revolutionäres Ereignis? Diese Einschätzung wird man in der Literatur nicht finden, aber die lokalen Akteure mögen das im Rückblick anders gesehen haben. Eine weitere Frage ist: Sind es tatsächlich die politischen Revolutionen oder vielleicht doch eher technische und mentale Umbrüche, die ausschlaggebend für den weiteren Lauf der Dinge sind? Zweifelsohne wären die Revolutionen spätestens ab der Französischen ohne die Aufklärung nicht denkbar gewesen. Auch die Industrielle Revolution wäre ohne sie nicht denkbar gewesen, weshalb Joel Mokyr auch lieber von der Industriellen Aufklärung spricht. Oder wie ist die Sexuelle Revolution zu bewerten?
Die Zusammenstellung dieses kleinen Buches verlangt also Entscheidungen, Wertungen vom Verfasser, die nicht objektiv sein können. Einmal, weil sie aus der Sicht der erfolgreichen Gesellschaftsform getroffen sind, zum anderen, weil sie zwischen groß, weniger groß, klein und nicht erwähnenswert unterscheiden müssen, und schließlich, weil sie den politisch-gesellschaftlichen Revolutionen den Vorzug gegenüber Prozessen in Wissenschaft, Technik und Geistesgeschichte geben. Freilich ist dieses Buch nicht blind gegenüber den geistesgeschichtlichen und lebensweltlichen Bedingungen, unter denen diese politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen stattgefunden haben. So beginnen die nachfolgenden Kapitel auch mit einem solchen über die Aufklärung.
Das Zeitalter der Aufklärung
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen
aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
(Immanuel Kant, 1724 - 1804)
Das Wort »Aufklärung« wird heute als Sammelbegriff für verschiedene philosophische und literarische Strömungen im Europa und Nordamerika des 17. und 18. Jahrhunderts (gelegentlich auch noch des 19. Jahrhunderts) verwandt, deren gemeinsames Ziel die Emanzipation der Menschen von der geistigen Vorherrschaft der Kirche ([geistige] Säkularisierung) und von absolutistischer Herrschaft zugunsten demokratischer Strukturen war.
Von den Religionskriegen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts bis zu den Revolutionen des späten 18. Jahrhunderts bestimmte der Absolutismus, die uneingeschränkte Herrschaft eines Kaisers, Königs oder Fürsten, das Leben in Europa. Der absolute Herrscher stand über einer Gesellschaft, in der jeder unausweichlich in einen bestimmten Stand hineingeboren wurde. Der Adel stand an der Spitze dieser Ständegesellschaft – politisch entmachtet zwar, aber er besaß einträgliche Privilegien: Steuerfreiheit und Grundherrschaft. Das Bürgertum war einerseits Träger und Nutznießer der staatlich gelenkten Wirtschaft (Merkantilismus), entbehrte aber besonderer Rechte und des politischen Einflusses. Am unteren Ende der Pyramide befanden sich die Bauern, die die meisten Lasten zu schultern hatten: Neben Steuern für den Staat verlangte der Grundherr, auf dessen Land sie arbeiteten, zusätzliche Abgaben. Beide großen christlichen Kirchen, die katholische wie die evangelische, waren mit den Königen und Fürsten verbunden und predigten der überwiegend ländlichen Bevölkerung Ergebenheit in ihr angeblich gottgewolltes Schicksal. In diesem Umfeld waren Unwissenheit, Vorurteile und Aberglaube und das sich Abfinden mit gegebenen Verhältnissen weit verbreitet.
Die Verschiebung des Fokus von Gott zum Menschen durch das aufklärerische Denken lässt die Forschung auch von einer »anthropologischen Wende« sprechen. Vernünftiges Denken sollte die Menschen von überkommenen, starren Vorstellungen und Vorurteilen befreien und bereit für neu erlangtes Wissen machen. Im Gegensatz zum Barock vollzog sich ein grundsätzliches Umdenken bezüglich der vanitas – der jüdischen und christlichen Vorstellung von der Vergänglichkeit alles Irdischen – und der Fixierung auf das Jenseits. Die Konzentration auf ein Leben nach dem Tod wandelte sich in eine starke Diesseitsbezogenheit. In dieser Zeit entwickelte sich auch der Liberalismus mit seinem Konzept der Menschen- und Bürgerrechte, der die Menschen ermuntern wollte, das »beste aller Leben« nicht erst im Jenseits zu erwarten, sondern es schon hier auf Erden zu suchen.
Eingeleitet wurde das Zeitalter der Aufklärung von Renaissance und Reformation, ferner durch die Entdeckung Amerikas und das daraus entstandene neue Weltbild. Die Aufklärung ging vor allem von England, Frankreich und den Niederlanden, später, in eigener Ausprägung, auch von Deutschland aus.
Der Verbreitung der aufklärerischen Ideen kam eine technische Neuerung zugute: der Buchdruck. Durch den Buchdruck wurde die Herstellung von Druckwerken billiger und damit für breitere Schichten der Kauf von Büchern und Zeitungen erschwinglich. Durch seine technischen Fortschritte entwickelte sich ein Verlagswesen, das Bücher und eine Zeitungsproduktion hervorbrachte, in deren Folge ein großer Markt für Gedrucktes entstehen konnte. Zu den Abnehmern gehörten dabei auch die sogenannten Lesegesellschaften, in denen sogar Menschen, die nicht lesen konnten, durch Vorlesen an Literatur herangeführt wurden.
Neben dem Vernunftprinzip war für die Wirkung der Aufklärung in den politischen Raum auch die Idee der religiösen Toleranz zentral. Der 1632 in Amsterdam