Prof. Dr. Jürgen Nautz

Die großen Revolutionen der Welt


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mit den Indianern beteiligen. Zu diesem Zweck versuchten die englischen Behörden zunächst, bestehende Handelsregulierungen wie die »Navigationsakte« und die Gesetze gegen Schmuggel konsequenter umzusetzen. Mit der Erneuerung der Zuckerakte von 1764 wurden hohe Abgaben auf den Import von Zucker und Melasse (Rückstand bei der Zuckergewinnung, zur Destillation von Rum verwendet) aus Westindien eingeführt, die den lukrativen Dreieckshandel mit Sklaven, Melasse und Rum gefährdeten: Aus Afrika wurden Sklaven im Tausch gegen Melasse auf die französischen westindischen Inseln gebracht. Den Rum lieferten die Amerikaner zu lukrativen Preisen nach England. Hinzu kam eine Reihe anderer Initiativen, welche die wirtschaftliche Tätigkeit in den nordamerikanischen Kolonien kontrollieren und besteuern sollten. Diese Maßnahmen, auferlegt von einem Parlament im fernen Europa, in dem die Bewohner der Kolonien nicht vertreten waren, wurden von den Kolonisten als große Zumutung und Provokation empfunden und stießen auf den geschlossenen Widerstand in Nordamerika: »No taxation without representation« (keine Steuern ohne Mitbestimmung) war das Schlagwort. Symbolhaft wurde der Streit um die Einführung einer Stempelsteuer, bei der sich zeigte, dass die Kolonien darüber einig waren, dass sie das Recht auf Selbstbesteuerung wollten. Das englische Parlament gab zwar bei der Stempelsteuer 1766 nach, bestand aber auf seiner Steuerhoheit, die es sich 1688/89 erfochten hatte. Die von den Kolonisten zu finanzierenden Maßnahmen zur Durchsetzung der englischen Steuerhoheit wurden in den darauf folgenden Jahren weiter verschärft (Townshend-Gesetze; Writs of Assistance), was sich nicht zuletzt in häufigeren und schärferen Kontrollen ausdrückte, womit den Schmugglern das Geschäft verdorben wurde. Dies veranlasste die Sons of Liberty (Söhne der Freiheit) 1768 einen Importboykott zu organisieren. An diesem war Samuel Adams (1722 - 1803) führend beteiligt, der gemeinsam mit Thomas Jefferson (1743 - 1826; 3. Präsident der USA 1801 - 1809) und anderen in Massachusetts »Korrespondenz-Komittees« errichtete, mit denen eine »Los-von-England-Bewegung« entstehen sollte.

      Da die Kolonialmacht mit weiteren Schritten die Kolonien in ihrem Aktionsradius und in den Möglichkeiten wirtschaftlicher Tätigkeit einschränkte, kam es zum Aufruhr. Die 1770er Jahre begannen mit dem Boston Massacre. 1773 gestattete das Parlament in London der Ostindienkompanie, Tee ohne Zoll nach England einzuführen; gleichzeitig bekam diese Firma ein Monopol für den Tee-Export nach Amerika. Dies machte den legal eingeführten Tee in Amerika billiger als jenen, den amerikanische Schmuggler in die Kolonien brachten. In Charleston, Philadelphia und New York wurde der Tee der Ostindienkompanie boykottiert, in Boston organisierte Samuel Adams 1773, dass 342 Teekisten der Ostindienkompanie unter großem Aufsehen ins Meer befördert wurden.

      Nachdem sich der Konflikt durch diese Boston Tea Party und die englischen Reaktionen darauf weiter verschärft hatte, kamen zwischen dem 5. September und dem 26. Oktober 1774 Delegierte der 13 Neuenglandstaaten in Philadelphia zum Ersten Kontinental-Kongress zusammen und beschlossen die Einstellung des Handels mit England. Im April 1775 kam es zu einem Zusammenstoß zwischen britischen Truppen und der amerikanischen Miliz bei Lexington, woraus sich der nordamerikanische Unabhängigkeitskrieg entwickelte, der bis 1783 dauern sollte, als Großbritannien im Frieden von Versailles die amerikanische Unabhängigkeit anerkannte.

      Während des Krieges entwickelten gewählte Versammlungen in elf Staaten neue Verfassungen. In New Hampshire und Massachusetts gab es Konvente, die eine Verfassung vorbereiten sollten. Die vom Konvent von Virginia am 12. Juni 1776 einstimmig verabschiedete Virginia Declaration of Rights war die erste moderne Grundrechteerklärung.

      Artikel 1

      Alle Menschen sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte, welche sie ihrer Nachkommenschaft durch keinen Vertrag rauben oder entziehen können, [auch nicht] wenn sie eine staatliche Verbindung eingehen, und zwar [handelt es sich bei diesen Rechten um] den Genuss des Lebens und der Freiheit, die Mittel zum Erwerb und Besitz von Eigentum und das Erstreben und Erlangen von Glück und Sicherheit.

      Alle Macht ruht im Volke und leitet sich folglich von ihm her; die Beamten sind nur seine Bevollmächtigten und Diener und ihm jederzeit verantwortlich.

      Eine Regierung ist oder sollte zum allgemeinen Wohle, zum Schutze und zur Sicherheit des Volkes, der Nation oder Allgemeinheit eingesetzt sein; von all den verschiedenen Arten und Formen der Regierung ist diejenige die beste, die imstande ist, den höchsten Grad von Glück und Sicherheit hervorzubringen, und die am wirksamsten gegen die Gefahr schlechter Verwaltung gesichert ist; die Mehrheit eines Gemeinwesens hat ein unzweifelhaftes, unveräußerliches und unverletzliches Recht, eine Regierung zu verändern oder abzuschaffen, wenn sie diesen Zwecken unangemessen oder entgegengesetzt befunden wird …

      Die gesetzgebende und die ausführende Gewalt des Staates sollen von der richterlichen getrennt und unterschieden sein …

      Die Wahlen der Abgeordneten, die als Volksvertreter in der Versammlung dienen, sollen frei sein …

      Bei allen schweren oder kriminellen Anklagen hat jedermann ein Recht, Grund und Art seiner Anklage zu erfahren, den Anklägern und Zeugen gegenübergestellt zu werden, Entlastungszeugen herbeizurufen und eine rasche Untersuchung durch einen unparteiischen Gerichtshof … zu verlangen, ohne dessen einmütige Zustimmung er nicht als schuldig befunden werden kann; auch kann er nicht gezwungen werden, gegen sich selbst auszusagen; niemand darf seiner Freiheit beraubt werden außer durch Landesgesetz oder das Urteil von seinesgleichen.

      Es sollen keine übermäßigen Bürgschaften verlangt, keine übermäßigen Geldbußen auferlegt, noch grausame und ungewöhnliche Strafen verhängt werden.

      …

      Die Freiheit der Presse ist eines der starken Bollwerke der [allgemeinen] Freiheit und kann nur durch despotische Regierungen beschränkt werden.

      Eine wohlgeordnete Miliz, aus der Masse des Volkes gebildet und im Waffendienst geübt, ist der geeignete … Schutz eines freien Staates …

      Die Religion oder die Ehrfurcht, die wir unserem Schöpfer schulden, und die Art, wie wir sie erfüllen, können nur durch Vernunft und Überzeugung bestimmt sein und nicht durch Zwang oder Gewalt; daher sind alle Menschen in gleicher Weise zur freien Religionsausübung berechtigt, entsprechend der Stimme ihres Gewissens; es ist die gemeinsame Pflicht aller, christliche Nachsicht, Liebe und Barmherzigkeit aneinander zu üben.

      Die in Virginia entstandene Erklärung hatte eine starke Wirkung auf die Beratung der am 4. Juli 1776 erfolgten Unabhängigkeitserklärung der 13 Vereinigten Staaten (The Unanimous Declaration of The Thirteen United States of America). Die Präambel der vom Kongress-Präsidenten John Hancock (1737 - 1793) und vom Kongress-Sekretär Carl Thomson unterzeichneten Unabhängigkeitserklärung lautet in der Übersetzung der in Philadelphia erscheinenden deutschsprachigen Zeitung »Pennsylvanischer Staatsbote« vom 5. Juli 1776 (Es war die erste Veröffentlichung der Deklaration. Für die Kongressmitglieder war der Text am 4. Juli abends aufgelegt worden. In englischer Sprache wurde der Bevölkerung das Dokument erst am 6. Juli 1776 durch die »Pennsylvania Evening Post« zur Kenntnis gebracht):

      »Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit