die Anwesenheit der tüchtigen Serafina alle nur möglichen Bedenken.
In letzter Minute, betäubt vor Erleichterung, besann sich Kati auf ihre Schulden, und nun ließ sich Dona Dolores gnädig das Geld aushändigen.
»In den nächsten Tagen komme ich wieder vorbei«, sagte sie beim Abschied, »ein Telefon haben Sie nicht?«
»Nein, aber es ist immer jemand da«, versicherte Serafina mit Bestimmtheit, »Sie sind uns jederzeit willkommen!«
»Von Ihnen kann ich noch viel lernen«, stellte Kati fest, als sie dann mit Serafina bei einer Tasse Kaffee saß.
»Dona Dolores hat Macht«, erklärte Serafina schlicht. »man muß ihr sehr höflich begegnen und ganz ruhig.«
»Wenn ich das nur könnte!«
»Wenn man muß, kann man vieles«, lächelte Serafina, und Miguel schwang zustimmend den Kaffeelöffel.
Er saß auf Katis Schoß und rammte ihr sein Köpfchen unters Kinn, als wolle er sie auf etwas aufmerksam machen. Und tatsächlich – ein zarter Flaum begann sich zu bilden, ein rußschwarzer Hauch nur. Aber, wie Kati sich glücklich sagte: es war ein Anfang. Während sie ihm sein Sonnenhütchen aufsetzte, fragte Serafina beiläufig, ob der Freund von Don Christof den heiligen Abend allein drüben verbringen oder nicht wenigstens hier essen sollte. »Ich habe Pollo Campero vorbereitet«, fügte sie halblaut hinzu, »und ein paar Salate.«
»Ja, sicher, klar«, antwortete Kati rasch, »er kann bei mir essen. Selbst wenn Dona Dolores noch einen Kontrollgang machen würde, was ich nicht glaube, gegen einen Gast zum Weihnachtsessen dürfte sie nichts einzuwenden haben.«
Pollo Campero war ein Hähnchen, das in einer würzigen Panade gebacken köstlich schmeckte. Es gehörte zu Serafinas Spezialitäten, die nun auch Achim zu schätzten lernte.
»Ihr lebt ja richtig feudal hier«, meinte er, als er etwas später herüber kam, »sogar mit Köchin. So habe ich mir das Leben als Jung-Lehrerin im Ausland nicht vorgestellt.«
»Nur kein Neid«, beschied ihn Kati heiter, »dafür muß man höllisch auf sein Geld aufpassen. Wie du siehst habe ich weder Telefon noch Fernseher.«
»Das würde mir allerdings enorm fehlen«, gestand Achim und richtete endlich einen widerstrebenden Blick auf den Kleinen, der sein Gesichtchen in Katis Haar versteckte.
»Wo hast du ihn überhaupt entdeckt?«
»In der Zeitung. Dona Dolores sucht jede Woche Adoptiveltern für einige der Kinder.«
»Mein Gott, Kati! Willst du ihn etwa behalten?«
»Wenn ich dürfte, ich täte es auf der Stelle.«
»Du bist ja verrückt!« entfuhr es Achim.
»In deinen Augen vielleicht«, entgegnete Kati kühl, »manche Leute denken anders darüber.«
»Aha. Vielleicht der Kerl aus dem Haus nebenan?«
»Christof? Keine Ahnung. Ich müßte ihn mal eingehend befragen.«
Achim schwieg eine Weile. Dann schlug er vor, ein paar Schritte spazierenzugehen.
Aber Kati hatte ihr eigenes Programm. Sie war heilfroh, als Achim verschwand, denn inzwischen war es Zeit für Miguels Weihnachtsbescherung.
Auf einer Decke sitzend sah er mit großen erstaunten Augen zu, wie sie die Lichterkette aufleuchten ließ, die sich um die Zweige des Bäumchens rankte.
Dann legte sie eine Kassette ein, die ihre Schulkinder mit deutschen Weihnachtsliedern besungen hatten, nahm Miguel auf den Arm und summte leise mit.
Er lauschte aufmerksam, ein Händchen auf ihre Wange gelegt, ernst und gesammelt. Erst bei dem fröhlichen »Kling, Glöckchen, klingelingeling« begann er auf und ab zu hüpfen.
»Lingeling!« krähte er und verstummte, verblüfft ob seiner eigenen Fähigkeit, die Laute nachzubilden.
Kati hielt vor Freude den Atem an.
Es war das erste Mal, daß er etwas wiederholte.
»Ein Kind ist unser Echo«, hatte Frau Knobel erst neulich gesagt, »es reagiert auf unser Lächeln, unsere Stimme, unsere Worte. Von allein kann es das alles nicht lernen.«
Die Weihnachtslieder klangen leise fort, während Miguel mit Katis Hilfe die großen Schleifen löste, den roten Ball über den Boden rollen ließ und den Löwen an sich preßte. Aber immer wieder hob er das Köpfchen und lauschte der Musik nach.
Wenn meine Schulkinder das wüßten! dachte Kati gerührt.
Gegen sieben Uhr legte sie Miguel zusammen mit dem Stofftier in sein Bettchen und schob es in ihr Schlafzimmer.
Als Achim etwas später erschien, hatte sie bereits die Hähnchen aufgebacken und die Salate gemischt.
Er fragte nicht nach Miguel, und sie erzählte ihm nichts.
Statt dessen mußte sie ihm gestehen, daß sie in der Eile kein Weihnachtsgeschenk für ihn besorgt hatte, und sie war erleichtert, daß auch er nur eine Handzeichnung von Battenberg für sie mitgebracht hatte, um sein Gepäck nicht zu belasten.
Sie saßen am runden Tisch im Patio, entspannt und hungrig, und ließen sich Serafinas Spezialitäten schmecken.
Eine Kerze brannte, und vom Band lief Schubert-Musik, die sie beide immer so sehr gemocht hatten.
Es hätte ein angenehmer Abend werden können, aber es sollte nicht sein.
»Katinka«, begann Achim mit eindringlicher Stimme, einen alten, fast vergessenen Kosenamen benutzend, »du bist im Begriff, den größten Fehler deines Lebens zu machen. Wenn ich dich schon nicht davon abbringen kann, so muß ich dich wenigstens darauf hinweisen.«
»Aaah ja?«
Kati kreuzte die Arme vor der Brust und lehnte sich abwartend auf ihrem Stuhl zurück.
»Hast du schon einmal in Betracht gezogen, daß der Kleine einen Schaden haben könnte?« fuhr Achim gedämpft fort. »Was ja kein Wunder wäre, nach allem, was er durchgemacht hat. Abgesehen davon kann man ja selbst bei eigenen Kindern nie sicher sein, ob sie geistig und körperlich gesund zur Welt kommen.«
»Schon gut«, unterbrach Kati hitzig, »wenn ich mich über angeborene und erworbene Schäden informieren will, leihe ich mir das entsprechende Lehrbuch aus.«
»Ich wußte ja gleich, du würdest es in den falschen Hals kriegen«, sagte Achim achselzuckend, »Tatsache ist jedoch, daß dein Wunschkind auf mich einen gestörten Eindruck macht.«
»Und du bist ja ein Experte für zehn Monate alte Babys!«
»Eben nicht! Gerade deshalb weil ich ein unbefangener, neutraler Beobachter bin, solltest du mich nicht gleich anschmettern. Wenn ich mich dazu verpflichtet fühle, mich zu diesem kritischen Punkt zu äußern – das müßte dir doch zu denken geben.«
»Wieso denn? Du hast dir noch immer und überall ein Urteil angemaßt, dafür bist du bekannt! Das ist doch nichts Neues!« Ihre Stimme klirrte.
Achim wischte ihre Worte mit einer Handbewegung weg.
»Du willst ja nur auf meine Kosten vom Thema ablenken. Aber diesmal funktioniert das nicht. Gib zu, daß du dir selbst etwas vormachst! Daß Miguel geschädigt ist! Gib zu, das ich recht habe! Gib es doch endlich einmal ehrlich zu!«
Er starre sie hypnotisch an. Die Kerze flackerte im Luftzug, als sich Kati vorbeugte und mit fester Stimme sagte: »Du hast ja überhaupt keine Ahnung! Du bewertest die Dinge anders als ich. Wenn mir ein Kind gegeben wird – von Gott, vom Schicksal – egal, auf welche Weise – dann nehme ich es so, wie es ist. Ohne Vorbehalte, ohne Bedingungen. Wenn ich mich absichern wollte gegen sämtliche Wechselfälle des Lebens – das wäre doch absurd!«
Sie brach ab, weil sie ein Geräusch zu hören glaubte. Aber aus ihrem Schlafzimmer kam kein Laut. Nur das Band war abgelaufen und die Schubert-Musik verklungen.