Ludolf Pelizaeus

Der Kolonialismus


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nur vorübergehendes Phänomen, da sich die Ausgewanderten in der Mehrzahl der Fälle integrieren, so z.B. die deutschen Auswanderer in die USA.

      3. Bei der Grenzkolonisation bewegen sich wieder ganze Gruppen, die das Hinausschieben der Siedlungsgrenze erreichen wollen. Dabei verdrängen sie meist die bäuerliche Bevölkerung. Entweder entsteht eine neue isolierte Gesellschaft, wie die Siebenbürger Sachsen, die nicht über eine am Ort bereits siedelnde Gesellschaft dominiert, oder aber es kommt zu einer Unterwerfung, wie bei der mittelalterlichen Pruzzenkolonisation des Deutschen Ritterordens im 13. Jahrhundert, bei welcher die angestammte Gesellschaft gewaltsam verdrängt wird. Es wird Kapital und Arbeit in bestimmte Zonen geführt, was besonders im 19. Jahrhundert enorme Ausmaße annahm, als die Kolonisation mit der Eisenbahn, besonders in Nord- und Südamerika, erfolgte und hier zu einer verdrängenden Kolonisation führte. Dabei kam es dann jedoch nicht mehr, wie bei den Siebenbürger Sachsen, zu eigenen Siedlungen als getrennte politische Einheiten, sondern die Siedler waren mit dem Mutterstaat unmittelbar verbunden.

      4. Die überseeische Siedlungskolonisation geht zunächst einen ähnlichen Weg wie die Grenzkolonisation, ist jedoch dort, wo die Meeresnähe eine Expansion über das Meer hinaus nahe legt, vornehmlich zu finden. Schon im Altertum betrieben Phönizier, Griechen, Karthager und Römer diese überseeische Siedlungskolonisation, die das gesamte Mittelmeer umspannte. Durch die damit gegebene Entfernung vom Gründungszentrum ergab sich aber, dass nun eigene Gemeinwesen entstanden. Dies gilt z.B. für den Beginn der europäischen Besiedelung Nordamerikas, den »Pflanzungen« (plantations), die als Gründungen versuchten, ohne Nachschub vom Mutterland zu überleben. Dafür waren sie aber darauf angewiesen, möglichst schnell genügend Ackerland zu erobern, um autark zu werden. Da man das Gebiet, in welches man kam, als »herrenlos« ansah oder sich als vorherbestimmtes Volk zur Landnahme berechtigt glaubte, wurden die einheimischen Völker verdrängt oder umgebracht, nicht aber integriert, ganz im Gegensatz zu Spanisch Amerika. Diese Vorgehensweise hatte einmal mit religiösen Auffassungen der ankommenden Sektierer zu tun, die von ihrer speziellen Auserwähltheit vor Gott überzeugt waren und daher jeder anderen Bevölkerung ein ähnliches Recht absprachen. Zudem waren aber auch wirtschaftliche Gründe hierfür verantwortlich. Denn während in Teilen Lateinamerikas, also in Mexiko und Peru in Bezug auf das Besteuerungswesen hoch entwickelte Gesellschaften angetroffen wurden, ist dies in Nordamerika nicht der Fall. Die Eroberer konnten sich also die oft nomadischen Untertanen nicht so leicht dienstbar machen, wie dies für Peru und Mexiko der Fall ist. Dies hieß auch, dass man Arbeitskräfte eher einführen musste. Zunächst die »verpflichteten Arbeiter« (indentured servants), dann die Sklaven, während man gleichzeitig die angestammte Bevölkerung ausrottete oder verdrängte. Die Konsequenz davon war, dass in Nordamerika schon im 18. Jahrhundert Gebiete entstanden waren, die fast rein europäisch waren oder doch zumindest einen hohen europäischen Anteil in dem stark durch die Sklavenhaltergesellschaft dominierten Süden Nordamerikas aufwiesen. Später gilt dies auch für Kanada, Australien und Neuseeland. Ein ähnliches Konzept wurde zunächst auch in Teilen Afrikas verfolgt, ließ sich aber nicht mehr so durchsetzten. In Algerien, Kenia, Simbabwe (Rhodesien) und Südafrika hatten viele Siedler zunächst auch von der Verdrängung der einheimischen Bevölkerung geträumt, doch brauchte man die Arbeitskräfte. Auf Sklavenhandel konnte hier auch nicht mehr zurückgegriffen werden, da diese Gebiete im 19. Jahrhundert kolonisiert wurden, als der Sklavenhandel im Abschwung stand und es ohnehin ausschließlich Handel mit Menschen vom afrikanischen Kontinent gegeben hatte.

      Solche Auswüchse hatte es jedoch vorher andernorts durchaus gegeben. Herausragendes Beispiel ist die Karibik, wo die Urbevölkerung vornehmlich durch importierte europäische Krankheiten, aber auch durch die rücksichtslose Ausbeutung vollständig ausgerottet wurde. Man importierte von Seiten der europäischen Mächte, also zunächst Spaniens, dann aber auch Englands, Frankreichs, der Niederlande und Portugals so viele Sklaven, dass hier eine rein afrikanische Bevölkerung zwangsangesiedelt wurde, die von einer sehr geringen weißen Minderheit kontrolliert wurde. Eingesetzt wurden die eingeführten Arbeitskräfte auf Plantagen, also auf den auf maximalen Profit ausgerichteten Anbaugründen für jeweils nur eine bestimmte Pflanzensorte, eine Monokultur. Damit lebten auf vielen Karibikinseln bereits Ende des 18. Jahrhunderts fast nur noch Schwarze, während in den USA insgesamt der Anteil der Schwarzen nur etwa 22 %, in den südlichen Staaten aber auch nicht mehr als ca. 40 % betrug.

      5. Eroberungskriege: Es wurden umfangreiche Kriege geführt, neue Zentren gebildet und die alten möglicherweise aufgegeben. Dabei wurden bestehende Institutionen unterworfen und in der Folge derart umgewandelt, dass sie sich in das System des Eroberers einfügen ließen. Nicht selten hielten die Europäer anfangs am vorhandenen System so lange fest, wie sie es voll ausschöpfen konnten, bis man die entsprechend angepassten Gebiete voll zur Ausbeutung unter Kontrolle gebracht hatte.

      6. Die letzte Form ist die der Stützpunktvernetzung. Kleine nicht am Land zusammen hängende Handelspunkte, die gleich den Perlen an der Küste Afrikas Handel und Schiffsrouten sichern sollten.

      Die Definitionen der Kolonie sind vielfältig. Ich schließe mich derjenigen von Jürgen Osterhammel im Kern an und variiere sie zu folgendem Passus:

      Eine Kolonie ist ein durch Invasion, also durch Eroberung und/oder Siedlungskolonisation, in Anknüpfung an ältere Bindungen neu geschaffenes politisches Gebilde, dessen landfremde Herrschaftsträger dieses in einer dauerhaften Abhängigkeit zu einem räumlich entfernten Mutterland oder imperialen Zentrum erhalten, welches exklusive Besitzansprüche auf das Gebiet erhebt.

      Daraus ergibt sich, auch hier wieder weitgehend Osterhammel folgend, eine Reihe von Typen:

      Beherrschungskolonien

       Integrationskolonien

       Siedlungskolonien

       Stützpunktkolonien

      1. Beherrschungskolonien: Sie entstehen in der Mehrzahl der Fälle als das Endergebnis militärischer Eroberung, wenngleich vielfach ein nicht landnehmender Kontakt diesem Überfall vorangeht. Durch die komplette Übernahme erfolgt die vollständige Eingliederung, die damit wieder die umfassende wirtschaftliche Ausbeutung möglich macht. Neben diesen wirtschaftlichen Faktoren spielt aber auch der durch den Erwerb erreichte Prestigegewinn eine Rolle.

      Beherrscht wird der Apparat der Kolonie durch aus dem Mutterland entsandte Kolonialbeamte und Militärs, nicht aber durch Siedler. Die Regierung ist autokratisch und erfolgt allein durch das Mutterland, welches Gouverneure im unterworfenen Gebiet einsetzt. Beispiele: Britisch Indien, Indochina (frz.), Togo (dt.) Taiwan (jap.) oder die Philippinen (USA).

      2. Integrationskolonien: Sie entstehen ebenfalls durch Eroberung und verbinden Aspekte der Siedlungs- und Beherrschungskolonie. Auf der einen Seite erfolgt die formale Rechtsgleichstellung der Einwohner mit dem Mutterland, begleitet von einem hohen Maß an lokaler Autonomie. Die Schlüsselstellungen werden aber allein von mutterländischen Kolonialbeamten eingenommen, die dabei von einer als Regierungsinstitution anerkannten Siedlerschicht unterstützt werden. Es erfolgte eine umfassende Besiedlung aus Europa. Beispiele: die spanischen Kolonien in Lateinamerika.

      3. Stützpunktkolonien: Ihre Gründung erfolgt durch Flottenexpedition, welche in Gestalt von Handelsstützpunkten die kommerzielle Erschließung des Landes zur Aufgabe hat. Aus dieser ersten Form entwickeln sich dann Stützpunktkolonien, die vornehmlich der Machtentfaltung und der Kontrolle dienen. Beispiele: die holländischen und portugiesischen Stützpunktkolonien in Afrika und Asien.

      4. Siedlungskolonien: Durch eine von militärischer Macht begleitete Landung von Siedlern kommt es zu deren permanenten Siedlung im überseeischen Gebiet. Das Land wird mit den indigenen Arbeitskräften oder unter deren Verdrängung genutzt. Daraus erwächst die Konsequenz, dass man die Lebensformen des Mutterlandes fast unverändert beibehält, wenngleich die neue Siedlerschicht nicht so zahlreich ist. Diese weißen Siedler übernehmen schnell in Selbstregierung die Macht.

      Dabei gibt es jedoch Unterschiede:

      1. amerikanischer Typ: Verdrängung oder Vernichtung der als unnötig angesehenen Urbevölkerung (engl. Neuenglandkolonien, Kanada, Australien, Neuseeland, Chile).

      2. afrikanischer Typ: Ökonomische Abhängigkeit von der einheimischen Arbeitskraft, so Algerien, Südrhodesien,