Norbert Wolf

Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit


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topographisches Porträt. Der Wiederbeginn der europäischen Landschaftsmalerei in Siena. Bern 1980; Kempers, Bram: Gesetz und Kunst. Ambrogio Lorenzettis Fresken im Palazzo Pubblico in Siena. In: Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit. Hrsg. von Hans Belting und Dieter Blume. München 1989, S. 71–84

      JEAN PUCELLE

      (tätig ab 1319 in Paris, † 1334 [?])

      Zum weitaus bedeutendsten Zentrum der abendländischen Buchmalerei des 14. Jahrhunderts avancierte Paris. Noch das bescheidendste Atelier dort quoll über von Talenten, die die Wünsche einer anspruchsvollen Klientel zu erfüllen imstande waren. Insbesondere der Hof verlangte nach höchsten Qualitätsstandards. Er wurde zum Magneten für die herausragenden künstlerischen Kräfte.

      Der mit Abstand wichtigste Buchmaler jener Zeit (fraglich, ob er auch noch als Goldschmied, Tafelmaler, Elfenbeinschnitzer tätig war) hieß Jean Pucelle. Von diesem Genie stammten unter anderem das Belleville-Brevier (1323–1326; Paris, Bibliothèque Nationale, ms. lat. 10483–84) und, zumindest nach Ansicht der maßgeblichen Forscher, das 1324–1328 illuminierte Stundenbuch der Jeanne d’Evreux (New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters, Acc. No. 54.1.2).14

      Während Giotto als Erfinder der Grisailletechnik (einer Grau-in-Grau-Malerei, meist unter Einbeziehung einiger bunter Partien) gilt, hat sie Pucelle als erster auf die Pergamentseiten der Bücher übertragen – sofern das Evreux-Stundenbuch wirklich von ihm stammt, ein Codex, der mit Hilfe eben jenes weitgehend monochromen Verfahrens illuminiert ist.

      »Enluminure« – die Kunst, die die Seiten eines Buches zum Strahlen, zum Glänzen bringt: Pucelle beweist im Stundenbuch der Jeanne d’Evreux, dass einem großen Künstler zu wahrhaft staunenswerten Effekten der Illumination nicht immer Gold und bunte Farben nötig waren, dass er auch mit Hilfe der durch sparsame, aber überlegte Farbakzente bereicherten Grisaille imstande war, einen faszinierenden Bilderkosmos zu kreieren; und er demonstrierte das sogar auf kleinstem Format (9 × 6 cm!), in Mikrostrukturen, die das Gezeigte über seine sonstige Bedeutung hinaus in den Rang eines Bravourstücks erheben.

      Neben dieser maltechnischen Leistung trägt noch ein zweites Moment dazu bei, besagte Handschrift zu einem Chef d’Œuvre ihres Jahrhunderts zu erheben: nämlich der Erfindungsreichtum, die »fantasy« des figürlich-phantastischen Randschmucks, der sogenannten Drolerien.

      Bei der Mehrzahl der menschlichen und skurrilen Wesen, der Zwittergestalten und extravaganten Monstrositäten hat der Künstler die Physiognomie besonders betont und sich weiterhin der Wiedergabe komplexer Draperiemotive gewidmet. Ein deutlicher Anhaltspunkt, dass Pucelle stets seine Spielereien und Phantastereien im aktuellsten künstlerischen Vokabular vorzutragen suchte, dem des Trecento-Naturalismus. Es ist diese Formensprache, die die Besitzerin des Stundenbuchs, Jeanne d’Evreux, Königin von Frankreich, unterhalten, delektieren sollte, die, mit den Worten des Mittelalters, ihre »voluptas oculorum«, ihre »Augenlust« und damit auch ihren Sachverstand auf dem Feld ästhetischer Raffinesse befriedigen wollte. Das typische Exklusivanliegen damaliger Hofkunst!

      Seit Pucelle fungierten Pariser Buchmalerei-Werkstätten als Drehkreuz künstlerischer Strömungen, als Ort der Harmonisierung heimischer und fremder Stilrichtungen. Die Synthese scheinbar kontroverser Elemente gedieh zum Hauptgenerator der internationalen Gotik. Pucelle nahm dabei einen enorm wichtigen Part ein – und das untermauert ein weiteres Mal seine kunsthistorische Ausnahmeposition. Dies sei kurz skizziert:

      An der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert wurden bekanntlich in Italien die Fundamente eines neuen Welt- und Kulturverständnisses gelegt. Antiquarische Gelehrsamkeit, Belletristik sowie eine Pädagogik, die sich der praktischen Philosophie in Ethik, Politik und Ökonomie zuwandte, mündeten in intensive Naturbeobachtung, in eine bislang ungewohnte Freude an der sichtbaren Welt. Auf dem Schauplatz der bildenden Künste markiert den Epochenwandel am deutlichsten die Malerei. Federführend in der Summe der Neuerungen war zunächst die Wand- und Tafelmalerei. Selbst dort, wo die Bilder traditionelle, aus dem mittelalterlichen Denken überkommene Inhalte weitertransportierten, verliehen sie diesen eine radikal veränderte Physiognomie. Der geniale Bahnbrecher hieß Giotto.

      Mit der italienischen Malerei um 1300 beginnt ferner ein neues Kapitel in der Geschichte des Erzählens in Bildern. Geschichten werden komponiert, die mit Hilfe von Haupt- und Nebenhandlungen, von Räumen, die zugleich Zeiträume sind, über die Rahmengrenzen hinaus gedanklich fortsetzbar erscheinen, die also auch an die Phantasie des Betrachters appelieren. Im Verlauf des Trecento reichern sich diese Raum- und Erzählstrukturen immer weiter an.

      Die Sieneser Maler jenes Säkulums verhalten sich in ihrer Raumbildung sogar noch flexibler und im narrativen Detail erfindungsreicher als die Florentiner. In Siena brachte als erster Duccio di Buoninsegna das Erbe byzantinischer Malerei in eine veränderte Zeit ein und durchsetzte es mit gotischem, linienbetontem Formempfinden, mit kalligraphischer Raffinesse. Dank solcher Stilmittel, mit Hilfe einer sehr frei gehandhabten, gleichermaßen graphischen wie malerischen Sprache pointierte er das in Siena noch lange gültig bleibende Anliegen, religiöse Feierlichkeit und gefühlsbetonte lyrische Stimmung als Grundtenor der Bildproduktion zu lancieren; eine Haltung, die die Sieneser Schule für die Buchmaler nördlich der Alpen offenbar besonders attraktiv machte.

      Von Avignon aus, dem damaligen Sitz des Papsttums, wirkte die elegante Malerei der Sienesen mit ihren kräftigen und delikaten Farben auf den Pariser, den künstlerisch verwöhntesten Hof des damaligen Europa. Und hier griff Jean Pucelle begierig all jene Innovationen auf und adaptierte sie kongenial seinen Absichten; ein Vermittler, wie man ihn sich effizienter nicht vorstellen kann.

      14 Das Stundenbuch der Jeanne d’Evreux. Kommentarband der Faksimile-Ausgabe. Mit Beiträgen von Barbara Drake Boehm, Abigail Quandt und William D. Wixom. Luzern 2000

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