Norbert Wolf

Die bedeutendsten Maler der Alten Zeit


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hinweg engagierten ihn geistliche Würdenträger in Rom, weltliche Herrscher in Neapel, Rimini, Mailand, die Franziskaner in Assisi (jetzt für Fresken der Unterkirche), reiche Kaufleute für ihre Kapellen in S. Croce in Florenz. Zuguterletzt ernannten die Florentiner Stadtherren den renommierten Mitbürger im Frühjahr 1334 zum Leiter des städtischen Bauwesens; dessen Aufgabe war es auch, den Campanile des Doms und seine Bauplastik zu realisieren.

      Viele Werke sind verlorengegangen, viele haben Gehilfen oder Schüler vollendet. Von Giotto selbst stammt das herrliche Tafelkreuz in S. Maria Novella in Florenz (1290er Jahre) und das beeindruckende Altarbild der Ognissanti-Madonna um 1310 (Florenz, Uffizien).11

      Was aber macht die schöpferische Leistung Giottos aus?

      Empirische Wahrnehmung und deren illusionistische Wiedergabe, im Verein mit einer nach wie vor feierlich-spirituellen Grundhaltung, das war das Vorzeichen seiner Kunst! Die artifizielle Präsentation glich ihre visuellen Daten immer mehr der realen Räumlichkeit und Körperlichkeit an. Erstmals seit der Antike transformierte Giotto Figuren, Architekturen, Landschaften, kurz: die Bildräume und -elemente zu überzeugenden Schauplätzen und Handlungsbühnen, erstmals widmete er sich wieder der Aufgabe, das menschliche Gesicht nach Lebensspuren und Gefühlsregungen, also porträtähnlich und als psychologisch erfassbare Einheit zu sondieren. Er als erster, so scheint es, hat wieder Grisaillen gemalt, deren Grauin-Grau Skulpturen vortäuschen und folglich die Illusionskraft der Malerei beweisen sollte.

      Zugleich verstand es Giotto, seine neuartig selbstbestimmten Gestalten einer noch nie dagewesenen Bildautonomie zu integrieren; die Details zeichnen sich nicht mehr wie Chiffren einer transzendenten Existenz vor dem Hintergrund ab, sondern stehen mit der rhythmischen Aufteilung der Flächen zueinander und mit der Gesamtkomposition in Beziehung. Die daraus resultierende Ordnung wird wiederum für die Logik der Handlung nutzbar gemacht. Dass jedes Bild eine eigengesetzliche Einheit formiert – das ist das Zukunftsweisende von Giottos Malerei. Sinngemäß äußerte 1908 Henri Matisse, einer der Hauptbegründer des modernen Bildes im 20. Jahrhundert: »Wenn ich die Fresken Giottos in Padua sehe, kümmere ich mich nicht darum, welche Szene aus dem Leben Christi ich vor Augen habe, aber ich erfasse sofort die Stimmung, […] denn sie liegt in den Linien, in der Komposition, in der Farbe.«12 Die Autonomie des Bildes, unanhängig vom Sujet, dieses große Ziel der klassischen Moderne hätte demnach ihre Wurzel in der Kunst Giottos. Zweifellos ist eine solche Aussage über-pointiert – dass Giotto ein Revolutionär war, einer der kühnsten, den die abendländische Kunstgeschichte vorzuweisen hat, das freilich steht fest.

      9 XI. Gesang des Purgatorio

      10 Einen gedrängten Überblick über Giottos Leben und Werk und damit auch über die vielen offenen Fragen gibt Norbert Wolf: Giotto di Bondone 1267–1337. Die Erneuerung der Malerei. Köln usw. 2006; die Fresken behandelt Joachim Poeschke: Wandmalerei der Giottozeit in Italien 1280–1400. München 2003

      11 Giottos Tafelmalerei beleuchtet auf neuestem Stand der Sammelband: Giotto. The Santa Maria Novella Crucifix. Hrsg. von Marco Ciatti und Max Seidel. Florenz 2002

      12 Zitiert bei Poeschke, Joachim, op. cit., S. 16; s. Anm. 10

      AMBROGIO LORENZETTI

      (* Siena um 1290, † ebenda [?] um 1348)

      Viele Maler hat die Kunstgeschichte aufgrund der Qualität eines umfangreichen Gesamtwerkes in ihre Ruhmeshallen aufgenommen, andere wiederum wegen eines einzigen Geniestreiches. Zu letzteren zählt Ambrogio Lorenzetti.

      Sicher, es existiert eine ganze Reihe von Werken aus seiner Hand, die Ambrogio einen führenden Part im Orchester der Trecentomaler zuweisen. Bereits sein erstes bekanntes Werk, die 1319 datierte Tafel einer Madonna mit Kind (Florenz, Museo Arcivescovile di Castello), die er für die Pfarrkirche S. Angelo in Vico l’Abate bei Florenz gemalt hat, erweist sein sensibles und gleichzeitig gelöstes malerisches Temperament. Seine um 1332 geschaffenen Szenen mit Legenden aus dem Leben und Wirken des heiligen Nikolaus von Bari, einst bestimmt für ein Altarretabel der Kirche San Procolo in Florenz, heute in den Uffizien, arrangieren geschickt die einzelnen Episoden zu einer Sequenz, die, angefüllt mit eindringlichen Naturbeobachtungen, narrativ und festlich zugleich erscheinen.

      Die relativ große Anzahl der Werke, die Ambrogio für Auftraggeber aus Florenz oder des zugehörigen Umlandes anfertigte, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sich der Künstler mindestens zweimal, das heißt 1327 und 1332, in der Stadt am Arno aufgehalten hat. Dort muss ihm auch die überwältigende Kunst Giottos auf Schritt und Tritt vor Augen gestanden haben – jedenfalls verarbeitete er etliches aus dem Repertoire dieses genialen Meisters ausgiebig und souverän in seinen eigenen Arbeiten. Insbesondere dessen Erschließung räumlicher Projektionen muss ihm imponiert haben. Auf der Basis derartiger Studien avancierte Ambrogio Lorenzetti zum sicherlich modernsten Könner des 14. Jahrhunderts auf dem Gebiet tiefenräumlicher Illusion.

      Dennoch ist es verfehlt, wie gelegentlich geschehen, die Gestaltung des Bildraumes in den Temperabildern der Verkündigung, 1342 (Florenz, Galleria degli Uffizi) sowie der rund zwei Jahre später vollendeten Geburt Mariens (Siena, Museo dell’ Opera del Duomo) als mathematisch fundierte Perspektive zu beschreiben. Denn die Fluchtlinien treffen sich keineswegs in einem einzigen Punkt, und ebenso wenig sind die Tiefenabstände der Transversalen exakt verkürzt. Dennoch handelt es sich bei beiden Beispielen um eine auf empirischem Wege gefundene erstaunliche Annäherung an das Raumsystem der Frührenaissance.

      Allerdings hätten all diese Demonstrationen überdurchschnittlichen Könnens in der Fortuna critica der Kunstwissenschaft nicht ausgereicht, ihn zu einer Zelebrität zu machen. Selbstverständlich gehört er in die erste Garde der auf Giotto folgenden Trecentomalerei, aber darin unterscheidet er sich nicht von seinem Bruder Pietro Lorenzetti, nicht von Simone Martini, nicht von dem bedeutenden Giotto-Schüler Taddeo Gaddi oder so manchem sonstigen Kollegen seiner Generation.

      Es hat einen ganz anderen Grund, warum Ambrogio zur absoluten Berühmtheit in der Kunstgeschichte aufstieg, und der liegt in seiner inaugurativen Leistung für die Gattung der Landschaftsmalerei!

      Um dies besser zu verstehen, ist ein kleiner historischer Exkurs notwendig.

      Siena konkurrierte im 13. und 14. Jahrhundert vor allem mit Florenz und wollte diesen Machtanspruch in repräsentativen Bildern dokumentieren. Die geplanten Malereien im Palazzo Pubblico sollten in ihrer Summe ein Bild des sienesischen Herrschaftsgebietes abgeben. Zu diesem Zweck wurden mehrere zu Beginn des 14. Jahrhunderts von Siena eroberte Kastelle an den Wänden des großen Ratssaales dargestellt.

      Von Simone Martini stammt beispielsweise das Fresko von 1328 mit der Eroberung des Kastells von Montemassi durch den Feldherrn Guido Riccio da Folignano. Simones im Ansatz bereits vorhandenen Neuerungen bei der Ausformung eines zu einem naturalistisch einheitlichen Seheindruck zusammengeschweißten Landschaftshintergrund hat dann Ambrogio Lorenzetti in seiner 1338/40 entstandenen monumentalen Freskenfolge aufgegriffen und dramatisch weitergeführt. In einem Raum neben dem großen Ratssaal des Palazzo Pubblico sollte die Gute Regierung der Republik Siena verherrlicht werden – in Form einer universalen Allegorie13.

      Das Bild auf der Ostwand mit den Auswirkungen der besagten guten Regierung auf Stadt und Land (als Kontrastprogramm zum gleichfalls visualisierten schlechten Regiment) zeigt links im Rahmen einer beeindruckenden Vedute und mit vielen genrehaften Elementen angereichert das Innenleben der Stadt Siena und leitet nach rechts hin das Auge über das abwechslungsreiche und durchaus schon malerisch gesehene Umland. Ambrogios Ziel, den Stadtstaat Siena auf einer riesigen Wandfläche von vierzehn Metern Länge wiederzugeben, bedient sich einer panoramaartigen Überschau, ungefähr vom Turm des Palazzo Pubblico aus aufgenommen in einem Blickwinkel von fast 300 Grad – eine wahrhaft zukunftsweisende Leistung landschaftlicher Über- und Zusammenschau.

      Ambrogio Lorenzetti hat noch eine große Weltkarte gemalt (seit dem 18. Jahrhundert verschwunden): Eine drehbare Scheibe, auf der offenbar alle damals bekannten Erdregionen abgebildet und zugleich Italien und der sienesische Stadtstaat hervorgehoben waren. Mit der Anbringung einer solchen Weltkarte eignete sich die bürgerliche Kommune ein