diesem Hintergrund wandten sich die Künste vom klassisch-harmonischen Stilideal der Hochrenaissance ab, von den klar definierten, übersichtlich begrenzten Räumen und ausgewogenen figuralen Haltungen. Eine überstürzte Perspektivik, gewaltige Raumfluchten in den Schlössern, Grenzüberschreitungen, komplizierte Körperwendungen, gezierte Attitüden, überlängte Gestalten, eine intellektuell ausgeklügelte Bildsprache, die Vorliebe für Ekstatisches, Monströses, eine zum Teil drastische Sexualität drängten in den Vordergrund.
Michelangelo, der einzige, der von dem klassischen Dreigestirn, zu dem Raffael und Leonardo gehört hatten, übrig war, trug Wesentliches zu diesem manieristischen Stil bei. Florenz übernahm wieder eine wichtige Rolle neben Rom und Mantua. Von Italien aus verbreitete sich der Manierismus über ganz Europa, zuerst erreichte er Frankreich mit der »Schule von Fontainebleau«, gegen Ende des Jahrhunderts kulminierte er am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag. Aber auch der Münchner Hof, das Augsburg der Fugger und norddeutsche Residenzen, die Kunst- und Wunderkammern der Aristokratie und humanistischer Sammler, oder die Niederlande mit dem »Romanismus« und der Familie Bruegel, das Spanien Philips II. wurden zu herausragenden Spielräumen dieses Stils.
BAROCK (UM 1600–1730/50)
Die Wiege des Barock stand zweifellos in Rom, wo vor allem die Architektur schon in der Hochrenaissance mit starker Bewegtheit der Grund- und Aufrissgestaltung, der Unterordnung der Einzelelemente unter das Ganze, der Betonung von Kraft und Spannung, der malerischen Disposition der Innenräume usw. vorgearbeitet hatte. Mit Carlo Maderna beginnt die kraftvolle Gliederung der Kirchenfassade (Fassade von S. Susanna, 1596–1603; Fassade der Peterskirche, 1612 vollendet). Ihren Höhepunkt erreichte die römische Barockarchitektur, die die Gebäudefronten von den Ecken her zur Mitte und nach oben hin staffelte und sie wie die gesamten Baukörper in optische »Bewegung« versetzte, zwischen 1630 und 1670, mit den herausragenden Namen Gianlorenzo Bernini, Francesco Borromini und Pietro da Cortona. So unterschiedlich die Formensprache dieser drei Hauptmeister im Einzelnen ist, so vereint sie sich doch in dem Grundanliegen, theatralische Lichteffekte und eine bislang unbekannte Synthese von Dekor und Architektur einzuführen. Bei allem Überschwang sind solche Bauten, wie alle großen Architekturen des Barock, keinesfalls irrational, sondern mathematisch fundiert, verstehen sich als Abbild des Kosmos mit seinen unaufhörlichen Bewegungen.
Die Architektur in Frankreich und im protestantischen Nordeuropa ist im Vergleich zu der Italiens stereometrisch präziser, sie verzichtet zumeist auf kurvierte Grundrisse. Zu den Vorbildern dieser als »Barockklassik« bezeichneten Version zählten insbesondere die klassische Antike, die italienische Hochrenaissance und das Vokabular Andrea Palladios. Typisch für Frankreich ist unter anderem das Entstehen monumentaler Schlösser mit streng regulierten Parkanlagen (Vaux-le-Vicomte, 1656 ff.), die natürlich im Schloss von Versailles (1661 ff.) ihren Höhepunkt fanden. Dass Christopher Wren mit der Saint Paul’s Cathedral in London (1675 ff.) eine Synthese aus französischer Klassik, einem gemäßigten römischen Barock, niederländischen und heimischen Einflüssen anstrebte, erweist das breite Spektrum, dessen sich die englische Barockarchitektur bediente. Im deutschsprachigen Raum setzte in den katholischen Regionen nach 1660/70 ein regelrechter Baumboom bei den Klöstern ein. Etwa zehn Jahre später, mit dem sog. Spätbarock, zogen die Höfe nach und orientierten sich vor allem am monumentalen römischen Barock. In Österreich waren die überragenden Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach und Lucas von Hildebrandt am Werk, in Böhmen die (auch in Franken tätigen) Baumeister der Familie Dientzenhofer (die sich durch besonders komplizierte Wölbungsformen hervortaten), in Würzburg und bei großen Schloss-und Kirchenbauten auch andernorts Balthasar Neumann, in Berlin Andreas Schlüter, in Dresden Matthäus Daniel Pöppelmann, in Bayern die Gebrüder Asam (Klosterkirche Weltenburg, um 1716 ff.) usw.
Auch die Bildhauerkunst des Barock, die sich oft durch ekstatische Dynamik, malerische Oberflächenbehandlung und durch ihre Einbindung in ein Spiel aus Licht und Schatten auszeichnet, hat ihre Wurzeln in Rom. Und auch hier ist an erster Stelle wieder Bernini zu nennen, der zum Inbegriff für Barockskulptur wurde und beispielsweise mit seinem »Vierströmebrunnen« auf der Piazza Navona auch beispielhaft jene Aufgabe bewältigte, die im Barock so wichtig wurde: die Brunnenanlage, sei sie im Schlosspark, sei sie an urbanen Kreuzungspunkten, Plätzen usw. Frankreich kannte zwei kardinale Strömungen der Barockskulptur. Die eine, mit ihrem Hauptrepräsentanten Pierre Puget, berief sich auf den römischen Barock, die andere, versammelt am Hof in Versailles, bevorzugte eine klassizierende Richtung. Die Plastik im Heiligen Römischen Reich erlebte nach der Blütezeit des Bronzegusses um 1600 in Augsburg, München und Prag mit dem Dreißigjährigen Krieg eine schlimme Zäsur. Erst um 1700 gaben ihr Andreas Schlüter, Balthasar Permoser und Georg Raphael Donner wieder internationales Gewicht, ehe Egid Quirin Asam, Joseph Anton Feuchtmayer, Johann Baptist Zimmermann und andere in Süddeutschland den Weg zum Rokoko ebneten.
Die Suche nach den Anfängen der Barockmalerei führt erneut nach Rom. Nach dem Konzil von Trient hatte das Papsttum wieder an Macht und Glanz gewonnen, sein propagandistischer »Stoßtrupp«, die Jesuiten, nutzten vehement auch die Kunst für die Zwecke eines expansiven Katholizismus. In den Jahrzehnten um 1600 hielten sich nahezu alle bedeutenden italienischen und ausländischen Künstler in Rom auf. Neben der immens folgenreichen realistischen Helldunkel-Malerei Caravaggios begegnet uns gleichzeitig die klassisch-akademische Richtung der Gebrüder Carracci. Mit Pietro da Cortonas riesigem Deckenfresko im Palazzo Barberini begann ein Illusionismus der Wandmalerei, der sich über die Fresken eines Andrea Pozzo bis zu Giovanni Battista Tiepolo ständig steigern sollte. Peter Paul Rubens, der Hauptmeister der flämischen Barockmalerei, gestaltete in überwältigender malerischer Kultur gleichermaßen den Wirklichkeitssinn und den Einbruch des Wunders in die diesseitige Welt. Sein bedeutendster Schüler wurde Anthonis van Dyck, der diesen malerischen Stil nach England verpflanzte. Bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert hatten sich in den nördlichen Niederlanden Bildgattungen wie das Stillleben, das Genrebild, die Vedute verselbständigt. Diese Tendenz griff dann die dortige Barockmalerei auf und intensivierte sie. Unzählige Namen, darunter so herausragende Künstler wie Jan Vermeer oder Frans Hals, ließen sich nennen. Sie alle aber übertrifft in Holland ein Rembrandt, der gleicherweise als Maler, Zeichner und Radierer tätig war und diese Techniken zu einsamer Höhe führte. Vergleichbar stellte auch Diego Velázquez in Spanien alle seine Kollegen in den Schatten, so viele bedeutende Künstler es damals im »Siglo de Oro«, im »Goldenen Zeitalter« des Barock, auch im Lande gab. Die überragenden französischen Maler des Barock arbeiteten nicht in Paris oder Versailles, sondern in Rom: Nicolas Poussin und Claude Lorrain. Nach vielversprechenden Anfängen vor dem Dreißigjährigen Krieg, mit Adam Elsheimer und Johann Liss, trat die deutsche Malerei erst wieder mit dem Spätbarock, dann freilich mit wunderbaren Werken hervor.
ROKOKO (UM 1720/30–UM 1780)
Als Dekorationsstil des Stadtadels, der sich vom Repräsentativen zum verfeinerten Lebensstil des Intimen hinwandte, entstand das Rokoko zwischen 1720 und 1730 in Paris, und zwar in Reaktion auf die Staatskunst Ludwigs XIV. (»Louisquatorze«) und im Anschluss an das »Régence« (zu Letzterem gehört der wunderbare Maler Antoine Watteau).
Namengebend für das Rokoko wurde als Leitmotiv die Rocaille, eine schnörkelhafte, muschelförmige Ornamentform, die in ihre asymmetrische Struktur gerne »Bildinseln« aufnahm. Die solcherart dekorierten Wände scheinen durch gekurvte Grundrisse in Schwingung versetzt, die Räume durch große Fenster und Spiegel optisch erweitert, zierliche Möbel, Porzellan, fein gemusterte Textilien, vergoldete Bronzen, Kristallleuchter usw. fügen sich zu einem hochkultivierten Gesamteindruck. Als ein weiteres typisches Indiz für diesen dem Leichten, Duftigen, häufig auch dem Lasziven, unterschwellig aber auch dem »Brüchigen«, Vergänglichen geneigten Stil darf man die fragile Technik der Pastellmalerei nennen, die etwa von der Italienerin Rosalba Carriera zu höchster Eleganz verfeinert und auch von dem bemerkenswerten Jean-Baptiste-Siméon Chardin am Ende seines Schaffens, mit dem er bereits zur Kunst der Aufklärung überleitet, aufgegriffen wurde. Nach Deutschland gelangte das Rokoko durch den in Frankreich geschulten, am Münchner Hof tätigen Architekten und Dekorateur François de Cuvilliés d. Ä. Insbesondere in Süddeutschland und Österreich drang das Rokoko aber auch in den Sakralraum ein und führte hier in allen Kunstgattungen