ihre Handlungen in einer Weise, die wir nicht mehr berechnen können. Es erweckt Mitleid, wenn der greise Severus nach seinen letzten Siegen in Britannien unruhig und zornig wird, weil ihm ein Mohr mit einem Zypressenkranz begegnet, oder weil man ihn zum Opfer in den unrechten Tempel führt und dunkelfarbige Opfertiere herbeibringt, die dem Kaiser dann bis in sein Quartier nachlaufen.
Es bedurfte aber der Omina im Palast zu York nicht mehr; der eigne Sohn, Caracalla, stand ihm beharrlich und fast offen nach dem Leben. Mit bewusster, prinzipieller Erbarmungslosigkeit hatte Sever jeden Gedanken an Usurpation darniedergehalten; nur auf den Hochverrat des Thronfolgers war nicht gerechnet, und auch darauf nicht, dass seine Garden sich so ungescheut mit demselben einlassen würden. Es lautet wie eine schmerzliche Wahrung seines Herrscherprinzips, wenn er dem entmenschten Sohn zuflüstert: »Töte mich wenigstens nicht so, dass es alle sehen!«12. – Ein anderes Wort scheint er öfter wiederholt zu haben: »Alles war ich, und es hilft doch nichts.«
Und nun bestieg das entsetzliche Scheusal, das man Caracalla zu nennen pflegt, den Kaiserthron (211– 217). Seit seinem Eintritt in das Jünglingsalter zeigte er einen bösartigen Hochmut; er rühmte sich Alexanders d. Gr. als seines Vorbildes und lobte dabei Tiberius und Sulla. Erst später, vielleicht seit der Ermordung seines Bruders Geta, kommt noch der eigentliche Kaiserwahnsinn hinzu, der Mittel und Macht des ganzen Reiches zu seinem eigenen sichern Untergang missbraucht. Seine einzige Vorsichtsmassregel, die er für genügend hielt, war die Kameradschaft mit den Soldaten, deren Anstrengungen und Lebensart er wenigstens zeitweise teilte; dass er es mit Fechtern und Wagenlenkern ebenso hielt, machte ihn überdies beim römischen Pöbel beliebt; den Bessern und Gebildeten aber brauchte er ja nicht mehr zu gefallen. – Seit dem Brudermorde, wozu die Soldaten anfangs finster blickten, ist Caracalla an diese Schmeichelei nach unten gänzlich verkauft; um der Soldaten willen bedarf er ungeheurer Konfiskationen und tötet 20 000 Menschen als Anhänger Getas, – darunter auch einen Sohn des Pertinax, während es sonst einer der bessern Züge des römischen Usurpationswesens ist, dass man die Verwandten gestürzter Kaiser meist am Leben liess. Um der Soldaten willen macht Caracalla jenen Feldzug im eigenen, völlig ruhigen Reiche, während er die Angriffe der Nachbarn abkauft. Der Massenmord von Alexandrien zeigte, wie sich der Despotismus gegen geistreiche Spöttereien zu verhalten gedenke. Die eigentliche Strafe solcher Missetaten lag (abgesehen von den Gewissensqualen, deren die Schriftsteller erwähnen) in dem wachsenden Misstrauen des Tyrannen gegen die bevorzugten Soldaten selbst; er verliess sich zuletzt, was seine engere Umgebung betraf, nur noch auf ganz barbarische Leibwachen, die nichts von römischen Dingen beurteilen konnten, auf Kelten und Sarmaten, deren Kostüm er trug, um sie sich geneigt zu halten. Den Gesandten solcher Völker pflegte er13 zu sagen: wenn er etwa ermordet würde, möchten sie in Italien einfallen; Rom sei leicht zu nehmen. Und doch wurde er, man kann sagen, in der Mitte dieser Wachen niedergemacht, auf Veranstaltung solcher, die ihn aus der Welt schaffen mussten, um nicht selber durch ihn zu fallen.
Die nächsten Kaiserernennungen mussten ganz in den Händen der übermächtigen Armee liegen. Sie erhob zuerst den einen der beiden Gardepräfekten, Macrinus, ohne zu wissen, dass dieser den Mord ihres geliebten Caracalla angestiftet. Er nahm dessen Namen an und liess ihn prächtig begraben, um jeden Verdacht von sich abzulenken; den Senat begrüsste er mit verdeckter Unverschämtheit um seine Bestätigung und erhielt nicht ohne Zögerung die einzelnen Titel der Kaisermacht. Die ersten strengen Schritte zur Zügelung des verwöhnten Heeres brachten ihm jedoch den Untergang. Zwei junge Syrer, Seitenverwandte der Antonine und des Sever, traten auf einmal an die Spitze des Reiches; es waren die ungleichen Vettern Elagabal und Alexander Severus nebst ihren Müttern Soaemias und Mammaea und ihrer gemeinsamen Grossmutter Iulia Maesa.
Die Regierung Elagabals (218–222) ist bei allem Ekelhaften und Widersinnigen nicht ohne Interesse für die Geschichte römischer Herrschaft; diese unglaubliche Schwelgerei, dieser asiatische Götzenpomp, dieses ganz besinnungslose Leben in den Tag hinein bildet eine förmliche Reaktion gegen das bewusste Soldatenkaisertum des Sept. Severus. Dass Elagabal allen römischen Formen den Krieg erklärte, seine Mutter und Grossmutter in den Senat einführte, Tänzern, Wettrennern und Barbieren die höchsten Stellen gab und zahllose Ämter verkaufte, dies alles hätte ihn nicht gestürzt; selbst die nachlässige Verproviantierung der Hauptstadt wäre ihm vielleicht lange nachgesehen worden; sein Verderben war das in den Soldaten erwachte Schamgefühl, welchem eine Verschwörung in der Familie selbst zugunsten des Alexander entgegenkam. Die Soldaten wissen den letztern bedroht und erzwingen von dem zitternden Elagabal eine Säuberung seines Hofstaates; darauf hält er sich schadlos, indem er den Senat aus der Stadt jagt, was demselben alle Ehre macht und darauf hindeutet, dass die Versammlung durchaus nicht aus lauter »Sklaven in der Toga« bestand, wie Elagabal sonst meinte. Endlich ermorden den letztern die Garden und erheben den Alexander Severus.
Keiner von den vielen Imperatoren erregt so sehr die Teilnahme der Nachwelt wie dieser im Verhältnis zu seiner Gesamtumgebung unbegreifliche Mensch, ein wahrer Sanct Ludwig des Altertums. Er geht unter an dem Bestreben, von den ausgearteten Missformen des Militärdespotismus aus wieder in die Bahn der Gerechtigkeit und der Milde einzulenken. Seiner jedenfalls ausgezeichneten Mutter Mammaea mag ihr Ruhm ungeschmälert bleiben; sein Verdienst ist aber doch das grössere, weil er mit selbständigem Geiste in der begonnenen Richtung vorwärts ging und unendlich vielen Versuchungen zum Despotismus zu widerstehen vermochte, aus reinem sittlichem Willen. Vor allem finden wir eine Hochachtung des Senates, die seit Marc Aurel unerhört gewesen war, sogar des politisch längst vergessenen Ritterstandes als einer »Pflanzschule für den Senat«. Ein Senatsausschuss und dann noch ein engerer Staatsrat von sechzehn Männern haben teil an der Regierung; endlich lässt man sich keine Mühe verdriessen, gute, gewissenhafte Leute für die Verwaltung zu erziehen und die emsigste Kontrolle zu üben14. Ungerechte, bestechliche Beamte waren das einzige, was Alexander aus der Fassung bringen konnte. In Betreff der Soldaten machte er wohl kein Hehl daraus, dass das Schicksal des Staates auf ihnen ruhe, er stattete sie prächtig aus und hielt sie gut; allein wie er sich rühmen konnte, die Steuern vermindert zu haben, so wagte er es auch, eine meuterische Legion abzudanken.
Daneben werden freilich Dinge berichtet, welche mit diesen Lichtseiten kaum in Zusammenhang zu bringen sind. In der Armee gibt sich eine dauernde Gärung kund; die Gardepräfekten wechseln unter den gewaltsamsten Umständen; als der bedeutendste derselben, Ulpian, im Verlauf bedenklicher Unruhen ermordet wurde, musste der Kaiser es ungestraft hingehen lassen; wir erfahren bei diesem Anlass, dass Volk und Garde sich drei Tage lang in den Strassen von Rom blutig bekämpften und dass die Garde nur durch Brandstiftung die Bürger zum Frieden zwang. Die albernsten Menschen wagten als Usurpatoren gegen den trefflichen Fürsten aufzutreten; den einen, Ovinius, soll er wirklich mit ironischer Milde zum Mitregenten angenommen, ihm aber durch die Teilnahme an den Strapazen eines Feldzuges den Thron verleidet haben; ein anderer, den die Soldaten erhoben, lief ihnen davon; einen dritten, den Sklaven Uranius, musste der Kaiser, wie es scheint, bestrafen15. Und als sollte Alexander, wie einst sein Vorbild Marc Aurel, von ganz besonderm Unglück heimgesucht sein, so entstand an der Ostgrenze ein neues kriegerisches Perserreich, das der Sassaniden, welche er nur mit zweideutigem Erfolge bekriegte; an der Rheingrenze aber waren die Germanen in drohender Bewegung. Das Gemüt des noch jugendlichen Fürsten soll sich allmählich verdüstert haben; man wollte eine Neigung zum Schätzesammeln an ihm bemerken, was etwa soviel bedeuten mag, dass die nächste Umgebung ihre Gier nach der Kriegskasse nicht mehr länger bemeistern mochte. Auf dem Feldzug am Rhein, unweit Mainz, ermordeten die Soldaten ihn und seine Mutter. Es ist ganz unnütz, auf die Motive dieser Tat, so wie sie angegeben werden, einzugehen; der Nachfolger eines Severus, Caracalla und Elagabal, wenn er alle gewalttätigen Beamten absetzen, den Soldaten Ernst zeigen und dennoch bei den gefährlichsten Anlässen Milde üben wollte, war er von vornherein einem gewaltsamen Untergang verfallen; die Verschwörung lag in der Zeit16, wir würden sagen: in der Luft. Alexander strebte vergebens nach Achtung in einem Jahrhundert, welches nur von Furcht wusste.