Mit einer einzigen, forschen Bewegung schwang er den Griff der Waffe nach unten und schlug dabei den Knauf der geschlossenen Toilettentür ab.
„Das blaue Auto.” Er zeigte mit seinem Kinn darauf und steckte den Revolver weg. Die Mädchen gingen langsam auf den dunkelblauen Limousinenwagen zu, der, einige Plätze von Thompsons Kleintransporter weg, geparkt war. Saras Hand zitterte in Mayas - oder vielleicht war es auch Mayas, die zitterte, sie war sich nicht sicher.
Rais fuhr das Auto aus der Raststätte hinaus und auf die Bundesstraße, doch nicht in Richtung Süden, wohin sie zuvor gefahren waren. Stattdessen drehte er um und fuhr gen Norden. Maya verstand, was er tat. Wenn die Behörden Thompsons Wagen fänden, würden sie annehmen, dass er sich weiter nach Süden bewegte. Sie würden nach ihm und ihnen suchen, doch an den falschen Orten.
Maya riss sich ein paar weitere Haarsträhnen aus und ließ sie auf den Boden des Autos fallen. Sie stimmte dem Psychopathen, der sie entführt hatte, in einem zu. Ihr Schicksal wurde durch eine äußere Macht bestimmt, und in diesem Fall war er diese Macht. Und es war eines, das Maya noch nicht ganz verstehen konnte.
Jetzt hatten sie nur noch eine Möglichkeit, zu vermeiden, was auch immer dieses Schicksal für sie bereithielt.
„Papa wird kommen”, flüsterte sie in das Ohr ihrer Schwester. „Er wird uns finden.”
Sie versuchte, dabei nicht so unsicher zu klingen, wie sie sich fühlte.
KAPITEL ZWEI
Reid Lawson eilte die Treppen seines Zuhause in Alexandria, Virginia hinauf. Seine Bewegungen erschienen hölzern, seine Beine fühlten sich immer noch benommen an von dem Schock, der ihm nur Minuten zuvor widerfahren war, doch sein Blick hatte den Ausdruck verbissener Entschlossenheit. Er nahm zwei Stufen auf einmal auf dem Weg zum zweiten Stockwerk, jedoch hatte er Angst vor dem, was er dort oben finden würde - oder besser gesagt, was er dort nicht finden würde.
Unten und draußen wimmelte es vor lauter Tätigkeit. Auf der Straße, vor seinem Haus, standen nicht weniger als vier Polizeiautos, zwei Kranken- und ein Feuerwehrwagen, die bei einer Situation wie dieser zum Protokoll gehörten. Uniformierte Polizisten versiegelten seine Eingangstür mit Sicherheitsklebeband in Form eines X. Die Spurensicherung nahm Proben von Thompsons Blut im Foyer und Haarfollikel von den Kissen seiner Töchter.
Reid konnte sich kaum noch daran erinnern, überhaupt die Behörden gerufen zu haben. Er hatte kaum noch Erinnerung daran, der Polizei eine Aussage gemacht zu haben, ein stammelndes Flickwerk aus fragmentierten Sätzen, das durch seinen kurzen, keuchenden Atem unterbrochen wurde, während sein Gehirn von entsetzlichen Möglichkeiten überflutet wurde.
Er hatte das Wochenende außerhalb mit einem Freund verbracht. Ein Nachbar hatte auf die Mädchen aufgepasst.
Der Nachbar war jetzt tot. Seine Mädchen waren verschwunden.
Reid tätigte einen Anruf, als er im Obergeschoss ankam, außerhalb der Reichweite von neugierigen Mithörern.
„Du hättest uns zuerst anrufen sollen”, begrüßte ihn Cartwright. Der Deputy Direktor Shawn Cartwright war der Leitende der Sonderabteilung und inoffiziell Reids Chef bei der CIA.
Sie hatten schon davon gehört. „Woher wusstest du es?”
„Du bist gekennzeichnet”, sagte Cartwright. „Wir alle sind es. Jedes Mal, wenn unsere Info in einem System auftaucht - Name, Adresse, Steuernummer, egal was - dann wird sie automatisch mit Vorrang zur nationalen Sicherheitsbehörde geschickt. Verdammt, du brauchst nur einen Strafzettel zu bekommen, und die Agentur weiß schon Bescheid, bevor die Polizei dich weiterfahren lässt.”
„Ich muss sie finden.” Jede Sekunde, die auf der Uhr vorbei tickte, klang wie ein donnernder Chor, der ihn daran erinnerte, dass er seine Töchter vielleicht nie wieder sehen würde, wenn er nicht sofort, in diesem Moment, aufbräche. „Ich habe Thompsons Leiche gesehen. Er ist schon seit mindestens vierundzwanzig Stunden tot. Das ist ein wichtiger Hinweis für uns. Ich brauche eine Ausrüstung, und ich muss gehen. Jetzt.”
Als seine Frau, Kate, zwei Jahre zuvor an einem Hirninfarkt verstorben war, fühlte er sich komplett taub. Ein benommenes, unbeteiligtes Gefühl hatte sich seiner bemächtigt. Nichts fühlte sich echt an, als ob er jeden Moment von einem Alptraum erwachen würde, um herauszufinden, dass sich alles nur in seinem Kopf abgespielt hatte.
Er war nicht für sie dagewesen. Er hatte an einer Konferenz über antike europäische Geschichte teilgenommen - nein, das stimmte nicht. Es war nur seine Deckung, während er in Wirklichkeit bei einem CIA-Einsatz in Bangladesch war und einem Hinweis über eine Terrorzelle nachging.
Doch er war damals nicht für Kate dagewesen. Er war auch nicht für seine Mädchen da, als sie entführt wurden.
Doch todsicher würde er jetzt für sie da sein.
„Wir werden dir helfen, Null”, versicherte Cartwright ihm. „Du bist einer von uns, und wir kümmern uns um die unseren. Wir schicken Techniker zu dir nach Hause, damit sie der Polizei bei den Ermittlungen helfen. Sie werden sich als Personal der inneren Sicherheit ausgeben. Unsere Spurensicherer arbeiten schneller, wir sollten eine Spur binnen der nächsten -”
„Ich weiß, wer es war”, unterbrach ihn Reid. „Er war es.” Es gab für Reid keine Zweifel daran, wer dafür verantwortlich war, wer eingebrochen und seine Mädchen entführt hatte. „Rais.” Er brauchte nur den Namen laut nennen, um seinen Zorn erneut auflodern zu lassen. Er begann in seiner Brust und weitete sich auf jedes einzelne seiner Gliedmaße aus. Er ballte seine Hände zu Fäusten, damit sie nicht zitterten. „Der Amun Attentäter, der aus der Schweiz entkam. Er war es.”
Cartwright seufzte. „Null, solange wir keine Beweise haben, können wir das nicht mit Sicherheit behaupten.”
„Ich schon. Ich weiß es. Er hat mir ein Foto von ihnen geschickt.” Er hatte ein Foto erhalten, das von Saras Handy auf Mayas geschickt wurde. Das Foto war von seinen Töchtern, die immer noch Schlafanzüge trugen und zusammengekauert auf dem Rücksitz von Thompsons Wagen saßen.
„Kent”, warnte der stellvertretende Direktor vorsichtig, „du hast dir eine Menge Leute zum Feind gemacht. Das bestätigt nicht -”
„Er war es. Ich weiß, dass er es war. Dieses Photo bestätigt, dass sie noch leben. Er stichelt. Jeder andere hätte einfach...” Er konnte es nicht über die Lippen bringen, doch jeglicher von der Unzahl von Gegnern, die Kent Steele sich über den Lauf seiner Karriere gemacht hatte, hätte die Mädchen aus Rache einfach umgebracht. Rais tat dies, weil er ein Fanatiker war, der glaubte, dass es sein Schicksal war, Kent Steele zu töten. Das bedeutete, dass der Attentäter letztendlich von Reid gefunden werden wollte - und hoffentlich würden dabei auch die Mädchen wieder auftauchen.
Ob sie aber noch am Leben sind, wenn ich sie finde... Er griff sich mit beiden Händen an die Stirn, als ob er so vielleicht einen Gedanken aus seinem Gehirn zerren könnte. Bleib jetzt klar im Kopf. Du darfst so nicht denken.
„Null? “ erkundigte sich Cartwright. „Bist du noch dran?”
Reid atmete tief ein, um sich zu beruhigen. „Ich bin da. Hör mal, wir müssen Thompsons Wagen orten. Es ist ein neueres Modell und hat ein Navigationsgerät. Außerdem hat er auch Mayas Handy. Ich bin mir sicher, dass die Agentur ihre Nummer hat.” Sowohl den Wagen als auch das Telefon könnte man orten. Stimmten die Standorte überein und Rais hatte sich noch keinem der beiden entledigt, so hätten sie schon eine zuverlässige Richtung, in der sie suchen könnten.
„Kent, hör zu...” versuchte Cartwright einzuwenden, doch Reid unterbrach ihn sofort.
„Wir wissen, dass Amun Mitglieder in den Vereinigten Staaten hat”, quasselte er sofort weiter. Zwei Terroristen hatten seinen Mädchen schon zuvor auf der New Jersey Uferpromenade nachgestellt. „Es ist also möglich, dass es innerhalb der US Grenzen einen geheimen Unterschlupf