Monika Detering

Zitronenhimmel


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Komplimenten wirfst du ja nur so um dich.«

      »Also? Ehe. Kind. Und dann?«

      »Ich übersetzte, schrieb und reiste nach Achims Tod. Das Schreiben ist mir geblieben. Auch in dieser Nacht habe ich an meinem Manuskript gearbeitet. Ich schlafe verdammt wenig, seitdem ich den Stellplatz hier bezogen habe. Nachts kommt die Unruhe und hörte eben diese Geräusche.«

      »Soll ich vorher pfeifen oder ›Huhu‹ rufen?«

      »Sei nicht komisch. Was willst du eigentlich um diese Uhrzeit? Es ist bestimmt weit nach zwei.«

      »Ich habe Hunger. Ich dachte, vielleicht hast du auch welchen? So ein Nachtmahl wäre doch einmal wieder was Feines. Nachts kann man gut reden. Alles ist da, es ist warm, der Mond blinzelt und die Sternlein funkeln.« Er lachte. »Ich habe auch einiges mitgebracht.« Ekkard schwenkte einen Korb. »Du könntest mir erzählen, warum du gerade in diesem Dorf bist. Ich höre zu und danach kannst du ganz sicher schnell einschlafen.«

      »Woher willst du das wissen? Spielst du Therapeut? – Psychologen können einem das restliche Leben ruinieren.«

      »Ich bin ein Wanderer zwischen den Zeiten … erzähl über Korsika. Vielleicht …«

      »Vielleicht was? Willst du dahin?«

      »Nur ein Gedanke. Ich bin hier gelandet, weil ich auf jemanden wie dich gewartet habe. Vielleicht ist das so.«

      »Ekkard! Flirtest du jetzt mit mir? Dafür bin ich inzwischen zu alt. Hast du selbst gesagt.«

      Er lachte. Es war ein leises, ein warmes Lachen, das man umarmen konnte, wenn man es wollte.

      »Wir zwei sind ein wenig aus der Welt gefallen, lass uns das Dorf zu unserem Universum machen.«

      »Hast du getrunken?« Nach einer winzigen Pause sagte sie auch: »Universum? Können wir später drüber reden. Ich bin noch dabei, mein altes Leben wegzupacken. Universum oder universales Dorf mit Kranichen? Du bist ja noch verrückter als ich.«

      »Komm!« Ekkard baute vor ›Hector‹ zwei Klappstühle auf. Auf dem verkümmerten Rasen blühte Mohn, an einer Wand wuchsen Tomaten. Er stellte eine Stalllaterne und eine Flasche Wein auf einer umgedrehten Obstkiste ab, im Korb dufteten Brot und Ziegenkäse. Charleen blickte auf seine zitternden Hände.

      Sie hätte gern darübergestreichelt.

      »Wie auf Korsika. Wo kaufst du den Ziegenkäse?«, fragte Charleen.

      »Der ist von einem italienischen Stand auf dem Stralsunder Markt. Eigene Herstellung. Der Mann betreibt ein Gut in der Toscana und die Frau ist für einige Monate hier, um ihre Produkte vorzustellen.«

      »Wie der duftet! Und er ist nicht in Plastik verpackt. Ich übe mich nämlich momentan in ›Plastikfasten‹. Wie ich zum Beispiel diese eingeschweißten Gurken hasse.«

      »Totale Plastikabstinenz geht doch gar nicht, auch in Papier steckt Plastik«, warf Ekkard ein. »Mikroplastik findest du in deiner Kosmetik …«

      »Halt mir keinen Vortrag. Es ist ein Versuch. Wenn ich einen festen Wohnsitz habe, möchte ich ein Stück Garten haben, das eine oder andere anpflanzen, früher habe ich das nie getan. Bin ich nie zu gekommen.«

      »Versuch macht kluch.«

      »Jedenfalls benutze ich Plastikbecher und Tragetaschen mehrfach und achte darauf, zum Einkaufen einen Stoffbeutel mitzunehmen.« Charleen brach ein Stück vom Ziegenkäse ab, nahm Brot und sah zufrieden aus.

      Ekkard nahm einen kräftigen Schluck vom Chianti Docg mit seinem verführerischen Duft. »Du auch?«

      »Mhmhm.«

      Sie lachten.

      Charleen rülpste. Der Wein, das Brot, der Käse …

      Ekkard rülpste auch.

      »Hast du eigentlich jemanden?«, fragte Charleen.

      »Was meinst du? Frag mich genauer!«

      »Eine Freundin, mit der du Sex hast.«

      »Muss ich?«

      »Musst du nicht, aber du kannst.«

      »Und du, Charleen?«

      »Kein Gedanke daran, seit Achims Tod schlucke ich noch immer Psychopharmaka. Davon wird mir schlecht. Das Zeug dämpft alles. Auch das Leben.«

      »Setz es ab. Genieße die Zeit, egal, wie lange du bei uns bleibst.«

      In der Ferne war das sanfte, gleichmäßige Rauschen der Ostsee zu hören. Der Mond und das Meer waren in besondere Gespräche vertieft. Es war eine Nacht, wie man sie nie in der Großstadt haben würde. Eine Nacht zum Lauschen.

      »Anstatt zu schlafen, schreibe ich oder horche, ob draußen jemand ist«, begann Charleen. »Dabei hat der ›Hector‹ genügend Schlafplatz, aber ich bekomme Beklemmungen, wenn ich mich hinlege. Stelle mir vor, es beobachtet mich jemand. Außerdem habe ich das Gefühl, dass ich meine Geschichten ›auserzählt‹ habe. Soll ich besser weiterreisen? Nach Norden, wo sich nur wenige Menschen aufhalten?«

      »Gib dir Zeit!«

      »Die Weisheit hat mir jene Sozialarbeiterin auch vorgeplappert, als ich …«

      »Aha. Was sagte sie denn?«

      »Willst du das etwa hören? Der Abschnitt war nicht gerade meine interessanteste Zeit.«

      »Dann weiß ich aber ein bisschen mehr über dich. So viel hast du mir bisher nicht erzählt.«

      »Wie die säuselte! ›Möchte Frau Rappard jetzt ihren Tee? Ein Kaffee wird die Frau Rappard womöglich aufregen, wir wollen doch gesund werden?‹ Das ging so lange, bis mich die Wut packte und ich eine Tasse mit heißem Tee nach ihr warf. Noch nicht mal verbrüht hat die sich. Die war vielleicht schnell! Dieses dämliche Wir und Wollen wir, Können wir, Wir dürfen doch nicht hatte mich rasend gemacht. Ich verzichtete auf diese ›Hilfe‹ und entließ sie sofort. Nachdem dieses Weib verschwunden war, konnte ich zum ersten Mal seit Langem wieder lachen.«

      »Trink!« Ekkard hielt Charleen ein mit Wein gefülltes Glas hin.

      Nach einer Pause erzählte sie weiter.

      »Meine Tochter fand meinen Gesundheitszustand bedenklich, sorgte sich, ob ich allein leben könnte. Wedelte mit Pflegeheim-Prospekten. Da hast du den Schock deines Lebens noch in dir, und die Zukunft soll heißen: Barrierefrei? Süppchen anreichen? Da kann man nur fliehen. Oder mit dem Gewehr ans Wasser laufen und es auf mich richten. Witwe zu sein ist keine Behinderung. Aber so taten Tochter und Schwiegersohn, selbst Nachbarn und Freunde. Achims Unfall. Alkohol. Zu schnell gefahren, eine Kurve übersehen, während die Sonne hinter unserem Haus erst rot, dann blasser werdend, am Horizont verschwand und ich dachte: Muss ich Achim erzählen. Er war nicht allein. Im Wagen saß seine Geliebte, von der ich erst dann erfuhr. Klischee erster Güte! Die Frau überlebte mit Knochenbrüchen. Ich wollte sie nicht kennenlernen oder ihr Händchen im Krankenhaus halten. Sollte das doch ihr eigener Mann machen.«

      »Hat er?«, fragte Ekkard.

      »Weiß ich nicht. Und Achim – von einem auf den anderen Tag war er nicht mehr da. Die vielen Entscheidungen, die ich treffen musste. Der Beerdigungstermin, die Traueranzeigen! Und ich stand vor meinem Kleiderschrank und wusste nicht, was ich anziehen sollte. Das alleine war so anstrengend geworden, dass ich mich schon vor der Bestattung völlig ausgelaugt fühlte.«

      »Ob ein schneller Tod ein Geschenk ist?«

      »Manche sagen das. Ich finde es zu plötzlich. Unglaubwürdig. Ich konnte nicht mehr mit Achim über wichtige Dinge sprechen. Über sein Verhältnis, seine Affäre – was es auch immer gewesen war. Ich weiß es nicht. Ich meine, dass wir trotzdem eine gemeinsame Zukunft, die Zukunft unseres Alters hatten.«

      »Wer hat dich benachrichtigt?«

      »Die Polizei. Als ich vom Einkauf zurückkam, standen die schon vor unserer Tür. Nur geglaubt hatte ich es nicht. Zunächst. Ich