Monika Detering

Zitronenhimmel


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      Sie waren Witwen geworden und gewöhnten sich an den neuen Status. Neben ihren Hühnern und den Gemüsegärten kümmerten sie sich um Feriengäste. Frau Güse, Frau Holbein und Frau Venderbusch vermieteten. Im Frühjahr und im Herbst kamen die Touristen. Dann, wenn die Graukraniche aus dem Süden zurückkamen oder sich im Herbst auf die Reise begaben, rasteten sie in den flachen Wassern des pommerschen Vorlandes. Die Vögel des Glücks zu sehen und zu beobachten schien ein gutes Omen zu sein. Dann gab es keine freien Zimmer mehr, weder hier noch in den anderen Gemeinden.

      Frau Güse fragte Frau Holbein, ob sie mehr über die ›Neue‹ wüsste.

      »Nä. Die sacht ja nicht viel. Schreiben tut sie. Romane. Weißte ja. Viel Geld wird sie wohl nicht verdienen. Die hat sicher genügend auf der hohen Kante, seitdem sie verwitwet ist. Eine Tochter, ein Enkelkind. Sagt Fritzi. Dann wird’s stimmen. Und dieses Geklüngel in diesem kleinen Wohnwagen! Fällste bei um, wenn du das siehst! So was macht man mit zwanzig. Aber Charleen ist ein paar Tage älter. Die nähert sich unseren Jahrgängen.«

      »Ordnung muss sein!«, dozierte Frau Güse. »Sonst haste nur Durcheinander in deinem Leben. Hat die Frau Schriftstellerin wohl. Ich hab ja noch nix von ihr gelesen. Hab mal in Stralsund im Buchladen geguckt, die schreibt so Frauengeschichten.«

      »Aber mit Liebe«, mischte sich Frau Holbein ein. »Ist doch nicht verkehrt. Weiß gar nicht, was du zu meckern hast.«

      »Was sagt ihr zu dem Vornamen?«, mischte sich Frau Venderbusch ein. »Jedenfalls habe ich so einen noch nie gehört. Nicht mal bei meinen Mietern.«

      »Künstlername?«, fragte Frau Holbein. »So was gibt’s ja. Auch so Komisches wie Pseudodings, weißt ja, was ich meine.«

      »Ich habe sie danach gefragt. Sie wurde auf diesen Namen getauft, weil ihre Mutter von einer australischen Sportlerin total begeistert war und wohl dachte, dass das Kindchen auch so etwas Tolles auf die Beine stellt. Hat es wohl nicht. Nun schreibt sie. Wenn das die Mutter wüsste. Aber die ist sicher schon unter der Erde. Übrigens, sie sucht was zur Miete, sagt Fritzi. Und da wird doch was bei unserer Hertha frei.«

      »Bekommt die Charleen auch mal Besuch? Oder kennt die niemanden? Was weiß man schon. Nur Ekkard geht zu ihr. Jedenfalls, was ich so sehen kann. Spinnt sich da was an? Bin ja nicht immer am Fenster. Ob sie einsam ist? Unser Herr Piritz schleicht neuerdings sogar um ihr Campinggefährt herum. Der ist auf jeden Fall einsam. Immer ist er mit Büchern unterwegs. Passte doch. Man sieht im Fernsehn doch genügend Paare: sie groß und kräftig, er klein und mickrig.« Frau Venderbusch blickte ihre Freundinnen an.

      »Venderbuschi, der deine war auch klein und mickrig. Und sieh dich mal im Spiegel an.« Frau Güse grinste etwas gehässig.

      »Wir sprechen jetzt über Herrn Piritz«, führte Frau Venderbusch das Gespräch mit pikiertem Ton weiter. »Der Gute ist ja ziemlich bepfundet, arg klein und glatzig. Der wird’s schwer haben. Und könnt ihr mir mal sagen, warum die Frau Charleen dauernd eine Mütze auf dem Kopf hat? Ist doch Sommer. Hat sie Läuse oder auch keine Haare mehr?«

      »Ich frag mal«, gluckste Frau Holbein. »Aber die will für sich sein. Hat bestimmt Schiss, dass jemand ihre Wörter klaut. Aber in so einer Klüngelkiste zu leben wie früher die Zigeuner, die aus Rumänien, weißte noch, als die in den Fünfzigern einen kleinen Zirkus mitbrachten? Da war ja was los, kann mich noch gut dran erinnern …«

      »Ein bisschen sieht sie so aus. Mit den Haaren und den Klamotten … Ich habe sie ja auch ohne Mütze gesehen. Die Frau hat wunderschöne lockige lange Haare!«, sagte Frau Venderbusch und guckte stolz, weil sie das mit den Haaren wusste.

      »Ob sie aus Polen stammt?«, sinnierte Frau Güse.

      »Nä.« Frau Holbein schüttelte den Kopf. »Wenn sie aus Polen käme, würde sie Röcke tragen. Wären in ihrem Alter sowieso angebracht. Die kommt aus Bonn. Kenn ich ja nicht, ist auch ganz schön weit weg. Hat sie beim Einkaufen erzählt. Aber nur, weil ich sie gefragt habe. Von allein hätte sie das nicht gesagt.«

      »Wie sie da innen Blömkes hockt, als wenn sie auf dem Klo hocken würde. Hockt sie?« Frau Güse reckte den Kopf.

      »Die hat doch ein Trockendings!«, sagte Frau Holbein streng. »Spinnt nicht rum!«

      »Möfft das nicht?« Frau Güse grinste breit.

      »Keine Ahnung. Geh hin! Übrigens, Ekkard hat vorgestern von einer Lesung erzählt«, stellte Frau Venderbusch mit dem triumphierenden Blick der Besserwisser fest. »Charleen will aus ihrem Roman vorlesen. Können wir uns doch anhören. Sonst steht sie da ganz alleine, das kann man ja auch nicht gut haben.«

      »Kostet das was?«, forschte Frau Güse.

      Die Frauen nickten, flüsterten und guckten.

      Charleen stand auf und kam zu ihnen.

      »Na? Nicht am Schreiben?«, fragte Frau Güse. »Fällt Ihnen nix mehr ein?«

      Und ohne, dass sie es vorhatte, erzählte Charleen: »Ganz sicher«, lachte sie. »Frau Güse, Sie sind doch eine lebenserfahrene Frau. Kann es die Familie einem übel nehmen, wenn man wie ich sein Leben noch mal auf den Kopf stellt? Ist man als Mutter, Oma und Schwiegermutter auf ewig an die Familie gekettet?«

      Ehe die anderen reagieren konnten, insbesondere Frau Güse, sagte sie auch: »Jetzt schreibt meine Enkelin und fragt, ob man eine Seele hat und wiedergeboren wird. Was meinen Sie dazu?«

      »Eine Seele? Ich kann mir vorstellen, dass es sie gibt«, überlegte Frau Venderbusch. »Aber über so was Ernstes können wir doch nicht mitten auf der Straße sprechen.«

      »Warum denn nicht«, sagte Frau Güse. »Ich jedenfalls wäre nicht sehr erbaut, wenn mein Erich plötzlich wiedergeboren würde. Ein Leben mit ihm hat mir gereicht. Friede seiner Asche.«

      »Die du aus Sparsamkeitsgründen über den Acker gestreut hast«, kam es von Frau Venderbusch. »Sowas kannste heute nicht mehr machen.«

      »Stimmt es, dass Sie vorlesen wollen?« Frau Holbein rückte näher zu ihr. »Ich komme. Wo soll es denn sein?«

      »Im Ekkards Garten.«

      »Soso. Das ist aber auch der Garten von Herrn Piritz.«

      Insekten schwirrten, es roch nach Schweinestall, es roch nach Raps und nach Meer. Kühe grasten zufrieden, der Bauer hatte seinen Bestand auf ein für ihn verträgliches Maß reduziert. Alle hatten ihren Alltag wie immer, und so jemand wie Charleen störte in dem Gefüge. In so einem Wohnmobil schlafen. Das gefiel Frau Güse nicht. Deshalb sprach sie mit der Bürgermeisterin, ob man Charleen den Platz nicht kündigen sollte. »Das sieht da ziemlich klüngelig aus. Nachher haben wir da noch Ratten!«

      ***

      Charleen suchte Salat. Gesunden. An den Wiesenrändern fand sie Spitzwegerich, Brennnessel, Löwenzahn. Jedenfalls hoffte sie, dass dieses Grünzeug so hieß. Sie hoffte auch, dass keine Hunde darauf gepinkelt hatten. Oder ein Fuchs hier durchgestromert war. Sie betrachtete einige Blätter, fragte sich, ob das wohl Sauerampfer war. Hoffentlich. Die Blätter schienen Ähnlichkeit mit Kopfsalat zu haben, sie waren nur schmaler und länger. Hauptsache, nicht giftig. Sie hatte nach der ›Seele‹ geforscht, schließlich hatte Lisa danach gefragt. Das deutsche Wort ›Seele‹ war sehr alt. Sie hatte nachgelesen, um den Begriff eingrenzen zu können. Der urgermanische Wortstamm hieß ›saiwalö‹. Das soll von dem germanischen Begriff ›saiwaz‹, See, abgeleitet worden sein. Die Germanen glaubten, dass Menschenseelen vor ihrer Geburt und nach dem Tod in ganz bestimmten Seen leben würden. Später erst wurde der Mensch in seiner Ganzheit einbezogen; wie oft wurde gesagt und geschrieben: Leib und Seele. Wenn niemand da ist, steht dafür: ›keine Seele‹. Es gibt die ›gute Seele‹ für den guten Menschen, aber es gibt sie auch für den etwas Einfältigen.

      Kann ich Lisa so abstrakte Erklärungen geben? Soll ich ihr etwa über die Körperseele, die Exkursionsseele und die Außenseele ­schreiben? Wird sie das verstehen? Aber die Deutungen sind ja immer Glaubenssache. Ihre Mutter würde ihr andere