ihre Gunst freizügig, und in der Filmjury kam es zu ständigen Intrigen. Schliesslich flogen beide in hohem Bogen raus – der Pressechef vom Festival und sein Assistent Walo Kamm vom Filmpress-Job.
Die Aussicht auf günstige Flugtickets veranlassten Kamm schliesslich dazu, einen Job als Junior Accountant bei der TWA Trans World Airlines in Zürich anzunehmen (Fr. 950.– Monatslohn). Jeder Angestellte hatte das Recht, für ein geringes Entgelt (zum Beispiel 4 Dollar bis Tel Aviv, 12 Dollar bis Hongkong) das Streckennetz zu benutzen. Kamm packte die Gelegenheit beim Schopf: «1964 flog ich durch die USA, ein Jahr später rund um die Welt, dann nach Ostafrika. Nur reichten die bloss drei Wochen Ferien pro Jahr niemals aus, die besuchten Länder wirklich kennenzulernen.»
Bereits Jahre zuvor hatte Kamm aber ein anderes Talent an sich entdeckt: das Schreiben. An Abenden und Wochenenden waren Kurzgeschichten und ein Romanfragment entstanden, die in der Literaturszene Beachtung fanden. Der Chef des Diogenes Verlags, Daniel Keel, war auf den Jungautor aufmerksam geworden, wollte einen Erzählband herausgeben und schickte Manuskripte an den NZZ-Feuilletonpapst Werner Weber. Also publizierte die angesehene Neue Zürcher Zeitung 1963 einen Text Kamms in der Rubrik «Junge Schweizer Autoren», neben Beiträgen anderer damaliger Neulinge wie Hugo Loetscher und Jürg Federspiel.
«Schon seit frühester Jugend faszinierte mich die Welt der Literatur und der Nachrichten», erklärt Kamm. «Zeitung zu lesen hiess für mich von der dritten Schulklasse an, mehr über die Welt und das Leben kennenzulernen.» Lange schwankte er zwischen verschiedenen Möglichkeiten hin und her. Sollte er sich voll dem Abenteuer Schreiben widmen? Oder die Karrierechancen in der biederen Bürowelt wahrnehmen?
Als 25-Jähriger kündigte Walo Kamm seine Stelle, ungeachtet einer anstehenden Beförderung zum Senior Accountant. Ein halbes Jahr las und schrieb er, verbrachte einen Sommer im Tessiner Ort Berzona als Nachbar der Schriftsteller Max Frisch und Alfred Andersch. «Doch ich spürte intuitiv, dass ich weg musste von der Schweizer Biedermann-Mentalität. Ich wollte die rauen Realitäten der ganzen Welt kennenlernen. Ich fühlte mich schon als junger Mensch als Weltbürger.»
Ab 1967 hielt er sich für mehrere Jahre meist ausserhalb Europas auf. Auf einer ersten Langzeitreise erkundete er samt Freundin grosse Teile Asiens, benutzte fast immer den Landweg, und kehrte nach acht Monaten und 20 Ländern mit der Transsibirischen Eisenbahn in die Schweiz zurück. Das journalistische Resultat war «Die Strasse nach Japan», eine sechsteilige Serie von Bildreportagen in der Annabelle, die zwölfseitige Bildreportage «Transsibirische Eisenbahn» in der Schweizer Illustrierten sowie Bildreportagen «Wo der Gottkönig im Exil lebt» (Besuch beim Dalai Lama) und «Der abenteuerliche Weg nach Angkor» in der Weltwoche.
Das nächste Ziel war Lateinamerika: Kamm reiste mit seiner (neuen) Freundin von Mexiko bis Feuerland meist per Autostopp, übernachtete bei Missionaren, auf Haziendas und in Billigstherbergen. In Chile und Argentinien nutzten sie eine Besonderheit: «Ich fand heraus, dass man überall bei den bomberos, der Feuerwehr, unentgeltlich übernachten konnte.»
Unter Filmern und Freaks
In Peru kam es Anfang 1970 zu ungewöhnlichen Begegnungen, als Walo Kamm in der Stadt Cuzco erfuhr, dass der Schauspieler und Regisseur Dennis Hopper – bekannt durch seinen Film Easy Rider – im Indiodorf Chinchero auf 3800 m ü. M. sein zweites Werk, The Last Movie, drehen werde. Kamm wurde gleich als Handwerker für den Aufbau eines Westerndorfes engagiert, danach als Assistent des Requisiteurs und Allround-Aushelfer. «In den drei Monaten mit den sehr freakigen, drogenfreudigen Mitgliedern der Filmcrew lernte ich weitere Hollywood-Stars kennen, die das wilde Anden-Abenteuer auskosteten: Peter Fonda, Jim Mitchum, Michelle Phillips, Sylvia Miles und andere. Besonders fiel mir ein angenehm-ruhiger Typ mit Gitarre auf, der hier mehrere Songs, darunter Me and Bobby McGee, komponierte und abends mit der Filmclique einübte – es war niemand anderes als der spätere Weltstar Kris Kristofferson. Einige der Originalmanuskripte habe ich bis heute aufbewahrt», erzählt Kamm.
Auch mit dem coolen Inka-Archäologie- Abenteurer Gene Savoy, dem realen Vorbild für den späteren Filmhelden Indiana Jones, freundete er sich in Cuzco an.
Nach Lateinamerika und einer bald folgenden zweijährigen Weltreise schrieb Kamm weiterhin seine Bildreportagen: über Erdbebenfolgen und Entwicklungshilfe, über die höchsten Arbeitsplätze der Welt in einem Schwefelbergwerk auf 6000 m ü. M. auf einem Vulkangipfel, die erste touristische Antarktisreise 1970 sowie eine Serie über sein mehrmonatiges Anden-Amazonas-Abenteuer von der Quelle bis zur Mündung. Was er in seine mechanische Hermes-Schreibmaschine tippte, fand nicht nur den Weg in Zürcher Redaktionen, sondern gelegentlich auch in ausländische Zeitschriften.
Botschafter des Natürlichen
Langzeitreisen zu unternehmen war ein Wunsch, in dem sich damals die Stimmung einer Epoche ausdrückte. Wer in den 1970er-Jahren zu weiten Fahrten aufbrach, suchte keinen Komfort, sondern Abenteuer, unverfälschte Eindrücke und ein rustikales Leben. Wenn für die Übernachtung in irgendeiner Stube ein Schlafplatz improvisiert wurde, war der Umstand keine Unvermeidlichkeit, sondern ein interessanter Teil des Erlebnisses. Kamm war einer der ersten Schweizer, der sich der neuen Art des Reisens verschrieb: Er nahm sich viel Zeit, machte sich mit Geschichte und Religionen vertraut und passte sich den lokalen Gegebenheiten an. Dafür ergab sich eine oft überwältigende Gastfreundschaft. Walo Kamm: «Am meisten schätzte ich einfache Mahlzeiten, oft nur eine Gemüsesuppe, oder im Himalaya Buttertee mit Gerstenmehl, die ich von Bauern oder in Klöstern erhielt. Zu opulenten Festessen liess ich mich nur von wohlhabenden Leuten einladen.»
Walo Kamm lernte unzählige andere Langzeitreisende kennen, fast alle waren jung und hatten wenig Geld. «Die neuen ‹Globetrotter› oder Alternativreisenden unterschieden sich aber nicht nur durch den Rucksack oder den unbegrenzten Zeithorizont von den ‹Touris›, welche Bequemlichkeit gewohnt waren, konventionelles Sightseeing suchten und in der Regel in einem höheren Alter und mit einem stattlichen Budget ihre Kulturreisen absolvierten», erläutert Kamm. «Mit dem Generationenwechsel stellte sich ein Bedürfnis nach ganz anderen Informationen ein.» Neben den Hinweisen auf lohnende Ziele wurde das praktische Wissen über erschwingliche Verkehrsmittel, günstige Unterkünfte und Traveller-Treffpunkte zur Voraussetzung für das Gelingen einer Reise als Weltenbummler.
Der Hunger nach Informationen aller Art öffnete Walo Kamm neue Türen. Als er zurück in Zürich Anfang 1974 in einem Restaurant von seinen Erfahrungen erzählte, sprach ihn ein Mann am Nebentisch an – der Programmleiter einer grossen Klubschule. Ob nicht zwei oder drei Diavorträge möglich wären? Kamm fühlte sich hin- und hergerissen: «Zuerst hielt ich mich für zu schüchtern, um öffentlich aufzutreten. Dann aber fand ich, sechs thematisch verschiedene Abende seien das absolute Minimum, um die Vielfalt der Erlebnisse darzulegen. Drei Serien à sechs Vorträge fanden zum Auftakt allein in Zürich statt – mit einem Echo, das alle Erwartungen übertraf. Die Veranstaltungen waren im Voraus ausverkauft.» In zehn weiteren Schweizer Städten folgten Dia- und Diskussionsabende. Kamm ging nun auf eigene Rechnung vor und war gleichzeitig Veranstalter, Referent, Werbemann und Plakatierer. Wenn er landauf, landab seine Bilder zeigte und von seinen Reiseabenteuern erzählte, waren die Säle wiederum immer voll.
Nicht nur in ihrem Inhalt, auch in ihrer Vortragsweise unterschieden sich die Ausführungen vom Üblichen. Kamm sprach mit seinen Zuhörern auf gleicher Augenhöhe, referierte nicht als Akademiker vor einem passiven Publikum. Nach den Veranstaltungen sass er mit den (meist jungen) Leuten in einer Beiz zusammen und beantwortete Fragen, oft bis Mitternacht.
Bald liess er auch Adresslisten kursieren, auf denen sich Reisefans eintragen konnten. Zum ersten Mal bildeten sich damit Ansatzpunkte dessen, was sich später zum viertgrössten Reiseunternehmen der Schweiz entwickeln sollte. Globetrotter Club nannte Walo Kamm das Informationsnetz, in dem sich auf seine Initiative jene zusammenfanden, die ebenfalls Weltenbummler werden wollten. Für die Mitglieder entstanden auf einem Wachsmatrizendrucker erst allmonatliche Loseblattsammlungen mit Berichten und Insidertipps, dann auch geheftete Broschüren.
Im Kellerbüro geht ein Licht auf
Das Jahr 1976 brachte den eigentlichen Umschwung. «Der Globetrotter»,