und Reiseleiter. Zwar hatte ich noch nie ein Reisebüro von innen gesehen, doch konnte ich logisch denken und wusste, wie die Aufgabe anzupacken war.» Auch diesmal hatte Kamm Erfolg. Es gingen derart viele Buchungen ein, dass die Reise wiederholt werden musste; in den folgenden Jahren weitere acht Mal. Eine weitere Gruppe führte Kamm persönlich auf den Kilimandscharo, den er von seiner Besteigung 1965 her kannte.
Das Globetrotter-Team Zürich-Rennweg in den 1980er-Jahren auf dem Lindenhof. Walo Kamm (rechts aussen): «Unsere intensivste und schönste Zeit – viel Arbeit, viel Freude!»
Die Aktivitäten Kamms waren nun wie ein Schneeball, der erst langsam, dann aber immer schneller rollte und sich schliesslich zu einer Lawine entwickelte. In die Schweiz zurückgekehrt, stellte der Weltenbummler fest, dass ein Kollege einen Raum gemietet hatte – für den ungewöhnlich geringen Mietzins von 80 Franken im Monat. Das hatte allerdings einen Grund: Bei einem ersten Augenschein erwies sich das «Büro» als ein früherer Fahrradkeller in der Zürcher Altstadt und war durch einen Hinterhof zugänglich. Für die Hintergrundarbeit als Reiseveranstalter war der fast fensterlose Raum dennoch tauglich – und selbst als behelfsmässiger Beratungsraum. Er hatte zuvor immerhin dem Studenten Peter Nobel, dem später supererfolgreichen und bekannten Rechtsanwalt, als Studierzimmer gedient …
Der «Weltenbummler mit Büro», wie Walo Kamm sich nun scherzhaft nannte, verfügte also über bescheidene und doch ausreichende Voraussetzungen, als sich eine unerwartete weitere Chance zeigte. Mit der Inbetriebnahme von Grossraumflugzeugen anfangs der 1970er-Jahre waren Überkapazitäten im internationalen Luftverkehr entstanden. Um die Maschinen auszulasten, gingen viele Gesellschaften dazu über, Flugscheine unter der Hand für die Hälfte oder einen Drittel des offiziellen Tarifs loszuschlagen, in einem «Graumarkt», wie man damals sagte.
Walo Kamm hatte Hinterhof-Billigflugbüros schon in Indien und Südostasien kennengelernt und zögerte nicht, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen. Auch der Umstand, dass die Besucher des Kellerlokals an der Zürcher Mühlegasse zuerst in einem finsteren Korridor nach dem Lichtschalter zu tasten hatten, tat dem Erfolg der Billigflugscheine keinen Abbruch.
Was Walo Kamm betrieb, war weit mehr als ein düsterer, bunkerähnlicher Arbeitsraum. Er nahm sich enorm viel Zeit, um Weltreisende gründlich zu beraten und sein Wissen und seine Geheimtipps weiterzugeben. Das spezielle Einfühlungsvermögen gehörte zu den Aspekten, die Kamms Namen schnell zu einem Begriff machten. Vor allem konnte er vielen Käufern von One-Way-Tickets auch zu einem Visum verhelfen – echte Weltenbummler, die sonst keine Chance gehabt hätten. Die Haupttätigkeiten waren Konzeption weltweiter Reisen und Verkauf von Graumarktflugtickets sowie der ersten alternativen Reisehandbücher und Landkarten. Da er keine Zeit hatte, das geplante weitere Standbein Reiseausrüstung selber aufzubauen, arbeitete er diesbezüglich mit den Kollegen von Transa zusammen.
Bald wurde ein Umzug unumgänglich. Am Zürcher Rennweg, gleich neben der Bahnhofstrasse, fand sich Ende 1977 ein neuer, hellerer Raum, diesmal im 4. Stock. Es war ein ehemaliges Jugendstilwohnzimmer mit Erker, eingeklemmt zwischen einem Goldschmiede-Atelier und einem Zahntechniker, und wiederum war die Miete erstaunlich günstig, da das ganze Gebäude renovationsbedürftig war. Die geringen Unkosten und der Enthusiasmus, den Kamm verbreitete, halfen mit, in einer Branche Fuss zu fassen, in der mit zunehmend härteren Bandagen gekämpft wurde, in der aber auch eine ständig wachsende Nachfrage entstand: «Der Zerfall des Dollarkurses ab 1973, die Einführung der Graumarkt-Flugtarife und das Erscheinen unzähliger alternativer Reisehandbücher hatten dazu geführt, ferne Destinationen attraktiv und erreichbar zu machen.»
Ein Unternehmen nach eigenen Vorstellungen
Um die literarische Karriere fortzusetzen, bestand nun keine Zeit mehr. Kamm schuf sich stattdessen sein eigenes Medium. Seine innovativ gestaltete Vierteljahreszeitschrift Globetrotter bot unzähligen Reisenden eine Möglichkeit, ihre Erlebnisse zu schildern. Das Format war von Anfang an viel grosszügiger als bis dahin üblich. Umfangreiche Texte und detailreiche Bilder kamen jetzt richtig zur Geltung. Am Zürcher Rennweg stapelten sich bald Manuskripte und Fotos aus aller Welt: aus dem tropischen Zentralafrika, dem eisigen Patagonien oder den weiten Ebenen der Mongolei. Walo Kamm als Chefredaktor und Mentor wollte mit all den Amateurschreibern das beste, lebendigste und auch alle kontroversen Themen diskutierende Reisemagazin machen. Er investierte Tausende von Stunden, um die oft noch holprigen Texte seiner Erstlingsautoren zu redigieren. Erneut blieb der Erfolg nicht aus. Die Verfasser steigerten ihre Fähigkeiten schnell, und einige von ihnen brachten es später zu Buchveröffentlichungen.
An farbenreichen Geschichten herrschte kein Mangel. Es war nicht ungewöhnlich, dass Weltenbummler, die bei Walo Kamm buchten, ihre Erkundungsreisen hoch zu Ross, im Fahrradsattel oder im Einbaum unternahmen. Im Büro am Rennweg traf auch viel Persönliches ein: Blumen, Geschenke und begeisterte Dankesbriefe mit dem Bekenntnis «Ich wurde unterwegs glücklich».
Arbeit hinter den Kulissen
Das Unternehmen wuchs stetig, 1982 nahmen Filialen in Bern und Basel den Betrieb auf. Bereits zu Beginn des vorangegangenen Jahres hatte Kamm seine Einzelfirma in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Nicht nur die bunten Facetten des Reisens beschäftigten ihn nun. Eine belastungsfähige Organisation wurde notwendig. Um Transparenz in allen Vorgängen des Unternehmens zu gewährleisten, musste ein Rechnungswesen mit einer klaren Struktur aufgebaut werden. Kamm war in einer Person Reiseberater, Flugtarifexperte, Organisator, Finanzstratege, Personalchef, Verwaltungsrat, Marketingfachmann, Werbetexter, Fotograf, Autor, Redaktor, Verleger, Buchhändler, Filialstandortsucher, Büroeinrichter, Vortragsveranstalter, Clubchef und gelegentlich Helfer in schwierigen Situationen, wenn einer der unzähligen Reisenden in einem fernen Land in Not geriet. Arbeitstage von vierzehn Stunden wurden die Regel, die Wochenenden eingeschlossen.
Walo Kamm konnte sich bei seiner Aufgabe auf sein kaufmännisches Gespür verlassen. Auf seinen Reisen war er keineswegs zum weltfremden Träumer geworden und war sich bewusst, dass der Vorsprung, der ihm einen Anfang ermöglicht hatte, auf die Dauer nicht gesichert war. Die Kundenbedürfnisse erfüllen zu können, verlangte nach einer Erweiterung der Tätigkeit. Die Liste der Angebote umfasste bald auch Buchungen für Hotels, Mietautos und Camper, Bahn- und Expeditionsreisen, Sprachaufenthalte, Visa-Service, Versicherungen und und und …
Globetrotter lag mit seiner lässigen, aber zuverlässigen Unternehmenskultur (zum Beispiel meistens per du mit der Kundschaft, Kunden- Partys und -Konzerte statt Inserate) voll im Trend. Und auch ohne die sonst üblichen Werbemassnahmen sprach es sich immer weiter herum, dass Reisefans, die das Besondere suchten, von den Globetrotter-BeraterInnen besser verstanden und betreut wurden als in konventionellen Reisebüros. Das sorgte für kontinuierliche Wachstumsschübe.
Bis Anfang der 90er-Jahre hatte Kamm schon acht Filialen eigenhändig auf die Beine gestellt, von der Standortsuche über die Einrichtung bis hin zum Personal. «Die ersten fünfzehn Jahre der Firma und die ersten 40–50 Millionen Franken Jahresumsatz waren natürlich die schwierigste und entscheidende Phase», erzählt er. «Das hat mich persönlich viel Substanz gekostet. Es war überfällig, die Geschäftsleitung mit Andy Keller und André Lüthi aufzustocken und in Ressorts aufzuteilen. Das Unternehmen wurde computerisiert, umstrukturiert und mit neuen Abteilungen versehen. Ich erinnere mich, dass ich Ende der 1990er-Jahre den Mitarbeitenden beim Jahrestreffen mutig erklärte, dass nebst der Qualitätssicherung unser nächstes Ziel 100 Millionen Jahresumsatz sei – nicht, weil ich grössenwahnsinnig sei, sondern weil wir erfolgsbedingt in einer unrentablen Zwischengrösse steckten: kein alternatives, einfach strukturiertes Reisebüro mehr, aber auch noch kein Veranstalter, der die Kosten des neuen Berner ‹Wasserkopfs› (Head Office im Stil der Grossen) rechtfertigen würde. Doch wir würden dank dem Bekanntheitsgrad weitere Filialen eröffnen und entsprechendes Wachstum generieren.»
Laufend wurde das Unternehmen ausgebaut. Auch spezifische Geschäfts- und Sportreisen gehörten nun zum Angebot, dazu kamen selbst organisierte Trekkings. Die Präsenz der Globetrotter Travel Service AG wuchs in der ganzen Schweiz, 2010 bestanden schon 20 Filialen.